Die Verfilmung des Kult-Musicals „Wicked“ läuft noch keine Woche in den US-Kinos und schon finden sich zahlreiche Szenen in voller Länge – inklusive des Finales und einiger Überraschungs-Cameos – im Netz. Und es macht nicht immer den Anschein, als würde aktiv gegen diese Form der Filmpiraterie vorgegangen werden. Stattdessen zeichnet sich hier ein Trend ab, der laut eines Berichts beim Branchenblatt Variety von Filmstudios bisweilen tatsächlich hingenommen wird.
Mehr und mehr Zuschauer und Zuschauerinnen zücken während einer Kinovorstellung ihr Handy, um ihre eigene Reaktion und/oder die Reaktion des restlichen Publikums auf das Geschehen auf der Leinwand abzufilmen oder anderweitig mit einem gezeigten Film zu interagieren und das Ganze dann – oftmals mit deutlich sicht- und/oder hörbaren Szenen – auf YouTube, TikTok und Co. zu teilen.
Filme als Content-Lieferant für Social Media
Für viele sei ein Film lediglich ein weiterer Content-Lieferant, um die eigene Social-Media-Präsenz zu pushen, konstatierte eine nicht namentlich genannte Führungskraft aus dem Filmbusiness gegenüber Variety. Ihm oder ihr zufolge sei der Release des MCU-Hits „Deadpool & Wolverine“ hier ein gewisser Katalysator gewesen. Unmengen abgefilmten Materials von Fans, in dem etwa die großen Marvel-Cameos gefeiert wurden, überfluteten das Netz und gingen teilweise so viral, dass sogar Regisseur Shawn Levy und Hauptdarsteller Ryan Reynolds damit offen interagierten. Das geschah natürlich vor allem aus Freude über die euphorischen Fan-Reaktionen, legitimierte unbewusst aber zugleich auch das Handy-Vorgehen ein Stück weit.
Das Phänomen an sich ist dabei keinesfalls neu, sondern kann verstärkt schon länger etwa bei Bollywood-Kracher (wie dem gefeierten Action-Spektakel „RRR“) beobachtet werden. „Deadpool & Wolverine“ dürfte nun aber in der Tat einer der ersten Hollywood-Blockbuster sein, bei dem das in derart großem Stil und inklusive massiver Spoiler geschehen ist und regelrecht zelebriert wurde.
Im Fall von „Wicked“ hat Variety von einer Quelle mit Verbindungen zum produzierenden Studio Universal erfahren, dass interne Teams zumindest daran arbeiten, das illegale abgefilmte Material in den meisten Fällen wieder offline zu nehmen. Gleichzeitig heißt es von Filmemacher- und Cybersecurity-Experten-Seite aber, dass große Studios zwar in der Tat Anti-Piraterie-Teams im Einsatz hätten, diese aber primär dagegen vorgehen, dass komplette Filme in guter Qualität auf einschlägigen Streaming- und Torrent-Seiten landen. Jedoch sei man nicht gewappnet, um gegen Hunderttausende aufploppende Social-Media-Posts vorzugehen, die tagtäglich mehr werden.
Kostenlose Werbung, die die Studios tolerieren?
Es soll dem Variety-Artikel zufolge sogar Teile der Industrie geben, die glauben, dass die kostenlose Bereitstellung von Filmmaterial, junge Leute dazu animiert, ein Kinoticket zu lösen. Im Zuge der Posts zu „Wicked“ sei etwa eine Vorher-Nachher-Challenge aufgekommen. Dabei filmen sich die Fans, während sie in die Vorstellung gehen und dann noch einmal danach, als der Abspann läuft und der ausklingende Schlüsselsong „Defying Gravity“ zu hören ist – wobei gerade die vielen gerührten und tränenreichen Reaktionen andere dazu bringen sollen, es ihnen gleichzutun.
Ein Marketing- und PR-Fachmann nannte das Ganze im Gespräch mit Variety sogar eine natürliche Evolution von uralten Werbegimmicks, die wohl auch deswegen von manchen Verleihern nicht ganz so energisch unterbunden wird. Ob es auch bei uns zu einer derartigen Social-Media-Piraterie von „Wicked“ kommt und das Ganze sich tatsächlich als neuer Trend auch auf zukünftige Blockbuster erstrecken wird, bleibt abzuwarten.
In den deutschen Kinos startet „Wicked“ erst am 12. Dezember 2024 – und bis dahin dürfte wirklich so ziemlich jede Szene aus dem mitreißenden Musical-Highlight ohne Probleme im Netz zu finden sein. Wer das umgehen und sich lieber mit offiziell veröffentlichen Szenen einen ersten Eindruck verschaffen will, kann das nachfolgend noch einmal mit dem Trailer zur „Zauberer von Oz“-Vorgeschichte tun: