"Enter the Void" – ein Werk das Fragen offen lässt und grundsätzliche, (scheinbar) unversöhnliche Erkenntnistheorien durch direkte Erfahrungssimulation näherbringt
Mit der Aussage im Hinterkopf, das Leben sei eine Körper- und Sinneserfahrung, noch dazu eine vom Säugetier Mensch, lassen sich einige Ansätze im Film gut nachvollziehen. Was zunächst als ein von "Altered States" (1980) oder "Naked Lunch" (1959) inspiriertes Werk aussieht, stellt sich relativ rasch als entweder die Simulation des Erlebens nach dem Tod – gemäß der Beschreibungen des Tibetischen Totenbuches – oder als das Rauscherleben einer in seiner Existenz verlorenen Person heraus. Zwar gesteht der Autor im Interview mit nymag.com, ihn habe "Lady in the Lake" motiviert, solchen Film zu machen, jedoch wäre es zu leicht zu behaupten, "Enter the Void" sei eine blasse Version des originellen Erste-Person-Perspektiven-Films aus dem Jahre 1947 (Interview: http://nymag.com/daily/entertainment/2010/09/gaspar_noe_on_why_enter_the_vo.html). Denn, ein Eyecandy ist Enter the Void zweifellos mehr als "Lady in the Lake", anders zu diesem aber wagt Noe den Wahnwitz, den Zeitpfeil des Erlebens nicht zu unterbrechen. In dem Schwarzweiß-Streifen gibt es szenische Wechsel, die Zeitsprünge implizieren, in welchen mit der ersten Person auch andere Dinge passieren als die die man als Zuschauer sieht. Die Zeitlinie selbst ähnelt dabei der von Hitchcock konzipierten in "Cocktail für eine Leiche" (1948), wo sich 80 Minuten lang eine einzelne Szene als der ganze Film dient. Zwar fehlt hier der Erste-Person-Effekt, jedoch ist das Zeitabfolge 1:1 identisch mit dem realen Geschenen – eben genau wie bei "Enter the Void".
Damit ist ganz offensichtlich, dass es dem Autor um die Simulation des Erlebens ging, um das Betreten des Homunkulus im visuellen Okkzipitalkortex des Protagonisten, den Eintritt in die direkte Erfahrung einer in allem traurigen, vom Leben nicht verschonten Existenz in der kühlen, sozialdarwinistisch anmutenden Welt des Tokioter Rotlicht- und Drogen-Milieus. Was wohl viele Zuseher mitreißt, ist die visuelle Darbietung, das Feuerwerk der Erlebnisse des zunächst lebendigen, dann mittels DMT berauschten und schließlich entweder vor sich halluzinierend-träumenden oder aber sterbenden Oscar. Dass der Stream-of-Consciousness, Philosophen nennen es auch die Qualia, der rote Faden ist, der zu keiner Sekunde dieser 160 Minuten abreißen mag, zeigt allein der geradlinige Zeitpfeil, der dem Seher suggeriert wird. Jeder Augenblick, den die Kamera tätig ist, ist ein Augenblick des Erlebens, nicht aber des Darstellens irgendeines Inhaltes. Augenscheinlich wird der Bewusstseinsstrom, wenn Oscar allein ist und man seine Gedanken „hört“.
Der emotionale Gehalt, die Intensität, mit welcher man die Todesszene der Eltern von Oscar und seiner Schwester Linda erlebt, spricht ebenso für sich. Auf schockierende, grausame Gewaltbilder verzichtet der Regisseur deshalb nicht, weil sie schlichtweg im subjektiven Erleben von Oscar als im metaphysischen Fegefeuer eingebettete Erinnerungen und Reflextionen empfunden werden. Das erscheint zwar manchmal als ein Bruch in der zeitlichen Kontinuität, jedoch passiert hier was Interessantes, etwas was dem Alltagserleben vieler Menschen entspricht: dem Sich erinnern und dem damit verbundenen Erscheinen von mentalen Bildinhalten nacheinander, interferierend mit der Wahrnehmung der eigenen Jetzt-Gegenwart. In diesem Zusammenhang sagt man gerne, man sehe etwas "vor dem geistigen Auge", nichtsdestotrotz tickt auch hier die Uhr weiter und man bekommt für kurze Zeit nur einen Teil der Gegenwart mit.
Als Betrachter darf man sich den Modus aussuchen, unter welchem der Film geführt wird. Entweder ist der Film das Leben nach dem Tod oder der Hardcore-Halluzinogenrausch des naiven Kleindealers Oscar. Wenn wir Ersteres wählen, dann ist unklar, warum die Hauptfigur das irdische Dasein nach dem Tode nicht einfach verlässt, nachdem ihr klar ist, dass sie die Stufe erreicht hat, wo man nah am Eintauchen in die Ewigkeit ist. Oscar, das Irrlicht, kehrt immer wieder zurück, um nachzusehen, was nach seinem Ableben mit Linda und seinen Bekannten passiert. Er haftet danach noch immer an der materiellen Welt, obwohl er nicht mehr materiell ist. Nimmt man das als Standpunkt, zeigt der Materialist Noe hier aber zweifellos den Interpretationsraum für die Frage nach dem Tod. In der buddhistischen Tradition ist laut dem tibetischen Totenbuch, so wie es Alex Oscar zu Beginn des Films erklärt, der Verstorbene zunächst im Zwischen-Diesseits, in welcher er sein Leben als Reflexionen noch einmal erlebt. Dann kann er sich entscheiden, ob er in die Welt der Menschen zurückkehrt (Reinkarnation), um sein Karma zu verbessern, in das Reich der Götter eintritt oder ins Nirwana (um es nur kurz darzustellen). Unklar ist allerdings außerdem, warum die metaphysische Seele ausgerechnet eine Ego-Perspektive haben soll, die für meinen Geschmack sehr körperlich-weltlich wirkt. Als ein ph