"NO TRESPASSING" steht auf dem Schild auf dem Zaun. Kein Eintritt, kein Einblick für Nicht-Eingeweihte. Ein riesiges Schloss, ein Palast von unbegreiflicher Größe und Fülle, mittendrin ein alter Mann, der "Rosebud!" flüstert, eine Glaskugel fallen lässt und stirbt.
Nicht irngendein alter Mann, nein. Eine der größten und schillerndsten Persönlichkeiten ihrer Zeit, wie in einer Kurzdoku gezeigt wird. Ein Pionier, ein Innovator, eine lebende Kultfigur, die jedoch ihre frühe Glanzzeit im Alter für eine einsame Existenz einwechseln musste. Es ist jemand ganz Großes von uns gegangen, das steht schonmal fest. Die Kurzdoku endet, das Leben von Charles Kane ist dem Zuschauer nun bekannt. Aber etwas fehlt noch, möchte man meinen, und auch die Filmemacher im Film meinen dies. Rosebud, was bedeutet Rosebud? Die Hoffnung auf einen intimen Einblick in die Seele von Kane treibt einen Reporter auf eine Reise in die Erinnerungen über ihn, eine Reise hinter das "NO TRESPASSING"-Schild. Eine Suche, die für diesen im Endeffekt erfolglos bleibt - nicht jedoch für den Zuschauer. Denn der gute alte "Citizen Kane" ist auch ein "Mensch Kane". Und kein wirklich bemitleidenswerter.
"Citizen Kane" ist ein Blick hinter die Fassade eines Erfolgsmenschen, ein intimer, schonungsloser Blick, der hinter dem Reichtum und dem Wohlstand die traurige einsame Seele eines bemitleidenswerten Menschen zeigt. Diese Aussage ist nicht besonders neu oder originell, möchte man meinen. Doch hierbei sollte man bedenken, dass der Film recht alt (mittlerweile über 65 Jahre) ist und zu seiner Zeit durch seine Thematik durchaus hervorstach. Des Weiteren sind die Hetzkampagnen von William Randolph Hearst, einem der Vorbilder für die Figur des Charles Kane, welche auch zunächst für einen kommerziellen Misserfolg des Films gesorgt haben, eindeutig beweisen, dass der Film seine gewünschte Aussage und Wirkung auch erreichen kann. Die Entwicklung Kanes von einem idealgeleiteten Perfektionisten zu einer von seinen eigenen Idealen überrolten Persönlichkeit, die sich vorrangig um materielle Dinge kümmert und dabei sowohl die eigene Seele als auch die Beziehungen zu seinen Mitmenschen nach und nach verkümmern lässt, ist inhaltlich nahezu makellos und trotz der bruchstückartigen Erzählweise in sich schlüssig. Positiv anzumerken sind hier auch die Umschwünge zwischen den Zeitebenen, beispielsweise wenn das Foto von den besten Zeitungsredakteuren New Yorks gezeigt wird, die für eine von Kanes Konkurrenzzeitungen arbeiten, und nahtlos eine Szene angeschlossen wird, in der Kane einige Jahre später eben diese Redakteure in seinem Tagesblatt begrüßt. Auch der Wechsel von der "medialen" Darstellung von Kanes Leben in der Doku am Anfang zur intimen Errinerungserzählweise wirkt erzähltechnisch originell und sorgt gerade durch das Schlussbild, welches mit dem Anfangsbild gleich ist, für ein gewisses Schmunzeln und ein Gefühl, eben einen für andere nicht bestimmten intimen Einblick in jemandes Leben erlebt zu haben. Ein Blick durch einen Menschen statt nur auf den Menschen.
Inszenatorisch wirkt der Film selbst heutzutage sehr frisch, die Kameraperspektiven könnten meistens nicht besser sein, die vielen Licht- und Schattenspiele sorgen stellenweise für eine schöne "Noir-Atmosphäre" und Orson Welles kann als Charles Kane in jedem Alter der Figur überzeugen. Die Darstellung der Entfremdung von seiner ersten Frau oder die Zimmerverwüstungsszene beispielsweise sind filmisch einfach nur perfekt und bleiben im Gedächtnis.
Ob die Bezeichnung "bester Film aller Zeiten" gerechtfertigt ist, lässt sich erstmal schwer feststellen. Was die filmhistorische Bedeutung angeht, so kann man die stilbildende Wirkung des Films und seine inszenatorische Brillanz nicht leugnen, lediglich die Geschichte wirkt aus heutiger Sicht nicht mehr ganz so neu, trotz der tollen Darstellung und der nach wie vor gültigen Aussage. Dafür liefert der Film einiges an Nachdenkstoff, weswegen ich so kurz nach dem Schauen auch nicht seine ganze Wirkung einschätzen kann. Vorerst kann ich sagen: Sehr guter und sehr gut gemachter Film, welcher durch seine Erzählweise zu begeistern weiß, aber die erwaretete Wucht ein klein wenig vermissen lässt. Mal schauen, wie die Nachwirkung ausfällt.