Vor Kurzem hat Disney angekündigt, dass es auch vom Tierfilm-Klassiker „Bambi“ eine Realverfilmung geben wird. Mit Oscar-Preisträgerin Sarah Polley (Drehbuch-Oscar für „Die Aussprache“) hat das Studio auch schon eine Regisseurin gefunden, nicht bekannt hingegen ist, wer den Jäger (und damit die einzige Menschenrolle) spielen wird.
Wie „real“ das Live-Action-Remake am Ende tatsächlich ist und ob es wie das Original von 1942 dazu in der Lage sein wird, mehrere Generationen von Kindern zu traumatisieren (wer hat nicht wenigstens einmal in seinem Leben den Tod von Bambis Mutter beweint?), bleibt abzuwarten.
Ein Termin für den Kinostart steht bisher nicht fest. Bis wir die zeitlos berührende Geschichte über das kleine Rehkitz zu sehen bekommen, kann es also noch eine ganze Weile dauern. Wer nicht so lange warten möchte, kann sich die Zeit bis dahin mit zwei anderen Real-Life-Versionen von „Bambi“ vertreiben – die es ziemlich in sich haben, obwohl so gut wie niemand sie kennt!
Diese "Bambi"-Realfilme sind völlig unbekannt – aber absolut sehenswert!
Natalya Bondarchuk ist Filmfans vor allem durch ihre Rolle in Andrej Tarkowskijs Sci-Fi-Meisterwerk „Solaris“ bekannt, doch ebenso wie ihr Vater Sergey Bondarchuk (Golden Globe und Oscar für seine 1966er-Version von „Krieg und Frieden“) ist sie nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Regisseurin aktiv.
Zwischen 1983 und 2015 hat die russische Filmemacherin sieben Filme und eine Miniserie inszeniert, darunter „Detstvo Bembi“ (zu Deutsch: „Bambis Kindheit“) und „Yunost Bembi“ („Bambis Jugend“). Beide Filme gibt kann man in der russischen Originalfassung mit englischen Untertiteln auf DVD erwerben:
Während die Disney-Version in knappen 70 Minuten davon erzählt, wie Bambi vom unsicheren Rehkitz zum König des Waldes wird (2006 gab es noch eine späte Direct-to-Video-Fortsetzung), teilt Bondarchuk die Lebensphasen des Rehs auf zwei Filme auf. Dabei orientiert sie sich eher an der 1922 erschienenen Romanvorlage von Felix Salten als an dem berühmten Zeichentrickfilm – doch eigentlich schafft die 73-Jähige mit ihrem „Bambi“-Doppel etwas komplett Eigenes...
Im Gegensatz zu Disney (zumindest vermuten wir das) nimmt Bondarchuk den Realfilm-Aspekt nämlich ziemlich ernst: Sowohl in „Bambis Kindheit“ als auch in „Bambis Jugend“ sind zahlreiche echte Waldtiere zu sehen, die ihrem Alltag nachgehen. Weil in der Wildnis lebende Tiere allerdings ziemlich schwer zu beeinflussen sind, dachte sich die Regisseurin eine andere Lösung aus: Sie ließ sich die Tiere einfach in Menschen verwandeln!
"Die Zauberflöte" meets "The Wicker Man"
Die Schauspieler*innen tragen Hippie-Gewänder und vollziehen die Handlung in erster Linie über Tanz, Bewegungen, Blicke und Gesten nach – eine klassische Geschichte erzählt Bondarchuk nicht, vielmehr setzt sie voraus, dass ihr Publikum bis zu einem gewissen Grad mit dem Fortlauf der Story vertraut ist. Und selbst wenn nicht: „Bambis Kindheit“ und „Bambis Jugend“ funktionieren auch so, wenn man sich auf Bondarchuks ungewöhnlichen Ansatz einlässt und ein gewisses Maß an Esoterik akzeptiert.
Die beiden Filme sind verspielte sensorische Erlebnisse, manchmal näher an einer surrealen Ballett-Inszenierung als an klassischer Film-Dramaturgie – und doch ist es Kino durch und durch, wie Bondarchuk mit Lichtstimmungen, Überblendungen, Farben und Perspektiven arbeitet, um die Gefühle ihrer Figuren zu bebildern. Ob das Disney-Remake an dieses einzigartige Projekt irgendwo zwischen Tarkowskij, Disney, „Die Zauberflöte“ und „The Wicker Man“ heranreicht? Zumindest der Autor dieser Zeilen hat da so seine Zweifel...