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Thomas Z.
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4,5
Veröffentlicht am 20. Dezember 2023
Im Hinterland von Iowa ticken die Uhren noch anders. Fast in Zeitlupe verlaufen die Leben der einfachen Landbevölkerung, geprägt von täglicher Routine, automatisierten Abläufen und Ritualen. Klingt langweilig, ist es aber mitnichten, da Lasse Hallström viel Wert auf eine sehr detaillierte Charakterzeichnung seiner Figuren gelegt hat. Trotz einer angepasst langsamen Erzählstruktur, bleibt die Milieustudie so stets auf einem gleichbleibenden Spannungslevel und kann den Zuschauer entsprechend vereinnahmen. Im Zentrum der Erzählung steht Gilbert Grape und seine Familie, bestehend aus zwei Schwestern, dem geistig eingeschränkten kleinen Bruder Arnie und der extrem übergewichtigen Mutter. Der Familienvater hatte sich vor Jahren das Leben genommen. Gilbert hat sich seitdem bis zur Selbstaufgabe dem Wohl seiner Familie verschrieben, insbesondere des behüteten Aufwachsens seines behinderten Bruders. In diese beschauliche "Idylle" bricht Becky ein, eine Reisende, jung, aktiv, attraktiv und charismatisch. Ob Lasse Hallström ahnte, welche Jungschauspieler ihm bei seiner Coming-of-Age-Geschichte zur Verfügung standen, ich weiß es nicht. In jedem Fall war das der Unterschied. Johnny Depp als Gilbert Grape, die zauberhafte Juliette Lewis als Becky und ein unfassbar talentierter junger Mann als Arnie Grape, der für diese Rolle mit 20 Jahren eine Oscarnominierung zum besten Nebendarsteller 1994 erhielt: Leonardo Di Caprio. Kaum zu glauben, dass der Oscar an Tommy Lee Jones für seine Performance in "Auf der Flucht" ging. Da fehlte es dem Gremium wohl einfach an Mut. An alle, die diesen Film noch nicht gesehen haben: Nachholen, es lohnt sich wirklich!
Gilbert Grape ist an sich ein sehr stiller Film. Gilbert Grape lebt mit seiner Familie in bescheidenen Verhältnissen irgendwo in Iowa. In the middle of nowhere. Sein Vater hat sich erhängt ohne auch nur ein Sterbenswort über seine Beweggründe für diesen drastischen Schritt zu hinterlassen. Seine Mutter kommt damit nie wirklich klar. Sie erstarrt förmlich, frisst alles buchstäblich in sich hinein, erkrankt an Fettsucht. Gilbert schlüpft ein Stück weit in die Rolle des Ersatzvaters und kümmert sich so gut er kann um alles - seine Mutter, die das Haus aus besagten Gründen nicht mehr verlasssen kann, seinen jüngeren, geistig behinderten Bruder Arnie, seine Schwestern, das marode Farmhaus. Er selber stellt seine Bedürfnisse stets hinten an. Erst die Bekanntschaft mit der durchreisenden Camperin Becky weckt in ihm das Bedürfnis, auch über seine Wünsche und eine eigene Lebensplanung nachzudenken. Das Ganze hört sich nicht sehr spannend an. Ist es aber. Die an sich belanglose Handlung und die meist schrägen Underdogs aus Iowa entwickeln überraschenderweise einen nahezu magischen Sog, von dem man sich nur allzu mitten in die Einöde Iowas hineinziehen lässt. Irgendwie schafft es Regisseur Lasse Hallström den ganzen doch recht schrägen und verschrobenen Figuren, die den Film reihenweise bevölkern, massenhaft Sympathiepunkte abzuringen. Man empfindet kein Mitleid mit den Figuren, sondern fühlt tatsächlich mit ihnen mit, nimmt gefühlt hautnah an ihrem Leben teil. Irgendwie hat der Film dadurch fast schon was Spirituelles Abgesehen von der perfekten Inszenierung kann Gilbert Grape natürlch durch seine Besetzung brillieren. Wir erleben die Geburtsstunde zweier Weltstars. Johnny Depp als Gilbert und Leonardo Di Caprio als sein geistig zurückgebliebener jüngerer Bruder Arnie zeigen spätestens in dieser Inszenierung, dass sie zu den ganz Großen in Hollywood aufsteigen werden. Die wunderbare Juliette Lewis ist zumindest für mich meist schon allein Grund genug einen Film zu schauen. Tolles Ensemble bis in die kleinste Nebenrolle. Tolle Inszenierung. Ergreifend. Sympathisch. Magisch. Spirituell. Großartig.
Ich finde sehr interessant, wie hier die dramatische Familiensituation mit Komik versetzt wird. Das gelingt dem Film sehr gut, das zeichnet ihn aus, das macht ihn unterhaltsam und sehenswert. Die Personen, die geschriebenen Rollen, machen Spaß. Dafür sorgen gutes Schauspiel und unterhaltsame Dialoge. Die Geschichte wird ansehnlich entwickelt, einerseits sanft und langsam und doch irgendwie erschütternd. Gegen Ende wird es mir an der ein oder anderen Stelle ein bisschen zu kitschig, hätte man vielleicht auch dezenter machen können (wie vorher im Film) und nicht so arg romantisieren müssen, aber okay.
Ein Sehenswerter Film, der zwischen Tragik, Komödie und Drama hin- und herschwankt. Der Film ist einfach sympathisch, amüsant, melancholisch, schön und herzlich. Schauspielerisch Muss man als erstes Leonardo DiCaprio nennen, der den geistig behinderten, wasserscheuen, klettersüchtigen Jungen Arnie spielt, er bekam sogar eine Oscar-Nominierung hierfür. Weiterhin erwähnenswert natürlich die göttliche Juliette Lewis und natürlich auch Johnny Depp, der oft für außergewöhnliche Charaktere hinhalten muss. Großes Lob auch an den Regisseur Lasse Halström, der es schafft, amerikanische Werte ironisch darzustellen, ohne sie lächerlich zu machen.
Gilbert Grape ist einfach ein grandioses Portrait, dass von seiner schauspielerischen Exzellenz lebt. Leonardo DiCaprios Darstellung eines geistig zurückgebliebenen ist schlichtweg bewundernswert und auch Johnny Depp brilliert hier als Protagonist, der an alle anderen denkt, jedoch nichts für sein Wohl tut. Dieser Film ist für mich ein sehr starkes und emotionales Drama, dass mehr als nur sehenswert ist.
Gilbert Grape ist kein Held. Er ist kein Mensch, der alles richtig macht. Er sucht noch nach seinem Weg, ohne zu wissen, was immer die richtige Entscheidung ist. Allerdings schimmert durch, dass er ein überaus einfühlsamer und aufrichtiger Mensch ist. Obwohl die Behinderung seiner Bruders es ihm schwer macht, ihn immer gut zu behandeln, liebt er ihn. Seine Schwestern hingegen tadeln ihn stattdessen, wenn ihm die ganze Familie zu Kopf steigt. Allerdings ist es so, dass er – wenn es drauf ankommt – seinem Bruder immer zur Seite steht.
Der erste Moment, in dem Gilbert sich mit seinem Leben auseinandersetzen muss, ist der, als die Karawane durch seine Stadt zieht. Wie jedes Jahr. Diesmal geht einer jungen Dame und ihrer mitreisenden Mutter der Motor kaputt und sie müssen rasten. Die Geschichte spielt nun in der Zeit, in der diese beiden, von Grund auf verschiedenen Lebenseinstellungen kollidieren. Und zwar in der Liebe der beiden Hauptfiguren. Gilbert ist verhaftet in seinem Leben, das bewegunglsos dahingleitet. Er lebt in gewisser Weise für seine Umwelt, und will selbst, so gesteht er sich ein, einfach ein guter Mensch sein. Sein Konflikt mit dem Neuen offenbart aber auch gleichzeitig den Konflikt mit dem Alten. Seine Mutter ist pflegebedürftig wegen ihrer selbst verschuldeten Fettleibigkeit, seine Schwestern sind beide noch jung und haben nur dieses Leben. Sie können nicht hinaus und er auch nicht.
Und so lebt Gilbert unbewusst zwischen diesen beiden Konflikten. Nur kann so seine Liebe zur unkomplizierten und lebensfrohen Becky nicht bestehen oder gar ausgesprochen werden. Die beiden verharren zwischen freundschaftlichem Spaß und hintergründigen Diskussionen. Ihre Liebe ist eindeutig. Nur keiner kann sie richtig aussprechen, auch wenn sie sich küssen und Sex haben. Es ist eben ein Problem zwischen Gefühlen, Verstand und Realität. Und genau dieser kommt in diesem Film so gut rüber wie in kaum einem anderen. Am Ende schließlich ist es ironischer Weise ein brutaler Schicksalsschlag, der ihn dazu bringt, sich von seiner Umgebung zu lösen. Sein Bruder Arnie und er warten – wie schon zu Beginn des Films – auf die durchziehende Karavane. Sein Bruder fragt ihn, ob sie auch weggehen können wie ihre Schwestern. Die Antwort, die er gibt, ist einfach: ''We can go anywhere.''
Auf diese Weise ist für mich ''Gibert Grape'' ein grandioses Meisterwerk geworden, das inhaltliche Komplexität auf einer direkten Gefühlsebene spürbar macht. Getragen von grandiosen schauspielerischen Leistungen, ist dieer Film ganz großes Kino voller intensiver Gefühle. Wenn Gilbert und Arnie gemeinsam durch das karge Iowa gehen und man ihren inneren Band auf körperlicher Ebene zu spüren glaubt, dann ist das schlichtweg das Beste, was sich ein Regisseur wünschen kann: vollkommene Anteilnahme mit den Figuren.
FAZIT: Subtiles Drama mit glaubwürdigen Charakteren, deren Konflikte ebenso nuanciert wie vielschichtig ausgearbeitet sind. Ein Film mit authentischen Darstellern, einem grandiosen Soundtrack und einer ungemein atmosphärischen Kameraarbeit.