+++ Meinung +++
Kommen wir erst mal zum Stein des Anstoßes. Quentin Tarantino hat im Podcast „2 Bears, 1 Cave“ folgende Beobachtung geteilt: „Ein Teil der Marvel-ization Hollywoods ist, dass es da all diese Schauspieler gibt, die durch das Spielen dieser Figuren berühmt werden. Aber sie sind keine Filmstars, oder? Captain America ist der Star. Thor ist der Star. Ich bin nicht der Einzige, der das gesagt hat, es wurde schon unzählige Male gesagt … aber es ist, als ob diese Franchise-Charaktere die eigentlichen Stars sind.“
Aber ist das wirklich ein derart kontroverses Statement? Um das zu beurteilen, fängt man am besten direkt ganz oben an – nämlich beim mit riesigem Abstand höchstbezahlten Avenger: Robert Downey Jr. hat schließlich absolute Traumgagen für seine späteren MCU-Auftritte eingefahren – wenn er kein Filmstar ist, wer dann?
Aber dann schaut man sich mal seine Karriere am Box Office an: Auf den ersten 13 (!) Plätzen nur Marvel und die beiden „Sherlock Holmes“-Filme. Erst auf Platz 14 kommt mit „Die fantastische Reise des Dr. Dolittle“ die erste Produktion, die wirklich vornehmlich auf seinen Schultern lastete – und die war gemessen am gewaltigen Budget ein heftiger Flop!
Robert Downey Jr. als Tony Stark alias Iron Man ist ein Filmstar! Robert Downey Jr. als Sherlock Holmes ist ein Filmstar! Robert Downey Jr. ist ein großartiger Schauspieler und eine Ikone des Indie-Kinos der 1980er bis 2000er, aber selbst Robert Downey Jr. ist kein Filmstar!
Abgesehen von Leuten wie Christian Bale, die als Filmstar mal im MCU vorbeigeschaut haben, sind die einzigen beiden durch das MCU in neue Sphären katapultierten Schauspieler*innen, bei denen man ernsthaft über den Status als Filmstar diskutieren könnte, wohl Scarlett Johansson und Chris Hemsworth.
Quentin Tarantino ist nicht gleich Martin Scorsese
Im Gegensatz zu Martin Scorsese, der vor einigen Monaten ebenfalls viel Kritik einstecken musste, weil er gesagt hat, dass „Marvel-Filme kein Kino“ seien, hat Quentin Tarantino also erst mal nur eine – sicherlich auch meinungsgeprägte, aber gut belegbare – Beobachtung geteilt. Sie enthält an sich ja noch nicht mal eine Wertung dieser Entwicklung (selbst wenn Tarantino später im Podcast noch sagt, dass er die totale Marktkonzentration auf solche Filme problematisch findet und er mit fast 60 nicht mehr so sehr auf solche Filme abfährt, wie er es in seinen Zwanzigern mit Sicherheit noch getan hätte).
Und trotzdem musste Quentin Tarantino in den vergangenen Tagen einen nicht gewaltigen, aber doch spürbaren Gegenwind einstecken – u.a. ausgelöst durch zwei Tweets von Simu Liu, dem Darsteller des Titelhelden aus „Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings“:
Simu Liu schreibt also: „Wenn die einzigen Gatekeeper zum Filmstardasein Tarantino und Scorsese wäre, dann hätte ich nie die Möglichkeit bekommen, einen 400+-Millionen-Dollar-Film anzuführen. Ich bewundere ihr cineastisches Genie. […] Aber sie haben weder über mich oder sonst jemanden die Nase zu rümpfen. Kein Filmstudio ist perfekt oder wird je perfekt sein. Aber ich bin stolz darauf, mit einem Studio zu arbeiten, das nachhaltige Bemühungen unternommen hat, um die Diversität auf der Leinwand zu fördern, indem sie Helden kreieren, die Menschen und Gemeinschaften überall auf der Welt ermächtigen und inspirieren. Ich liebe das ‚Goldene Zeitalter‘ Hollywoods auch… aber es war durch und durch weiß.“
Nun kann man eigentlich alles, was Simu Liu sagt, genau so unterschreiben – nur wie er dabei auf die Aussagen von Quentin Tarantino kommt, erschließt sich nicht so richtig, denn eigentlich widersprechen sich der „Pulp Fiction“-Regisseur und der MCU-Star hier gar nicht.
Eigentlich sagen beide doch (fast) dasselbe
Quentin Tarantino sagt, dass im heutigen Blockbuster-Kino meist die Figuren und das Franchise selbst die Stars sind – und eben nicht mehr die Schauspieler*innen. Und genau das ist doch der Grund, warum Simu Liu als toller, aber bis dahin weitestgehend unbekannter Schauspieler plötzlich einen 400+-Millionen-Film anführen kann. Kevin Feige und Marvel suchen heutzutage nach einem möglichst passenden Darsteller und nicht zwingend nach einem Star – wo man früher selbst dann einen Star besetzen „musste“, wenn er viel weniger gut zu der Rolle gepasst hätte.
Und wenn Tarantino sagt, dass er die totale Konzentration des Filmgeschäfts auf ein einziges Franchise nicht gut bis problematisch findet, dann ist das auch weniger eine Kritik an Marvel als am Zustand Hollywoods im Allgemeinen. Wer die aktuell mächtigste Marke der Filmwelt kritisiert, der „rümpft“ auch nicht automatisch die Nase über einzelne Schauspieler*innen in diesen Filmen, sondern übt eine Systemkritik, wie man sie einem Kenner wie Tarantino auf jeden Fall zugestehen sollte.
Das wäre sonst ein bisschen so, als würde man Kritik an der FIFA verbieten, weil sie Fußballer*innen aus allen Teilen der Welt ermöglicht, sich auf einer größtmöglichen Bühne zu zeigen…
Noch vor seinem 10. und letzten Film? Quentin Tarantino kündigt völlig neues Geheimprojekt an