Zugegeben, Make-Over-Shows und -Serien genießen unter Cinephilen nicht den allerbesten Ruf. Nahezu unumgänglich lässt uns das Genre als erstes an den Nachmittags-Trash im deutschen linearen Fernsehen denken, wo sich Vertreter wie „Einsatz in vier Wänden” oder „Shopping Queen” tummeln und von vielen als Reality-Formate abgetan werden, die absolut keinen dokumentarischen Wert besitzen. Das Netflix-Format, das euch FILMSTARTS-Redakteurin Joana Müller in diesem Artikel vorstellen möchte, gehört streng genommen wohl auch in dieses vielbelächelte Genre hinein. Doch ist die Serie mit so viel Hingabe und Herz dabei, dass sie auch euch mit Sicherheit ein Lächeln aufs Gesicht zaubern wird – und die Welt somit ein kleines Stückchen besser macht.
Die Rede ist von „Queer Eye”, einem Format, das 2018 auf Netflix startete und sich an die US-Sendung „Queer Eye For The Straight Guy” aus den frühen 2000er Jahren anlehnt. Die Netflix-Produktion stellt in jeder Episode eine*n der vielen Alltagsheld*innen vor, die Besuch von den sogenannten Fab Five, einer Gruppe von fünf Expert*innen, bekommen und eine Woche lang von ihnen in verschiedenen Bereichen ihres Lebens unterstützt werden. Dabei geht es nicht nur um ein Make-Over von Frisur, Kleidung und Wohnraum, sondern auch um das Angehen eingeschlichener Routinen und zugrundeliegender sozialer und beruflicher Konflikte oder das Aufarbeiten von familiären Traumata.
"Queer Eye" zeigt lebensverändernde Begegnungen
Die Fab Five bestehen aus Modeexperte Tan France, Einrichtungs-Genie Bobby Berk, Hair- & Make-Up-Artist Jonathan Van Ness, Kultur- und Lifestyle-Guru Kamaro Brown und Ernährungs-Spezialist Antoni Porowski. Jeder der Fünf bringt nicht nur eine eigene Expertise in das Format, sondern auch ganz eigene persönliche Geschichten und Erfahrungen, zu denen die Kandidat*innen überraschend oft auch verbindende Elemente finden – auch wenn es anfangs häufig so aussieht, als hätten diese fünf queeren, weltoffenen und großstädtischen Menschen absolut nichts mit dem Leben ihrer so unterschiedlichen Alltagsheld*innen gemein. Denn diese sind nicht selten in den ländlichen Gegenden der USA zu Hause und stecken in ihren Ansichten so sehr fest wie in ihren über Jahrzehnte eingeschlichenen Mustern.
Wenn Bobby jedoch von seiner Vergangenheit auf der Straße erzählt, nachdem er von seiner christlichen Familie in Missouri verstoßen wurde oder Kamaro von seinen Diskriminierungserfahrungen als schwarzer queerer Mann in einem texanischen Vorort, dann finden sich hier immer wieder Anknüpfungspunkte, die den Fab Five ihren scheinbaren Glamour nehmen und sie auch für die Kandidat*innen zu nahbaren Menschen machen.
Begegnung wird hier großgeschrieben – und so profitieren die Alltagsheld*innen nicht nur von den neuen Perspektiven, die die Fab Five ihnen als Menschen eröffnen, sondern auch vom Zusammenbringen mit verlorenen Freund*innen, Familienmitgliedern, verflossenen Lieben oder gänzlich neuen Kontakten, was zum festen Teil des Formats gehört.
Auch wenn in einer Episode natürlich keine tiefgreifenden Therapieergebnisse erwartet werden können, so ist es doch jedes Mal aufs Neue erstaunlich, wie sehr ein paar gezielte Gespräche die Kandidat*innen aus ihren eingefahrenen Mustern wachzurütteln vermögen – oder was ein Blick in den Spiegel mit einer neuen Frisur oder einem passenden Outfit in Sachen Freude und Selbstbewusstsein bewirken kann. Ein lebensbejahendes Gefühl, das auch beim Zuschauen vermittelt wird und uns daran erinnert, uns selbst und anderen stets mit Respekt und Liebe zu begegnen.
"Queer Eye Germany" so gut wie das Original
Mittlerweile sind auf Netflix bereits acht Staffeln des Wohlfühl-Formats verfügbar, während auch eine neunte Staffel schon jetzt vom Streamingdienst bestätigt wurde. Noch dazu wurden Ableger der Serie in verschiedenen Ländern entwickelt – so findet sich neben „Queer Eye Brazil” auch eine Staffel des deutschen Ablegers „Queer Eye Germany” auf Netflix.
Das deutsche Format wurde 2023 sogar mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet und wartet mit einem grandiosen Ensemble als Fab Five und liebenswerten Kandidat*innen auf – und steht dem US-Original damit in nichts (außer vielleicht in Sachen Budget) nach. Leider wurde „Queer Eye Germany" von Netflix im vergangenen Jahr abgesetzt. Doch wer weiß: Wenn ihr jetzt alle fleißig reinschaut, kann man den Streamingdienst ja vielleicht noch einmal umstimmen...
Heute Abend streamen: Einer der besten Filme 2023 – der hier leider nie in die Kinos gekommen ist