Alle reden vom goldenen Fernsehzeitalter, um dann von US-Erfolgsformaten wie „Breaking Bad“, „Game Of Thrones“ oder „Homeland“ zu schwärmen. Sogar besser als die meisten Kinofilme seien diese neuen ambitionierten Serien, deren einzelnen Folgen sich nicht länger nur an einem Fall der Woche abarbeiten, sondern eine durchgehende Handlung erzählen. Deutsche Serien haben in dieser Diskussion zwar bisher kaum eine Rolle gespielt, aber das könnte sich nun mit einem Schlag ändern: Nachdem die ersten Folgen der Agenten-Serie „Deutschland 83“ um einen jungen DDR-Spion (Jonas Nay), der in Bonn Informationen über einen möglichen atomaren Erstschlag des Westens beschaffen soll, in diesem Februar auf der Berlinale gezeigt wurden, war das internationale Interesse an der RTL-Produktion so gewaltig, dass sie in den USA nun sogar schon vor der deutschen Premiere ausgestrahlt wurde (ab Juni auf Sundance TV).
Aber nicht nur die Nachfrage seitens ausländischer TV-Sender ist enorm, auch die internationale Kritik zeigt sich bislang begeistert: Die New York Times bezeichnete die Perspektive von „Deutschland 83“ als „erfrischend“, was gerade bei einem schon dermaßen häufig behandelten Thema wie dem Ost-West-Konflikt als besonders großes Lob verstanden werden darf. Und Joe McGovern von Entertainment Weekly verglich die Serie sogar mit der AMC-Überserie „Mad Men“…
Wir haben zwar vorab nur die ersten beiden der insgesamt acht Episoden der ersten Staffel zu sehen bekommen, aber soweit können wir vorbehaltlos in die allgemeinen Lobeshymnen einstimmen: „Deutschland 83“ ist verdammt spannende, extrem ambitionierte und mit Kinostars wie Jonas Nay („Wir sind jung. Wir sind stark.“), Ulrich Noethen („Der Untergang“) und Sylvester Groth („Codename U.N.C.L.E.“) herausragend besetzte TV-Unterhaltung.
Es läuft zwar im Hintergrund mehrfach „99 Luftballons“ von Nena und es gibt auch amüsante Seitenhiebe auf die Unterschiede zwischen Ost und West, etwa wenn DDR-Spion Martin nicht den geringsten Schimmer hat, was eine Computerdiskette ist – aber trotzdem gleitet „Deutschland 83“ nie in platte Nostalgie oder Ostalgie ab (und das obwohl sich deutsche Fernsehmacher sonst gerne in solchen quotenträchtigen Schlagwörtern suhlen). Stattdessen setzen die Macher auf Subtilität und bleiben konsequent ihren Vorstellungen treu. Da spürt man einfach, dass sie ihre Figuren niemals für einen auf der Hand liegenden (DDR-)Kalauer verraten würden.
Dass dem so ist, hat wohl auch viel damit zu tun, dass die Schöpfer Anna und Jörg Winger ganz nach US-Vorbild einen sogenannten Writers Room für ihre Serie eingerichtet haben. Es schreibt also nicht jeder wie in Deutschland üblich für sich eine der Episoden (da kann man als Zuschauer dann auch gerne mal fünf Folgen auslassen, ohne etwas Wichtiges zu verpassen). Stattdessen entwickeln die Autoren die gesamte Serie gemeinsam. So können Handlungsstränge und Figuren nicht nur Woche für Woche, sondern über die ganze Staffel stringent aufgebaut werden. Wenn deutsche TV-Produzenten nicht nur bei Krimis und Schnulzen auf Weltniveau mitspielen wollen, werden in der Zukunft noch mehr Sender und Produzenten aus den verkrusteten Abläufen ausbrechen und wie nun RTL vermehrt solche Experimente wagen müssen.
Fazit: Wer gerne über die austauschbare Rosamunde-Pilcher-Grütze und die immer gleichen Krimi-Plots in der hiesigen TV-Landschaft herzieht, der soll dann aber bitte auch einschalten, wenn ein Sender tatsächlich mal was riskiert und eine große Produktion konsequent gegen die deutschen Sehgewohnheiten bürstet. Denn wenn man aufregend-anderen Formaten wie „Deutschland 83“ nicht die verdiente Unterstützung zukommen lässt, braucht sich anschließend auch niemand mehr über den x-ten uninspirierten Vorarlberger Vorabendkrimi zu beschweren!