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    Battle In Heaven
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Battle In Heaven
    Von Jörn Schulz

    Südamerikanische Regisseure sind ganz klar im Kommen. Sie begeistern sowohl Kritiker als auch Publikum mit erfrischend inszenierten Filmen, die auch vor sozialkritischen Äußerungen nicht halt machen. Die Brasilianer Fernando Meirelles (City Of God, Der ewige Gärtner) und Walter Salles (Die Reise des jungen Che) sind nur zwei Beispiele für talentierte und erfolgreiche Filmemacher aus Lateinamerika. Als nicht minder begabt wird der Mexikaner Carlos Reygadas angesehen. Allerdings könnten die Meinungen über ihn und sein Debütfilm „Japón“ geteilter nicht sein: Die einen lieben ihn für seinen kunstvollen, subjektiven Stil; die anderen hassen ihn für seine oft zäh wirkende Erzählweise. Auch sein neuestes Drama wird wohl auf ähnliche Weise aufgenommen werden, denn „Battle In Heaven“ stellt eine echte Herausforderung dar und verlangt dem Publikum viel ab. Und das nicht nur wegen der vielen expliziten Sexszenen, in denen z. B. an Adipositas Erkrankte – Menschen also, die mehr als wohlbeleibt sind – miteinander kopulieren.

    Mexiko-Stadt: Der füllige Marcos (Marcos Hernández) ist Angestellter eines hohen mexikanischen Generals. Neben seiner Aufgabe, die tägliche Fahnenzeremonie zu überwachen, chauffiert er auch die hübsche aber gnadenlos dekadente Tochter seines Arbeitgebers, Ana (Anapola Mushkadiz), durch die Gegend. Wenn der Papa das wüsste: Ana führt ein Doppelleben und verdingt sich nebenbei in einem Edelbordell. Marcos weiß von alledem, doch schweigt er wie ein Grab, denn insgeheim ist er der um rund 20 Jahre jüngeren Generalstocher emotional verfallen. Eines Tages plagt Marcos sein Gewissen und er erzählt Ana ein Geheimnis: Obwohl er und seine Frau (Berta Ruiz) beide einem Job nachgehen und Geld verdienen, haben sie das Baby der Nachbarin Viky (Rosalinda Ramírez) entführt, um so schnell an noch mehr Geld zu kommen. Doch das Baby ist kurz nach der Entführung gestorben. Sichtlich erschüttert nimmt sich Ana Marcos an und will ihn mit Sex trösten. Ein Verwirrspiel zwischen Vertrautheit und sexueller Lust beginnt, dass die vorhandenen sozialen Unterschiede auf den Kopf stellt.

    Eines muss bedacht werden, bevor man sich „Battle In Heaven“ anschaut: Der Film ist schwierig. Er macht es dem Zuschauer nie leicht, will das aber auch gar nicht. Das Drama möchte unbequem sein, will die unter der Oberfläche schlummernden Probleme Mexikos anprangern. Der Regisseur hierzu: „Oberflächlich betrachtet ist der Schock ein ästhetischer, doch das Tabu geht tiefer. Hier geht es um soziale Unterschiede.“ Das macht das Drama zu einem Stück kalter, ungemütlicher Poesie, die bekanntermaßen nie reibungslos und auf den ersten Blick verständlich daherkommt. Dringt man jedoch tiefer in die Materie ein, wird erkennbar, dass der Film Bezug auf Dostojewskis „Schuld und Sühne“ nimmt. Die Parallelen zwischen Marcos und Raskolnikow werden an einigen Stellen sichtbar. Beide begehen ein nach gesellschaftlichen Normen definiertes Verbrechen, um es selbst besser zu haben im Leben. Beide plagt das Gewissen, und sowohl Marcos als auch Raskolnikow vertrauen sich einer Prostituierten an. Zugegeben: Man muss sich schon ganz schön mit Dostojewski auskennen, um die Intertextualität des Films zu erkennen, denn der Film selbst gibt kaum Hinweise auf den Bezug. Kritisieren lässt sich also, dass Reygadas den Zugang zur tiefer liegenden Ebene des Films absichtlich im Verborgenen hält und somit recht elitär wirkt. Aber deswegen ist „Battle In Heaven“ kein schlechter Film. Hat man die Verbindung zwischen Raskolnikow und Marcos erst einmal erkannt, erschließen sich einem gleich ganz andere Interpretationsmöglichkeiten und der Film entfaltet sein volles Bouquet.

    Nicht nur Dostojewski- sondern auch Mexiko-Auskenner werden dem Film mehr abgewinnen können als Nichteingeweihte. Marcos’ Aufgabe, den ordnungsgemäßen Ablauf der Fahnenzeremonie zu überwachen und somit Verantwortung für das „Image“ des Landes zu haben, ist mehr als symbolische Ironie und Kritik an den Machthabern Mexikos. In welchem Zustand muss sich ein Land befinden, in dem Menschen mit verantwortungsvollen Aufgaben in ihrer Freizeit kleine Kinder entführen? Nationalkritik ganz scharf formuliert.

    Die Sexszenen im Film dürften nicht jedermanns Sache sein. Großaufnahmen von Geschlechtsteilen, Oralverkehr als Rahmung des Films und Schwergewichtssex sind nur einige der anstößig anmutenden Szenen. Hier meint Reygadas, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten: „Persönlich ziehe ich es vor, Marcos und seiner Frau beim Sex zuzusehen, der offen, sinnlich und realistisch ist, als mir Tom Cruise oder einen anderen Star bei der Arbeit vorzustellen. Mein Ziel ist es nicht, die Zuschauer zu erregen oder zu schockieren. [...] Ich will Sex so filmen, wie er im wirklichen Leben stattfindet. Indem ich dem Sex in seiner natürlichen Schönheit zeige, komme ich dem Gefühl, das wir beim Sex haben, am nächsten.“ Immerhin ein durchdachter Ansatz, der aber in der Umsetzung nicht wirklich überzeugt, denn zu oft wird im Film Sex mit einem schmerzlichen Gefühl gleichgesetzt.

    Eines ist sicher: „Battle In Heaven“ ist kein Film für Zwischendurch. Man muss sich auf das Drama einlassen, um mehr aus dem Film herauszuholen. Die Lethargie des Protagonisten, die teilweise fast in eine totale Starre läuft, lässt das Tempo des Films zähflüssig wirken. Letztlich unterstreicht dies jedoch nur, die Abgestumpftheit Marcos’, seine Resignation vor dem Leben. Fazit: Ein Erlebnis für Dostojewski- und Mexiko-Auskenner, aber wohl ein Hassstreifen für Freunde schöner und verständlicher Kinofilme.

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