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    The Boss Of It All
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Boss Of It All
    Von Christian Schön

    Jeden Tag begegnen wir Menschen, die eine bestimme Funktion bekleiden. Seien das Schalterangestellte, Polizisten, Briefträger oder Kassierer im Supermarkt. All diesen Leuten vertrauen wir blind, dass sie das sind, was sie vorgeben. Läuft etwas schief, hält man die Person vor sich allemal für inkompetent. Niemals würde man vermuten, einen Schauspieler vor sich zu haben, der seine Rolle schlecht gelernt hat. Trotzdem könnte genau das der Fall sein. Am Fehlverhalten würde sich prinzipiell nichts ändern. Diese Idee liegt der Komödie „The Boss Of It All“, dem neuen Film von Lars von Trier zugrunde. Der Schauspieler Kristoffer bekommt die Aufgabe, den Chef einer Firma zu spielen, der sich bisher nur per Mail gemeldet hat. Von Trier beweist mit dieser einfachen Grundidee, dass es nicht viel braucht, um einen ordentlichen Klamauk zu produzieren.

    Eine dänische IT-Firma soll an den isländischen Investor Finnur (Friðrik Þór Friðriksson) verkauft werden. Bevor der Verkauf über die Bühne gehen kann, will Finnur jedoch den Firmenchef persönlich kennen lernen. Ravn (Peter Gantzler), der eigentliche Chef, hat seinen Mitarbeitern doch bisher vorgegaukelt, dass der wirkliche Firmenchef jemand anderer sei. Alle unangenehmen Entscheidungen hat dieser bisher getroffen und sie per Mail übermittelt. Ravn war so bei seinen Mitarbeitern sehr beliebt, da nur Gutes von ihm zu erwarten war. Jetzt ist jedoch guter Rat teuer. Kurzerhand entscheidet sich Ravn dafür, einen Schauspieler zu engagieren, der für die Verkaufsverhandlungen den Firmenchef spielen soll. Durch ein Missgeschick trifft Kristoffer (Jens Albinus) bzw. „The Boss Of It All“, wie er sich auch nennt, auf die anderen Mitarbeiter, die so erstmals auf das personifizierte Übel treffen. Kristoffer, der von Ravn außer zwei Standardsätzen nicht viel über seine Rolle erfahren hat, findet sich unverhofft in einer sehr misslichen Lage wieder…

    Lars von Trier gilt nun schon seit Jahren als einer der avanciertesten europäischen Filmemacher. Mit seinen Formexperimenten à la Dogville stellte er unter Beweis, dass dieser Ruf keineswegs unbegründet ist. So wird auch „The Boss Of It All“ mit einer Neuerung in die Bücher der Filmgeschichtsschreibung eingehen, die es bis dato so nicht gegeben hat. Diese Innovation hat sogar einen eigenen Namen: Automavision ©. Dabei handelt es sich um ein computergesteuertes Verfahren, das Trier entwickelt hat, das dem Regisseur die Aufgabe abnimmt, den Bildausschnitt selbst wählen zum müssen. Der wird nun automatisch gewählt und nach bestimmten Zeitabständen verändert.

    Was daraus entsteht, kommt einem dann aber doch wieder bekannt vor. In „A Bout De Souffle“ setzte Jean-Luc Godard 1960 erstmals das so genannte Jump-Cut-Verfahren ein, bei dem eine Szene aus zwei ähnlichen Perspektiven mit minimal veränderter Achse aufgenommen wurde, die dann am Schneidetisch zusammenmontiert wurden. Damals musste man jedoch alles noch von Hand machen und das Verfahren wurde nicht über die gesamte Dauer des Films angewendet, wie das hier bei „The Boss Of It All“ der Fall ist. So revolutionär das neue Verfahren auch klingen mag, nach zehn Minuten hat der Zuschauer sich an das Spektakel mehr als gewöhnt.

    Ebenfalls nicht neu, aber für die Konzeption von „The Boss Of It All“ wichtig, sind die wenigen Einschübe, die den Fluss der Erzählung unterbrechen. In diesen Pausen meldet sich eine Erzählerstimme – Lars von Trier höchstpersönlich – zu Wort. In den Kommentaren wendet sich von Trier direkt an seine Zuschauer, nimmt das Geschehen und das Genre auf den Arm. Zugleich gibt er sich aber auch als der wirkliche „Boss Of It All“ zu erkennen. Der Regisseur bestimmt beim Spiel auf der Leinwand, was passiert und engagiert, ähnlich wie Ravn, die Schauspieler, die nur behaupten, der Chef von dem Ganzen zu sein. Solche Zirkelschlüsse können immer weiter getrieben werden und verweisen letztlich auf das barocke Weltverständnis von Triers, bei dem alle Menschen jeden Tag nur ihre Rolle auf den Brettern der Bühne der Welt spielen.

    In den vergangenen Jahren hat sich Lars von Trier mit seinen beiden Trilogieprojekten vor allem im Bereich des Dramas verdient gemacht – einmal mit „Idioten“, „Breaking The Waves“ und Dancer In The Dark und danach mit Dogville, Manderlay und „Washington“. Mit „The Boss Of It All“ macht Trier einen kleinen Ausflug ins Reich der Komödie. Zudem ist der Anspruch, den dieser Film verfolgt, von einem ganz anderen Kaliber als der der Trilogien. Die Dramen sind auf große Wirksamkeit angelegt, die ganz bewusst über die Grenzen Dänemarks und auch weit über die Grenzen Europas hinausgehen soll. Ganz anders „The Boss Of It All“. Die Geschichte ist sehr stark regional verortet. Man muss sich schon ein klein wenig im Kulturraum Dänemark auskennen, um wirklich alle Feinheiten des Humors zu erfassen.

    Die Vorlage, auf der „The Boss Of It All“ aufbaut, ist ganz eindeutig die erfolgreiche britische Sitcom „The Office“. Ob der Sinnlosigkeit einer Eins-zu-eins-Übertragung entstanden überall auf der Welt Ableger der Serie: „The Office“ in den USA, „Le Bureau“ in Frankreich und „serie,19“ in Deutschland. Gerade weil Humor viel stärker codiert ist und von spezifischen sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Begebenheiten abhängt, stößt die Übersetzbarkeit solcher Phänomene an ihre Grenzen. Ganz im Gegensatz zu tragischen Geschichten, die über kulturelle Grenzen hinweg überall leicht zu verstehen sind, kommt es in diesem Bereich deswegen öfter zu Adaptionen. Aufgrund dieser Schwierigkeiten kann man Lars von Triers Schlusskommentar nur zustimmen, in dem er sich sowohl bei denjenigen, die mehr, aber auch bei denen, die sich weniger erwartet haben, entschuldigt. Diejenigen jedoch, die mit dem Gezeigten zufrieden seien, hätten es auch verdient…

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