Nach ihrem Kinohit „25 km/h“ haben Regisseur Markus Goller („Friendship!“, „Frau Ella“) und Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg („Frau Müller muss weg“, „Mein Blind Date mit dem Leben“) die Produktionsfirma Sunny Side Up gegründet – und dort nun als erstes gemeinsames Projekt die Tragikomödie „One For The Road“ verwirklicht. Darin spielt Frederick Lau den Bauleiter Mark, der nach dem Verlust seines Führerscheints an einem Vorbereitungskurs für den „Idiotentest“ teilnehmen muss – und dabei erst ganz langsam erkennt, dass er womöglich doch ein Problem mit dem Alkohol hat. Im Film ist das zum Glück weniger belehrend als vor allem unheimlich lustig und berührend (mehr dazu in der 4-Sterne-FILMSTARTS-Kritik).
Wir haben das Duo zum Interview in einem Berliner Hotel am Potsdamer Platz getroffen:
FILMSTARTS: Die meisten Filmemacher*innen, die über längere Zeit Publikumserfolge feiern, sind meist selbst eine Marke wie Schweiger oder Schweighöfer. Doch bei euch ist das anders: Noch gehen wohl die wenigsten ins Kino, um explizit den neuen Film von Oliver Ziegenbalg oder Markus Goller zu sehen. Aber obwohl ihr immer wieder von quasi Null anfangen müsst, habt ihr eine gerade für das deutsche Kino ungewöhnlich hohe Trefferquote, was den Publikumszuspruch angeht. Woran glaubt ihr liegt das? Und ist das auch einer der Gründe, warum gerade ihr beide mit Sunny Side Up eine gemeinsame Produktionsfirma gegründet habt?
Markus Goller: Ich habe keine Ahnung, warum das so ist. Aber vielleicht liegt es daran, dass wir beim Finden und Entwickeln unserer Stoffe weniger über das Marketing und den Film als Marke nachdenken, sondern uns von den Figuren und ihren Themen treiben lassen. Wobei wir uns schon immer darüber unterhalten: „Wer guckt das? Wie können wir möglichst viele Menschen für das Thema begeistern?“ Das ist uns extrem wichtig. Wenn keiner guckt, müssen wir den Film nicht machen. Wir wollen ja was bewegen damit. „One For The Road“ ist ein großes Stück inspiriert von Olivers Reisen durch das Leben. Die Geschichte kommt aus seinem Herzen, entspringt seinem Gefühl der Dinge. Für mich ist es dann bei der Umsetzung wichtig, an das universelle Thema der Figur anzudocken. Sie zu fühlen, so wie ich es eben empfinde. Das ist auch ehrlich gesagt das Einzige, worauf ich mich beim Filmemachen verlasse. Hat 'ne Weile gedauert, daran zu glauben. Hilft mir aber sehr.
Oliver Ziegenbalg: Die Idee mit der Firma kam tatsächlich von dem Wunsch, noch selbstbestimmter arbeiten zu können, und nicht unbedingt daher, eine Marke kreieren zu wollen. Als Autor bin ich bei der Arbeit auch weniger vom Produkt getrieben als von den Dingen, die mich gerade beschäftigen – so wie eben vom Thema Alkohol aufgrund von persönlichen Erfahrungen, aber auch wegen Geschichten aus dem Freundeskreis, in dem ich damals unterwegs war. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Seit zehn Jahren will ich nun schon einen Film über Alkohol machen mit einem Protagonisten, der scheinbar keine Probleme hat, mit dem man selbst gern befreundet sein würde. Gemeinsam mit Markus sucht man dann nach einem Weg, das so zu erzählen, dass es auch wirklich ein Kinofilm wird, den man sich mit Vergnügen ansieht. Man will ja auch nicht immer dasselbe machen. Ich habe bislang etwa einfach keinen zweiten Teil zu „25 km/h“ schreiben können. Vielleicht kommt der noch – und sicherlich hätte es die Leute auch gefreut. Aber ich hatte eine innere Blockade, damit loszulegen, weil mich andere Dinge zu diesem Zeitpunkt einfach mehr beschäftigt haben.
FILMSTARTS: Wenn ich mir als Laie überlege, ich müsste jetzt einen Film über Alkoholismus drehen, dann könnte ich sofort 50 Klischees aufzählen, die ich unbedingt vermeiden will – zugleich wüsste ich aber nicht, wie ich aus dem Stoff diese kleinen, authentischen Momente herauskitzeln soll, die dem Ganzen dann am Ende erst seine Lebendigkeit verleihen. Geht das nur über persönliche Erlebnisse – oder wie entwickelt man solche Momente…
Oliver Ziegenbalg: Wir haben ganz sicher auch Klischees drin. Ich glaube sogar, dass das Komödien-Genre darauf basiert, dass man mit Klischees arbeitet – nur darf man es nicht dabei belassen, sondern muss dann immer wieder mit Brechungen überraschen. Zugleich ist aber auch ganz, ganz viel im Film tatsächlich echt. Es sind persönliche Erfahrungen oder Geschichten, die mir jemand erzählt hat. Mein Zwillingsbruder musste in seiner Jugend mal eine MPU machen – und seine Berichte davon waren nun die Blaupause für ganze Gespräche in „One For The Road“. Das sind dann ganz spezifische Momente, wie aus dem Leben gegriffen…
FILMSTARTS: … ich fühlte mich da auch selbst durchaus ertappt: Mit dem gesamten MPU-Vorbereitungskurs zusammen habe auch ich die ältere Champagner-Dame belächelt, die die ganze Zeit weiter darauf besteht, doch nur ein Gläschen getrunken zu haben. Aber dann wird sie durch einen geschickten Moment gen Ende plötzlich doch zu einer Figur aus Fleisch und Blut – und man bekommt schon fast ein schlechtes Gewissen, sie als zu belächelnde Karikatur abgestempelt zu haben...
Markus Goller: Super cool, wenn das so passiert. Das Leben ist eben immer irgendwie Komödie und Tragödie zugleich – und deshalb versuche ich, alle Figuren ernst zu nehmen. Ich lege niemandem etwas in den Mund, nur weil es jetzt ein lustiger Joke ist, selbst wenn er so etwas niemals sagen würde. Dasselbe gilt für die Situationen – auch da versuche ich, nicht zu übertreiben, sondern nah an den Figuren zu bleiben, weil das oft nur noch tragischer ist: Da geht Mark extra zu Fuß zur Bar, um sich zu besaufen – und dann parkt er zuhause nur noch schnell um, ist aber trotzdem seinen Führerschein los. Das ist für mich eine wahrhaftige Komik, weil es nicht ins Unwahrscheinliche übertrieben wird, sondern sich jeder von uns in gewisser Weise damit identifizieren kann.
FILMSTARTS: Das war auch für mich der Moment, an dem ich gemerkt habe, dass ich den Film mochte bzw. ihn spannend finde: Normalerweise würde ich von einer Komödie erwarten, dass der betrunkene Protagonist beim Einparken ordentlich in die Wagen um sich herum crasht. Aber das passiert nicht – Mark parkt sogar besser ein als wohl 90 Prozent aller Fahrer*innen es im nüchternen Zustand könnten…
Oliver Ziegenbalg: Wir wollten diesen Ritt auf der Rasierklinge abbilden, der Alkohol nun mal ist: Man tanzt, es ist superschön und lustig, aber man weiß, dass man auch einen Preis dafür bezahlt – es gibt beide Seiten. Aber was du sagst, war genau der Gedanke: Für mich wäre es das Schlimmste gewesen, ihn da jetzt einfach besoffen gegen Autos knallen zu lassen – denn dann erfüllt man tatsächlich nur die Erwartungshaltung. Aber es ihn dann schaffen zu lassen und sogar noch seine Zufriedenheit darüber zu zeigen, bevor hinter ihm plötzlich die Blaulichter aufleuchten… Das ist eine Geschichte von einem Bekannten, die so ein wenig nach urbaner Legende klingt, aber wohl tatsächlich schon mehreren Leuten so passiert ist. Dasselbe gilt für die roten Ampeln im Film: Immer wieder fahren sie mit dem Fahrrad bei Rot drüber und nie passiert etwas – bis wir auch diese aufgebaute Erwartung wieder brechen.
FILMSTARTS: Ich habe im Presseheft gelesen, dass der Protagonist zunächst ein Vater in seinen Fünfzigern mit zwei Kindern werden sollte. Jetzt mal Butter bei die Fische: Hat die Neuausrichtung auch etwas mit dem Erfolg von „Der Rausch“ mit Mads Mikkelsen zu tun, dass ihr euch da vielleicht noch etwas deutlicher von der Konkurrenz abheben wolltet?
Markus Goller: Überhaupt nicht. Ich habe den Film auch gar nicht gesehen.
Oliver Ziegenbalg: Also ich habe ihn gesehen, während wir gedreht haben – und er ist wirklich fantastisch. Aber unser Film hat mit einem Familienvater einfach nicht funktioniert: Wenn Mark Mist baut, dann verzeiht man ihm das auch deshalb, weil er sich damit vor allem selbst schädigt – als Ehemann und Vater zweier Kinder wäre die Figur hingegen schnell endgültig untendurch gewesen. Das ging so nicht, da hätten wir das Publikum verloren. Aber es war ein Prozess, das zu verstehen – und dann kam ein Hinweis von Markus‘ Frau, die meinte, dass das Thema für jüngere Leute doch ohnehin viel wichtiger und interessanter sei als für 50-Jährige, die sich vermutlich nicht mehr groß ändern werden.
FILMSTARTS: Ihr habt mit Sunny Side Up eure eigene Produktionsfirma gegründet. Wie sehr rasseln einem da beim Dreh die vielen Euros, die das alles kostet, durch den Kopf? Oder bedeutet es wirklich nur mehr Freiheit?
Markus Goller: Man spürt natürlich auch die Verantwortung, gerade beim Dreh ist das schon extrem. Da muss man schon auch total mutig sein. Aber es gibt eben auch die guten Seiten: Zum einen können wir mehr Mitbestimmen – und offenbar kommt unsere Art, mit Themen oder Erfahrungen umzugehen, ja auch beim Publikum oft sehr gut an. Zum anderen hat man mehr Freiheiten: So haben wir in „One Of The Road“ eine Menge Songs, die wir bei „normalen“ Produzent*innen niemals durchbekommen hätten, einfach weil sie viel zu teuer sind – aber uns ist es eben extrem wichtig, also haben wir dafür schon im Vorfeld einen hohen Budgetposten eingeplant. Das musste einfach sein!
FILMSTARTS: Wir haben „One For The Road“ ja für unsere Reihe „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt. Warum haben wir uns richtig entschieden? ;-)
Markus Goller: Weil es super wichtig ist, dass solche Themen auf diese Art erzählt werden – wir wollen nicht belehren, wir wollen zur Kommunikation anregen. Und wir haben es immer wieder erlebt, wie die Leute nach dem Film angefangen haben, offener miteinander zu sprechen – über Alkohol, Drogen, aber auch über ganz andere Dinge. Selbst wenn man direkt nach dem Film einen trinken geht, ist das voll okay – aber es wird mit einem Mal drüber gesprochen…
„One For The Road“ läuft aktuell in den deutschen Kinos:
PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „One For The Road“ ist unsere Wahl für den Oktober 2023.