Zurück zum kleinen Prinzen
Eine der Sorgen, die mich immer wieder umtreibt, wenn ich Filme für meine Kinder aussuche, ist, dass sie Angst bekommen. Beide sind sehr sensibel, was bedrohliche Figuren und Inszenierungen angeht – wir haben deshalb schon so einige Diskussionen darüber geführt, warum diese oder jene Geschichte überhaupt einen Bösewicht braucht. Da ist „Der kleine Prinz“ eigentlich ein perfekte Vorlage, denn hier geht es ja unter anderem darum, dem Fremden ins Auge zu sehen – und um einen furchtlosen Blick auf die Welt. Allerdings ist Antoine de Saint-Exupérys Buch nur schwer als Film vorstellbar – zu sehr lebt die Geschichte von seiner fantastischen Welt, die sich nur mühsam in Bilder übertragen lässt.
Mark Osbornes Kinofilm „Der kleine Prinz“ ist deshalb auch nicht wirklich eine Verfilmung im klassischen Sinne, sondern erzählt vielmehr davon, wie ein Kind die Geschichte vom kleinen Prinzen entdeckt. Die Filmemacher greifen einen Aspekt heraus, unter dem die Erzählung heute relevant ist, und spinnen die Geschichte des kleinen Prinzen auf dieser Basis weiter – als warnende Parabel über die Gefahren des Erwachsenwerdens in Zeiten des Neoliberalismus. Neues Haus, neuer Nachbar – ein kleines Mädchen wird nach dem Umzug von seiner Mutter angehalten, fleißig die Sommerferien hindurch zu lernen. Der Lernplan ist auch schon für die nächsten Monate und Jahre vorbereitet – und damit, so scheint es, auch ihr Leben. Aber der seltsame alte Mann im Nachbarhaus mit seinem verwilderten Garten ist doch sehr eigenartig – ein ehemaliger Pilot, der eine wilde Geschichte erzählt von diesem kleinen Prinzen, der so gerne wollte, dass er ihm ein Schaf zeichne...
Der Film trennt die beiden Welten – die des Mädchens und die Geschichte vom kleinen Prinzen – sehr elegant durch zwei völlig unterschiedliche Animationsstile: Die Rahmenhandlung besteht aus gelungenen, aber wenig aufregenden Computeranimationen, während die Prinzengeschichte selbst mit Bildern erzählt wird, die wirken, als seien sie aus Papier, Holz und Stoff gebastelt. Das spielt natürlich mit der Nostalgie-Sehnsucht vor allem der Eltern, liefert aber zudem nicht nur einen klaren Kontrast, sondern ist auch wirklich sehr toll anzusehen. Vor allem lassen diese Bilder der (nur unvollständig im Film enthaltenen) Erzählung von Saint-Exupéry jedoch ihren Raum und Zauber, weil sie nie auf Vollständigkeit und scheinbare Perfektion ausgerichtet sind.
Dramaturgisch schwierig und für Kinder wohl nicht in allen Details nachvollziehbar ist nur das letzte Drittel des Films, das – ohne zu viel verraten zu wollen – die Frage nach der Rolle des kleinen Prinzen in einer streng hierarchischen Arbeitswelt stellt. Da entfernt sich der Film von den vordergründig so einfachen wie hintergründig so komplexen Bildern der Vorlage hin zu gebräuchlicheren Filmsequenzen (darunter auch einiges an Action). Wenn allerdings Kinder und Erwachsene davon mit nach Hause nehmen, dass man sich auch Auszeiten vom ständigen Alltags-Drills zwischen Schule und Arbeit nehmen kann, darf und muss, um zum Beispiel „Der kleine Prinz“ (noch) einmal zu lesen, dann ist ja auch schon viel gewonnen.
In diesen Kinos läuft „Der kleine Prinz“ am kommenden Wochenende.
Rochus Wolff, Jahrgang 1973, ist freier Journalist und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Grundschulalter in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Kinder- und Jugendfilm; seit Januar 2013 hält er in dem von ihm gegründeten Kinderfilmblog nach dem schönen, guten und wahren Kinderkino Ausschau.