Es gerät zu oft in Vergessenheit, dass Jennifer Lopez mehr ist als Klatschpressen-Schlagzeilenfutter, Popmusik-Star und RomCom-Darstellerin. So hat Lopez einige ihrer stärksten Leistungen im Thriller-Kino absolviert – und dort reicht ihre Bandbreite von sanft prickelnder Spannung wie in „Out Of Sight“ bis hin zu harter Psychothriller-Unterhaltung. In einem einzigartigen Thriller konnte Lopez sogar ihre schauspielerischen Qualitäten mit ihrer soghaften Ausstrahlung als Stilkone vereinen – noch dazu inmitten einer nervenaufreibenden, bildgewaltigen Vision!
Denn im Serienkiller-Psychothriller „The Cell“, der obendrein Sci-Fi-Horror-Elemente enthält, begibt sich Lopez in der Rolle einer experimentell arbeitenden Psychologin in den finster-verschachtelten Intellekt eines manischen Mörders. Wenn man so will, hat Lopez damit Leonardo DiCaprios „Inception“-Reise in die Architektur eines Verstands vorweg gegriffen, und zwar um ganze zehn Jahre! Heute, am 14. Mai 2024, könnt ihr euch bei Tele 5 vom hyperstylischen, unterschätzten Lopez-Thriller „The Cell“ überzeugen – ab 23.30 Uhr! Alternativ findet ihr ihn bei Amazon Prime Video als VOD:
Gut zu wissen: Prime bietet zwar die ungekürzte Kinofassung von „The Cell“ an, es gibt allerdings auch einen um wenige Minuten längeren Director's Cut auf Blu-ray*.
"The Cell": Starke Thriller-Welten in der Psyche eines Serienkillers
Der Serienkiller Carl Stargher (Vincent D'Onofrio) hat sich auf junge, weibliche Opfer spezialisiert, die er zunächst brutal foltert, ehe er sie umbringt. Als FBI-Agent Peter Novak (Vince Vaughn) ihn aufspürt, steht außer Frage, was die oberste Priorität ist: Novak muss in Erfahrung bringen, wo Stargher sein neustes Opfer gefangen hält.
Doch der Killer fällt in ein Koma, ehe ihm diese wichtige Information entlockt werden kann, und die Zeit tickt: Sollte die Entführte nicht innerhalb der nächsten 40 Stunden entdeckt werden, wird sie in einer Apparatur ihres Entführers qualvoll ertrinken. Also wendet sich das FBI an Psychologin Catherine Deane (Jennifer Lopez), die durch eine experimentelle Technik in das Unterbewusstsein von Komapatienten eindringen kann. Mit der brutalen Gedankenwelt Starghers ist jedoch nicht zu spaßen...
Die besten Serienkiller-Filme aller ZeitenEgal, ob in „The Cell“ oder in seinen späteren Filmen wie „The Fall“: Der frühere Musikvideo- und Werbe-Regisseur Tarsem Singh steht für Bilderfluten, in denen surreale Elemente und Kostümprunk aufeinander prallen. Außerdem ist Singh ein Regisseur, der Atmosphäre und den Fluss seiner Bild-Klang-Ästhetik wichtiger einschätzt als eine stringente, leicht nachvollziehbare Handlung.
„The Cell“ zeigt Singh von seiner besten Seite: Der Regisseur orchestriert ein fesselndes Ringen zwischen der pervertierten Gewalt, der Stargher frönt, und der hypnotischen Traumwelt, die Deane erkundet. Während die Realität in „The Cell“ kühl und streng gestaltet ist, bestehen die Gedankenwelten aus überbordenden Fantasien, die sich aus zahlreichen Epochen der Malerei, Architektur und Mode nähren, um im Zusammenspiel einen gleichermaßen unbequemen wie faszinierenden Albtraum irgendwo zwischen betörend und verstörend zu ergeben.
Das exzentrische, die finsteren Kreaturen zum Leben erweckende Make-Up brachte „The Cell“ eine Oscar-Nominierung ein, und das Produktionsdesign leistet einen denkwürdigen Kompromiss zwischen ästhetischem Chaos und in sich schlüssiger Exzentrik. Dennoch sind die Kostüme das stärkste kunsthandwerkliche Element in „The Cell“: Sie sind Schauwert und Storyelement zugleich.
"Dune"-Star Timothée Chalamet hätte beinahe einen der berühmtesten Killer der Filmgeschichte gespieltWährend die frühere Nine-Inch-Nails-Stylistin April Napier die funktionale, fast normierte Wirklichkeit gestaltet, aus der Lopez' Figur mit sanften Farbtupfern dezent heraussticht, kreierte Eiko Ishioka („Bram Stoker's Dracula“) die Mode innerhalb der Killerpsyche. Dort fällt Deane paradoxerweise zunächst dadurch auf, dass sie verhältnismäßig unauffällig gekleidet ist: zurückhaltend geschnittene Mode in freundlich-unaufdringlichen Farbtönen.
Doch nach und nach unterwirft sie sich den exaltierten Gesetzen, denen die Psyche ihres gefährlichen Patienten folgt. Ihre Kleidung wird prunkvoller, unwirklicher und auffälliger. Hat Stargher im Tauziehen zwischen Gut und Böse die Oberhand, ist Deane eingepfercht in starren Kostümen, die ihr fast den Atem rauben. Hat sie die Oberhand, hüllt sie sich in stolz-schmeichelnde Mode oder gar laszive Stoffe.
Lopez hält all dies zusammen, nicht bloß, weil sie genau weiß, wie sie ihre Model-Aura an- und wieder ausknipsen kann. Sondern auch, weil sie eine Wechselwirkung zwischen ihr und den sagenhaften Kostümen bewirkt: Napiers und Ishiokas Designs übernehmen für Singh einen großen Teil des Storytellings und für Lopez ein Stück der Charakterführung. Doch Lopez trägt die Kostüme nicht bloß, sondern erfüllt sie mit Leben und Charakter, ist entscheidend darin, sie erfolgreich zu ihren Co-Stars zu machen.
Und nicht zuletzt darf man nicht vergessen: Es ist ein Talent, inmitten eines geradezu orgastischen Aufbegehrens aus Kunstepochen-Zeitreise, religiöser sowie adelshistorischer Symbolik und opernhafter Übertreibung weder unterzugehen noch deplatziert zu wirken oder das Fass zum Überlaufen zu bringen. Lopez findet exakt den engen Mittelweg, den Singh ihr lässt, um seiner theatralen Vision gerecht zu werden.
Heute kaum noch vorstellbar: Hugh Jackman wollte unbedingt den Killer in einer legendären Horror-Reihe spielenDies ist eine überarbeitete Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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