Noch lange vor der hyperstilisierten Matrix der Wachowski-Brüder prägte der holländische Skandalregisseur Paul Verhoeven das moderne Science-Fiction-Genre wesentlich mit. Seinen Genreeinstand feierte er mit dem damals umstrittenen und mittlerweile beliebten mediensatirischen Science-Fiction-Actioner „RoboCop“. Es folgten später das Mars-Abenteuer „Total Recall“ und die vielfach missverstandene Science-Fiction-Action-Satire Starship Troopers. Der im Folgenden besprochene Film „Total Recall“, vordergründig ein Arnold-Schwarzenegger-Action-Star-Vehikel, bietet weit mehr, als nur den prominenten Hauptdarsteller und darf zum Allerbesten des Science-Fiction-Genres gezählt werden.
Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) ist Bauarbeiter. Trotz seiner ausgesprochen hübschen Frau Lori (Sharon Stone) fühlt er sich zu Größerem berufen und wirkt unzufrieden. Er träumt vom mittlerweile kolonisierten Mars und würde da liebend gerne hin. Doch auf dem Mars wüten Rebellionen und Lori ist gegen die Auswanderungspläne ihres Mannes. Eines Tages sieht Quaid einen Werbe-Spot der Firma Recall. Sie verspricht perfekte Urlaubserinnerungen, ohne dass der Kunde jemals dort gewesen sein muss. Quaid geht hin und will sich Erinnerungen von einem Marsaufenthalt als Geheimagent einpflanzen lassen. Doch der Eingriff in sein Gehirn geht schief. Noch bevor das Implantat eingepflanzt werden kann, reagiert Quaid plötzlich gänzlich von Sinnen und behauptet tatsächlich ein Geheimagent zu sein. Die Verantwortlichen von Recall wollen den Zwischenfall vertuschen. Als Quaid aber heimkommt, versuchen plötzlich diverse Leute ihn zu töten. Ist er nun doch ein Geheimagent? Oder ist das Ganze nur Teil eines Traumes, der vielleicht doch eingepflanzten Erinnerungen? Quaid reist zum Mars, um der Sache auf den Grund zu gehen…
Wie so viele Science-Fiction-Filme (u.a. Blade Runner und Minority Report) basiert „Total Recall“ auf eine Kurzgeschichte von Philip K. Dick. Diese dient nur als grobe Vorlage. Drum herum haben die Drehbuchautoren Ronald Shusett, Dan O’Bannon und Gary Goldman eine mitreißende Science-Fiction-Geschichte gesponnen, die sich selbst nie allzu ernst nimmt, durchaus aber ernst genommen werden darf. Im Mittelpunkt scheint zu aller erst einmal Arnold Schwarzenegger zu stehen, der den ganzen lieben Film das macht, was er am besten kann: In Actionszenen glänzen. Er rennt, prügelt und schießt sich mit so viel Einsatz durch den Film, dass dem Arnie-Fan das Wasser im Munde zusammenlaufen wird. Als begnadeter Action-Regisseur zieht Paul Verhoeven alle Register, um aus „Total Recall“ neben The Terminator oder Terminator 2 eines der besten Arnie-Star-Vehikel zu machen.
Doch über dem (bald wieder ehemaligen) Gouvernator hinaus hat „Total Recall“ noch weit mehr zu bieten. Das Spiel mit der Frage, was nun Realität ist oder nicht, kann besonders hervorgehoben werden. Dabei geht „Total Recall“ andere Wege als sonstige Filme, die sich mit Realität und Scheinrealität auseinandersetzen. „Total Recall“ verzichtet auf esoterisches, verwirrendes Geplänkel oder bedeutungsschwangere Dialoge, sondern verkauft die jeweilige Szene immer als Realität. Erst später wird die vom Betrachter geglaubte Realität auf den Kopf bzw. in Frage gestellt. Gerade am Ende wird dieses Spiel auf die Spitze getrieben, als der Film einen Bogen zum geplanten Erinnerungsprogramm für Quaid von Recall schlägt. Auf den ersten Blick sehr schlicht, wirft das bewusst kitschig gehaltene Ende effektiv die Frage auf, ob das Ganze nun doch nur ein Traum war. Was nun Quaid alias Schwarzenegger tatsächlich erlebt oder was er (er)träumt, bleibt letztendlich dem Publikum überlassen. So lässt der Film verschiedene Lesarten zu und empfiehlt sich zur nochmaligen Ansicht. Während dieser offenbaren sich plötzlich neue Details und vermeintliche Logikschwächen (die es zuhauf gibt) ergeben in ihrer Funktion den Status Quo zu hinterfragen plötzlich einen Sinn.
Also bietet „Total Recall“ mehr Anspruch, als auf den ersten Blick ersichtlich. Trotzdem betreibt der Film keine „Hirnwichserei“. Die Unterhaltung steht in den Vordergrund. Und das ist auch sehr gut so. Verhoeven weiß, wo die satirischen Spitzen anzusetzen sind, dass so manche trashige Situation mit einem deutlichen Augenzwinkern daher kommt. Der Trash-Gehalt bezieht sich insbesondere auf den Stil alter Science-Fiction-Comics. Dieser Touch, der Hauch des allzu Trivialen, wurde als Stilmittel zweifellos bewusst gewählt, trägt sie doch erheblich zum eigenen Charme des Filmes bei. Blut spritzt, Knochen brechen. In den Prügeleien und Schießereien geht „Total Recall“ nicht gerade zimperlich zu Werke. Dafür ist Verhoeven bekannt. In „Total Recall“ muss es aber dank so mancher cartoonesker Überdehnung nie als zuviel des Guten erachtet werden. Die zynischen Comedy-Elemente sind nicht zu übersehen. Nebst inhaltlicher Tiefe überzeugt „Total Recall“ gerade auch als eine der schrägsten und makabersten Science-Fiction-Komödien aller Zeiten.
Auf Mutanten wird der Betrachter auch treffen. Sie sind nicht nur eine optisch bizarre Attraktion des Filmes, sondern dienen einem Zweck, welcher mit zu einer gewissen inhaltlichen Tiefe des Filmes beiträgt: Die Ursachen ihrer Mutation und die Reaktion normaler Menschen (und insbesondere der „Obrigkeit“) auf sie lassen einige gesellschaftskritische Tendenzen erkennen, ohne dass sich „Total Recall“ dabei zu ernst nimmt und überhebt.
Der Look des Filmes ist einzigartig. Die Siedlungen auf dem Mars entsprechen – so wird zumindest seitens der Verantwortlichen behauptet – NASA-Plänen zur Besiedlung des roten Planeten. Wer schon mal in entsprechende Fachmagazine geblättert hat, kann diese Behauptung bestätigen. Die etwas überzogen dargestellte Zukunftsvision wirkt auf ihre ganz eigene Art und Weise ziemlich realistisch und vor allem einleuchtend. Ausstatter William Sandell („RoboCop“, Outbreak) und Robert Gould („RobCop“, Stirb Langsam 2) haben ganze Arbeit geleistet. Visuell orientiert sich der Film an Illustrationen alter Science-Fiction-Lektüren. Die Balance zwischen Retro-Future-Look und zeitgenössischen Zukunftsvisionen überzeugt. Maske und Effekte fügen sich in dieses Bild tadellos ein. „Total Recall“ hat einige extravagante Effekte und faszinierend beängstigende Masken in Petto. Kameramann Jost Vacano (Der Soldat von Oranien, Das Boot), der schon bei einigen Filmen mit Paul Verhoeven zusammengearbeitet hat, sorgt für die richtigen Bilder und trägt durch seine Arbeit mit zur atmosphärischen Dichte bei. Produktions- und Schauwerte von „Total Recall“ können in allen Belangen überzeugen. Musikalisch steht Jerry Goldsmith (Rambo, L.A. Confidential) dem inszenatorisch hohen Niveau mit seinem Bombast-Soundtrack in nichts nach.
Zu guter letzt gibt sich „Total Recall“ auch darstellerisch keine Blöße. Schwarzeneggers bloße Präsenz reicht für reißerische Action-Unterhaltung zwar aus, doch er schafft es darüber hinaus erstaunlich gut, seiner Figur Profil zu verleihen. Sharon Stone gibt einen Vorgeschmack auf ihre spätere Rolle in Basic Instinct, wobei „Total Recall“ für verhoeven’sche Verhältnisse erstaunlich unerotisch daherkommt. Wie auch in Starship Troopers bleiben ausufernde Sexszenen außen vor. Als miesepetriger Bad-Guy gefällt Michael Ironside (Starship Troopers, The Machinist), der Arnie den ganzen Film über jagt und dabei mehrfach vom Publikum ausgelacht werden darf. Der große Bösewicht und Drahtzieher aller miesen Intrigen wird aber von Ronny Cox (Beverly Hills Cop, Mord im Weißen Haus) dargestellt, der seiner Figur erstaunlich viel Tiefe gibt. Er ist nicht nur böse, sondern in seinem zwielichtigen Verhalten birgt durchaus der Glaube, dass das von ihm gehütete und der Bevölkerung vorenthaltene Geheimnis nur zum Guten des Planeten dient. Rachel Ticotin (Falling Down, Mann unter Feuer) als Arnies Love Interest erobert leicht die Herzen der (zumindest männlichen) Zuschauer und zeigt nebenbei, dass sie auch ganz gut austeilen kann und dem männlichen (Über-)Held in Sachen Schlagkraft kaum in etwas nachsteht.
Wer hat nicht schon mal davon geträumt, ein großer Geheimagent zu sein, der den Bad Guys so richtig einheizt, einen ganzen Planeten retten und am Ende die schöne Frau abstauben darf. „Total Recall“ treibt diesen „Traum“ auf die Spitze und verlegt ihn in das Science-Fiction-Genre. „Total Recall“ ist der Film gewordene Traum dieser mehr oder weniger niederen männlichen Instinkte und (Wahn-)Vorstellungen. Besser kann ein so genannter Männerfilm nicht sein. Die Mischung aus Science-Fiction, Action, Satire, Komödie, Thriller und ein bisschen Horror ist perfekt. Großartig!