In seiner ursprünglichen Fassung ist „Dumplings“ eine von drei Episoden der asiatischen Horror-Anthologie „Three... Extremes“. Die beiden anderen Beiträge sind „Box“ vom japanischen Filmemacher Takashi Miike und „Cut“ von Chan-wook Park aus Südkorea. Fruit Chang entschloss sich im Nachhinein, seine etwa vierzig Minuten umfassende Episode zu einem eigenständigen Spielfilm auszubauen. Das Ergebnis ist eine ungewöhnliche Mischung aus Horrorfilm und gesellschaftskritischem Drama.
Nach ihrem Medizinstudium hat die charismatische und extravagante Mei (Bai Ling), von allen nur „Tante Mei“ genannt, in der Volksrepublik China als Gynäkologin gearbeitet und als solche auch häufiger Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Mittlerweile lebt sie in Hongkong und hat sich ganz dem Anti-Aging-Trend verschrieben. Seitdem sie ein Geheimrezept für Teigtaschen (Dumplings) entdeckt hat, welche eine merkliche Verjüngung der Haut bewirken, boomt das Geschäft. Ihre Zielgruppe sind Kunden aus der gutbetuchten Oberschicht, die bereit sind, für ihre Wunderspeise Höchstpreise zu zahlen. Wie zum Beispiel die Schauspielerin Qing Li (Miriam Yeung), deren Tage als Fernsehstar bereits der Vergangenheit angehören. Auch auf ihren Mann (Tony Ka-Fei Leung) scheint sie nicht mehr attraktiv zu wirken, denn dieser vergnügt sich schon seit längerem lieber mit knackigen 20-jährigen Häschen wie der hübschen Masseurin aus dem Hotel, in dem das Ehepaar bis zur Fertigstellung ihres neuen Hauses residiert. Frau Li hofft nun, mit Tante Meis sagenhaften Teigtaschen eine wirkungsvolle Verjüngungskur gefunden zu haben, die in dieser Hinsicht Abhilfe schaffen soll. Sie stattet Mei einen Besuch ab, welche das spezielle Mahl auch gleich direkt im Nebenraum zubereitet. Die Füllung der Teigtaschen ist indes alles andere als koscher: Wie sich recht schnell herausstellt, sind es – neben einigen Gemüsesorten – kleine, abgetriebene menschliche Föten, die sie regelmäßig von ihrer ehemaligen Klinik in China aus über die Grenze schmuggelt...
Das Perfide an der Geschichte ist, dass sich auch Frau Li von Anfang an darüber im Klaren ist, was die vielversprechenden Teigtaschen beinhalten. Zwar zeigt sie während ihres ersten Besuchs zuerst noch Hemmungen, die kleinen Pakete zu verspeisen, doch mit der Zeit lässt sie der Nutzen, welchen sie sich von dem barbarischen Mahl verspricht, über die Beschaffenheit der Zutaten hinwegsehen. Genau hierin liegt auch zum Teil der eigentliche Horror des Films, denn im Laufe der Handlung fällt bei der Protagonistin auf diese Weise eine menschlich-ethische Barriere nach der anderen – vor allem, sobald ihre spezielle Diät tatsächlich erste Wirkungen zu zeigen beginnt. In diesem Sinne hat „Dumplings“ eher den Charakter eines Dramas, welches mit einer Ehekrise beginnt und mit dem moralischen Verfall der Hauptfiguren endet.
Trotz dieser Tendenz in Richtung Drama enthält der Film dennoch einige Horrorszenen, die zum Teil jedoch erschreckender Weise aus dem Bereich des ganz Alltäglichen entnommen sind. So gelingt es Chan, beim Zuschauer schon dadurch ein Grausen zu erzeugen, dass z. B. Frau Li beim Essen gezeigt wird – ganz zu schweigen von den verräterischen Essgeräuschen, die dabei zu hören sind. Ein großer Teil der Wirkung wird natürlich durch eine gute Kameraführung erzielt, für die übrigens Christopher Doyle („Hero“, „2046“) verantwortlich zeichnet. Dementsprechend sind die jeweilige Einstellung sowie das Timing bei expliziten Ekelszenen jeweils sehr geschickt gewählt und werden zudem durch akustische Effekte eindrucksvoll untermalt.
Vom gesellschaftskritischen Ansatz her erinnert „Dumplings“ ein wenig an Richard Fleischers Dystopie „Soylent Green“ – mit dem Unterschied, dass sich die schreckliche Erkenntnis bei jenem erst langsam im Laufe des Films herauskristallisiert, während der Zuschauer bei Chans Werk gleich zu Anfang relativ schnell mitbekommt, was gespielt wird – der Akzent wird somit stärker auf das moralische Handeln der Protagonisten verlegt. Weiterhin handelt es sich bei „Soylent Green“ um eine groß angelegte Verschwörung innerhalb der Gesellschaft, wogegen „Dumplings“ in subtiler Weise auf bereits bestehende gesellschaftliche Strukturen und Trends zurückgreift: nämlich das Bedürfnis einer dekadenten Oberschicht nach äußerlicher Schönheit, welches sie mit den ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und – in diesem Fall – mit einer an Sozialdarwinismus grenzenden Lebensauffassung zu befriedigen sucht. Diesen Aspekt beleuchtet „Dumplings“ noch viel weitgehender und schonungsloser als beispielsweise die schwarze Komödie „Der Tod steht ihr gut“, welche ebenfalls den Schönheitswahn der upper class aufs Korn nimmt. Jenen undefinierbaren magischen Zaubertrank ersetzt Chan hierbei durch etwas sehr Konkretes, den menschlichen Fötus. Diesem wird zwar ebenfalls eine magische Wirkung zugesprochen, deren Wurzeln sich allerdings u. a. in die chinesische Mythologie zurückverfolgen lassen. Eine ähnliche Auffassung von dieser „Magie des Kannibalismus“ bildet z. B. auch die Grundlage von Antonia Birds „Ravenous – Friss oder stirb“.
Fruit Chan selbst merkt zum Thema seines Films an, dass bereits heute ein Schweizer Pharmakonzern Medikamente anbietet, die auf Lamm-Plazenta basieren. Weiterhin sieht er eine Tendenz auf Seiten der Konsumenten – nach dem Motto „Viel hilft viel“, – sich zunehmend für Produkte der Premium-Kategorie zu entscheiden. Gerade im Hinblick auf die Kultur und die Werte der asiatischen Gesellschaft wirkt auf ihn die Möglichkeit, dass wir eines Tages sogar menschliche Plazenta zu uns nehmen, nicht allzu abwegig – zumal diesen in der chinesischen Medizin bereits seit dem Altertum eine besondere Heilkraft zugeschrieben wird.
Ein Film wie „Dumplings“ ist natürlich in der Tat sehr geschmacksabhängig und nicht unbedingt jedermanns Sache. Der gesellschaftskritische Ansatz verleiht dem Ganzen hingegen schon einen gewissen Anspruch, womit er sich auch positiv vom Durchschnitt anderer Vertreter des Genres abhebt. Leider ist dem Film dennoch an einigen Stellen anzumerken, dass er aus seiner ursprünglichen Kurzfassung heraus noch einmal auf Spielfilmlänge gestreckt wurde, was besonders beim Schluss zum Tragen kommt, der etwas in der Luft hängt und beim Zuschauer deshalb ein wenig für Verwirrung sorgt. Wer auf zynische, makabre Filme steht, für den ist „Dumplings“ sicherlich ein gefundenes Fressen – in jedem Fall empfiehlt es sich als Kinobesucher einen starken Magen mitzubringen.