Am 25. Mai 2023 ist die Fantasy-Serie „Der Greif“, die auf dem gleichnamigen Roman von Wolfgang und Heike Hohlbein basiert, beim Streaming-Anbieter Amazon Prime Video gestartet. FILMSTARTS-Redakteur Stefan Geisler hat Sebastian Marka und Erol Yesilkaya, die Showrunner der Serie, via Zoom zum Interview getroffen und mit ihnen über die Produktion von „Der Greif“, die Schwierigkeiten von Genre-Produktionen in Deutschland, die Sprache der Filme und die Liebe zum Werk von Wolfgang Hohlbein gesprochen.
"Der Greif" ist Genre-Pionierarbeit
FILMSTARTS: Warum „Der Greif“? Was zeichnet diesen Roman aus?
Sebastian Marka: Ich habe „Der Greif“ schon als Kind gelesen und das hat in mir Bilder kreiert. Und auch die Message von Wolfgangs Roman war überwältigend: Man kann Hass nicht mit Hass bekämpfen. Für uns war das schon fast Anti-Kriegs-Fantasy. Das ist eine epische Fantasy-Geschichte, großartige Genre-Kost mit einer guten Aussage, die wir schon als Kind gelesen haben, und der Faszination dieser Welt sind wir erlegen.
FILMSTARTS: Warum wurde Wolfgang Hohlbein so lange missachtet, wenn es um Fantasy-Adaptionen geht? Immerhin ist er doch der größte deutsche Fantasy-Autor.
Erol Yesilkaya: Wolfgang Hohlbein ist der erfolgreichste lebende deutsche Autor überhaupt. Wenn in der deutschen Filmindustrie in irgendeiner Hinsicht die Möglichkeit bestanden hätte, einen Roman von Wolfgang Hohlbein zu adaptieren, dann wäre das mit Sicherheit gemacht worden – und es gab ja auch Versuche: Ich war selbst daran beteiligt, eine Umsetzung seines Romans „Mörderhotel“ zu realisieren. Doch daraus ist nichts geworden, es fehlte am Budget und auch am Glauben an den Erfolg des Fantasy-Genres. Selbst eine Verfilmung wie „Krabat“ war zwar erfolgreich, aber auch kein riesiger Hit – das schreckt ab. Durch das Aufkommen von den Streamern ergeben sich jetzt ganz andere Möglichkeiten.
Sebastian Marka: Eigentlich wollten wir „Der Greif“ in Amerika als Film umsetzen, hatten dazu auch Gespräche, doch dort ist Wolfgang Hohlbein weitestgehend unbekannt. In Amerika war zu diesem Zeitpunkt außer „Märchenmond“ noch kein Roman von Wolfgang Hohlbein erschienen. Und das ist natürlich ein Problem – wenn du als deutscher Autor in Amerika nicht populär bist, dann bekommst du die großen Budgets nicht. Und in Deutschland wollte jeder das machen, doch hier fehlte das nötige Budget, weil uns die entsprechende Industrie damals fehlte.
In Deutschland ist der Wunsch nach filmischer Verspieltheit oder auch die Akzeptanz neuer, gewagter Stoffe nicht durch das Publikum erlernt. Es gibt E- und U-Literatur [Anm.: Ernsthafte Literatur und Unterhaltungsliteratur]. Der Genre-Markt muss sich entwickeln. Ein Beispiel: Vor Jahren hieß es „Deutsche können keine Thriller schreiben“ und dann kamen Sebastian Fitzek und viele seiner Kollegen und inzwischen ist es völlig normal, dass superspannende Thriller aus Deutschland kommen.
Das Gleiche auch bei „Der Greif“: Wir betreiben hier Pionierarbeit. „Der Greif“ ist der erste Versuch, ein deutsches Fantasy-Buch aus Deutschland heraus, mit deutschen Mitteln – und auch einem deutschen Budget, das sehr hoch ist, aber trotzdem nicht vergleichbar mit Serien-Produktionen wie „Herr der Ringe“ oder „The Witcher“ – umzusetzen und wir hoffen natürlich, dass die Zuschauer offen dafür sind. Und ich kann nur so viel sagen: Es stehen aktuell sehr viele Fantasy-Projekte aus, die nur auf „Der Greif“ gucken und schauen, ob die Serie gut angenommen wird.
Genre-Produktionen aus Deutschland
FILMSTARTS: Warum haben es Genre-Produktionen in Deutschland noch immer so schwer? Was sind die Gründe dafür?
Erol Yesilkaya: Zum einen liegt es wie gesagt daran, dass die Budgets bisher gefehlt haben und zum anderen auch daran, dass das Verständnis für die Sprache des Genres fehlt. Film ist Sprache – als ich damals Hongkong-Film studiert habe, kam „Tiger & Dragon“ in die Kinos. Für mich waren Dinge wie Wire-Fu ganz normal. Es war nichts Ungewöhnliches, dass Leute an Drähten durch die Luft fliegen und mit Schwertern kämpfen. Doch die Zuschauer haben sich im Kino kaputt gelacht. Es ist eine ganz andere filmische Sprache, die damals gar nicht akzeptiert wurde, weil die Leute das eben nicht gekannt haben. Das Gleiche auch für Fantasy: Es wurde hier selten gemacht, deshalb ist die Akzeptanz des Publikums nicht vorhanden.
Sebastian Marka: Wir sind zudem sehr von Amerika inspiriert, was Filme und Serien angeht und Deutschland hatte aus der eigenen Historie heraus auch in den letzten Jahrzehnten eine Menge aufzuarbeiten – das spiegelt sich natürlich auch in der Filmlandschaft wieder. So wurden hier wenig Genre-Filme produziert, sondern Dramen, die ernste Themen behandeln. Und wir haben in Deutschland eben keine wirkliche Filmindustrie wie in Amerika, die viele Milliarden Gewinn pro Jahr wirtschaftet.
Stattdessen haben wir jahrelang mit den Mitteln der Filmförderung oder den öffentlich-rechtlichen Programmen gearbeitet, die sehr viel Wert auf gesellschaftsrelevante Stoffe gelegt haben. Viele Genre-Produktionen haben auch eine relevante Botschaft, aber sie kommt manchmal vielleicht etwas kommerzieller daher. Genre-Stoffe wie Horrorfilme fallen daher oft unter den Tisch – wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender in einen Film einsteigt, dann möchte er ihn auch um 20.15 Uhr einem breiten Publikum präsentieren und muss dementsprechend eine Freigabe ab 12 erhalten. Aber Horror, z.B. funktioniert ab 12 nun mal nicht.
Das sind alles so system-immanente Gründe und deshalb haben wir auch noch nicht viele dieser Produktionen aus Deutschland gesehen. Vielleicht kommt es uns dann deshalb auch immer etwas fremd und komisch vor, wenn wir dann solche Produktionen aus Deutschland sehen – das wird sich aber geben, da durch die Streamer plötzlich eine Industrie da ist, die auch Interesse an Genre-Produktionen hat. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind mittlerweile offener für Genre. Es braucht einfach seine Zeit, um diese Filmsprache zu akzeptieren und zu sagen: „Es ist okay, wenn Horror in Berlin spielt oder Fantasy in Krefeld“.
Erol Yesilkaya: Das gilt nicht nur für das Publikum, das gilt auch für uns Filmemacher. Es ist nicht so, als ob man eines Morgens aufsteht und plötzlich der Meister eines Genres ist. Wenn man eine Sache liebt, dann muss man sie auch machen dürfen und auch scheitern dürfen. Wenn du laufen lernst, fällst du doch auch auf die Fresse, bevor du richtig gut laufen kannst. Man kriegt in Deutschland gar nicht richtig die Chance dazu, Genre zu machen, zu scheitern, zu lernen und sich zu entwickeln. Sebastian und ich haben versucht, unsere Horror- und Thriller-Aspekte vor allem aus dem Tatort heraus zu entwickeln. Da haben wir Geister-Elemente reingebracht und so versucht, unsere Sprache zu erlernen.
FILMSTARTS: Welche Hürden musstet ihr bei der Entwicklung eines so großen Stoffes nehmen? Wie habt ihr es geschafft, ein solches Werk in eine Serienform zu pressen?
Sebastian Marka: Wir haben uns nicht das ganze Buch vorgenommen, sondern erst einmal nur das erste Teilkapitel – also die Befreiung von Thomas.
Erol Yesilkaya: Letzten Endes schaut man einfach, was der Ansatzpunkt ist, der sich am komprimiertesten erzählen lässt, der die Essenz des Romans am besten wiedergibt. Bei „Der Greif“ war es das ganz klar, da der Roman in einzelne Bücher unterteilt ist. Also fast schon wie einzelne Staffeln. Zudem will man die Essenz, von dem, was man selber gefühlt hat, als man den Roman gelesen hat, irgendwie in die Serie übertragen. Dementsprechend haben wir Mark auch älter gemacht als in dem Roman. Obwohl der Roman eine junge Hauptfigur hat, fühlte er sich aber eher „dark“ und „gritty“ an. Ein bisschen härter, als man es sonst gewohnt war. Und dieses Gefühl wollten wir einfangen.
Zudem ist Wolfgangs Stil auch oftmals sehr intuitiv. Sätze wie „Und Mark wusste einfach, dass er dahin gehen musste“ stellen einen als Drehbuchautor schon vor eine Herausforderung. Wir mussten das konkretisieren, Bilder finden, visuelle Ideen einbauen, die das Ganze konkretisieren. Generell hat man immer eine Ökonomisierung des Erzählens. Du musst immer verknappen, immer.
Fantasy ist ur-archaisches Geschichten-Erzählen
FILMSTARTS: Wenn wir uns mal die erfolgreichen Fantasy-Serien der letzten Jahre angucken „Dark“ oder „Stranger Things“, dann ist dort das Fantastische immer mit einem nostalgischen Faktor verknüpft. In welcher Verbindung stehen nach eurer Meinung Fantasie und Nostalgie?
Erol Yesilkaya: Das ist auch so ein Generationsding, gerade auch von den Machern der Serien, würde ich sagen. Die Duffer-Brüder [Anm. d. Red.: Schöpfer von „Stranger Things“] sind hundertprozentig aufgewachsen mit Steven Spielberg. Wir sind mit Steven Spielberg und Wolfgang Hohlbein aufgewachsen – so ist unsere Mischung entstanden. Oftmals ist es so, dass bestimmte Leute aus einer Generation einfach eine Idee haben und sagen: „Hey, das ist die Idee! Daraus machen wir einen Film“. Und dann kommt drei Wochen später exakt diese Art von Film raus und danach noch einer in der Art und noch einer...
Sebastian Marka: Ich glaube, es gibt viele Wege, wie man als Filmemacher zum Film kommt, vielleicht weil man etwas Traumatisches oder Besonderes erlebt hat und der Meinung ist, dass man dies im Film am besten ausdrücken kann. Oder weil man als junger Mensch im Kino saß und dieses besondere Gefühl, das man als Kind hatte, als man beispielsweise zum ersten Mal „Jurassic Park“ gesehen hat, ständig wiederherstellen will.
Du wirst dann Filmemacher und musst feststellen – Filme machen und Filme gucken ist ein Unterschied und dennoch findet man das Gefühl wieder. Es ist am ehesten in den fantastischen Stoffen zu finden, in diesem ur-archaischen Geschichtenerzählen. Dann versucht man als Filmemacher dieses Kindheitserlebnis im Kino wiederherzustellen. Das machen die Duffer-Brüder genauso wie wir. Es gibt nichts Schöneres, als bei der Premiere im Kino zu sitzen und bei anderen dieses Gefühl zu sehen...
FILMSTARTS: Welche anderen Hohlbein-Bücher würdet ihr bei entsprechendem Erfolg von „Der Greif“ gerne noch adaptieren?
Erol Yesilkaya: Ich würde noch immer super gerne „Mörderhotel“ adaptieren und ich hätte gerne „Hagen von Tronje“ umgesetzt – aber der Drops ist ja jetzt gelutscht... Und „Töchter des Drachen“ wäre noch ein Favorit von mir.
Sebastian Marka: „Märchenmond“, „Midgard“ und natürlich „Das Druidentor“.
"Der Begriff Fantasy ist so vorbelastet": Wir sprechen mit Autor Wolfgang Hohlbein über die Serien-Adaption von "Der Greif"