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    Benny's Video
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Benny's Video
    Von Tobias Diekmann

    Schaut man sich das filmische Schaffen des österreichischen Regisseurs und Drehbuchautors Michael Haneke an, zeigt sich, welche Grundgedanken ihn immer wieder beschäftigen, denn die Fragen nach menschlicher Kontrolle, Gewalt, Isolation, (Non-) Kommunikation und die Möglichkeit der effektivsten Darstellung ihrer Medialisierung ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Filme. Dabei wird die Herangehensweise an solch universell-gesellschaftliche Themen mit einer derart gradlinigen Radikalität durchexerziert, dass sie in der Vergangenheit für Entsetzen bei einem Großteil des Publikums und der Kritik sorgten. Hanekes Filme besitzen keinen Unterhaltungswert, sondern fordern eine aktive Teilnahme des Rezipienten, ohne dabei eine inszenierte film-ästhetische Distanz aufzugeben, die es so schwer macht, sich mit den Bildern in Sicherheit zu wiegen oder sie unhinterfragt als das, was sie eben sind zu konsumieren. So entwirft auch der 1992 entstandene Film „Benny’s Video“ ein psychologisches Drama im Spannungsfeld von Einsamkeit und Isolation, das vor allem durch die starken selbstreferenziellen Aspekte verdeutlicht wird, und somit die Ambivalenz der Bilder in ihrer (physischen) Gewalteinwirkung für den Zuschauer auf ein höchstes Maß intensiviert.

    Benny (Arno Frisch, auch bekannt aus dem später entstandenen Haneke-Film Funny Games), ein pubertierender Schüler, lebt in einer schick eingerichteten Wohnung irgendwo in Österreich. Da seine Eltern (Ulrich Mühe, Angela Winkler) berufsbedingt wenig Zeit für ihren Sohn haben, ist das Verhältnis innerhalb der Familie kühl und distanziert. Der einzelgängerische Benny ist stattdessen mit den neuesten elektronischen Geräten ausgestattet worden, die sich als sein einziges wirkliches Interesse an etwas erweisen. Bei einem Besuch der Verwandtschaft auf dem Lande filmt Benny fasziniert die Tötung von Schweinen mit einem Bolzenschussgerät. Nachdem er in der heimischen Videothek ein Mädchen (Ingrid Stassner) kennen lernt und mit zu sich nach Hause nimmt, tötet er diese mit dem entwendeten Gerät, lässt die Tat von seiner Kamera aufzeichnen. Am Abend spielt Benny seinen Eltern das gefilmte Material vor. Nachdem diese sich dazu entschieden haben, die Spuren des „Missgeschicks“ zu beseitigen, fliegt die Mutter mit Benny nach Ägypten in den Urlaub, während der Vater zuhause die Leiche des Mädchens beseitigt. Doch auch wenn im weiteren Verlauf scheinbar alles seinen gewohnten Gang geht, kommt Benny um die Verantwortung für die Tat nicht herum.

    Gleich die erste Szene entpuppt sich als ein wackeliges Bild durch Bennys Kamera auf ein vor Angst zitterndes Schwein, das Bolzenschussgerät an der Stirn, dann der Schuss. Stopp. Rewind. Die gleiche Szene noch mal, diesmal jedoch in Zeitlupe. Bereits diese Eingangssequenz in „Benny’s Video“ verdeutlicht eindringlich Hanekes Umgang mit der Ambivalenz und Manipulation der (Film-)Bilder, indem hier und auch im weiteren Verlauf Videosequenzen zwischengeschnitten werden und immer wieder die Position des Betrachters verändern. Wir erhalten somit eins zu eins Eintritt in Bennys Welt(blick), denn seine Sicht ist die des Filmbildes, die wiederum auch unsere sein muss, ob nun in Form des „point of view“ oder als außenstehender Zuschauer. Bennys Zimmer ist abgedunkelt, hat er doch heiß laufende Monitore und Fernsehgeräte, die ihm das Geschehen vor der Tür (und in der Welt) dokumentieren. Die abgefilmte Wirklichkeit wird zu seinem persönlichen „Fenster zur Welt“. In einer bezeichnenden Szene deutet das Mädchen auf den Bildschirm mit der Frage, was genau das ist. Benny antwortet lapidar: „Das ist die Aussicht.“ Für ihn stellen diese Realitätskopien im Fernsehformat seine Umwelt dar. Diese ist gesichert, so lange er sie aufzeichnen oder eben stundenlang in Endlosschleife abfilmen kann. Wenn er sie braucht, werden sie abgerufen, vergrößert, wiederholt oder verlangsamt. Benny scheint fasziniert von der medialen Möglichkeit, Gefühlsregungen in Gesichtern mit der Linse abzusuchen, und dokumentiert mit vollem Eifer die Menschen in ihrer Umgebung. Menschliche Empfindungen sind ihm selbst fremd. Seine Eltern glänzen stattdessen mit ständiger Abwesenheit.

    So fokussiert sich auch der Film vor allem in der ersten Hälfte voll und ganz auf Benny und sein Leben zwischen Schule und virtueller Traumwelt, bevor seine Eltern überhaupt häufiger ins Blickfeld gerückt werden. Die Tötungsszene an dem Mädchen bildet eine Art gewalttätigen Höhepunkt, die in einer kaum zu ertragenen starren Plansequenz von Bennys Kamera aufgezeichnet wird, und den Zuschauer allein über die auditive Wahrnehmung am Geschehen teilhaben lässt. Dies alles passiert mit einer Beiläufigkeit, die auch in ihrer inszenatorischen Schlichtheit schon erschreckend ist. Wenn Benny immer wieder das Bolzenschussgerät mit den Worten ansetzt: „Sei einfach nur ruhig“, und später zu Protokoll gibt, er wollte halt einfach mal sehen wie das ist.

    Die Intensität vieler Szenen liegt vor allem im reduzierten Spiel von Arno Frisch, der seinen Benny nahezu regungslos in Mimik und Gestik gibt, und gerade dadurch eine unglaubliche Tiefe erfährt. Auch Angela Winkler als Mutter weiß zu überzeugen, der man die Belastung der unterdrückten Gefühle in jeder ihr gewidmeten Szene abnimmt. Ulrich Mühe ist so oder so schauspielerisch über jeden Zweifel erhaben, wobei seine Vaterfigur mitunter doch ein wenig zu unterkühlt und emotionslos daherkommt. Wenn er sich mit seiner Frau nach der Beichte des Sohnes über die weitere Vorgehensweise berät und diese in Anbetracht der prekären Situation in einen Heulkrampf ausbricht, wirken Sätze wie „Ich bitte dich. Es hat keinen Sinn, sich jetzt gehen zu lassen“ dann doch eine Spur zu bemüht hart und formelhaft. Im Ganzen können aber die beiden ihren Rollen die nötigen Facetten geben, um den Zuschauer zu fesseln.

    Dennoch werden sicher nicht alle mit „Benny’s Video“ einverstanden sein. Dazu wirkt das hier gezeichnete Familien- und Gesellschaftsszenario dann und wann doch eine Spur zu überzeichnet und in ihrer Sichtweise für einige sicherlich unglaubwürdig und kaum differenziert. Wer darüber hinaus expliziten Gewaltdarstellungen und schwerem Kopfkino wenig abgewinnen kann, wird sich generell nicht mit Hanekes Schaffen anfreunden können. Wer sich andererseits jedoch in die Welt des „ewigen Provokateurs“ begeben will, sollte sich diesen Film unbedingt anschauen, da er in seiner radikal konsequenten Verweigerung moralischer Lösungsvorschläge einer medialisierten Gesellschaft immer noch von einer großen aktuellen Brisanz ist.

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