Spätestens nachdem Chicago mehr als 170 Millionen Dollar allein am US-Box-Office eingespielt hat, ist klar, dass High-Profile-Musicals nicht nur bei Preisverleihungen, sondern auch finanziell so richtig absahnen können. Mit dem Rock-´n´-Roll/Funk/Soul/Jazz-Musical „Dreamgirls“ kommt nun eine weitere stargespickte und mit vielen Vorschusslorbeeren überschüttete Broadway-Adaption auf die große Leinwand. Besondere Hoffnung macht dabei die Wahl des Regisseurs Bill Condon, der in seiner zweigeteilten Karriere genau die Erfahrungen sammeln konnte, die man zum inszenieren eines Musicals benötigt: Zum einen hat er als Macher solcher Genreware wie „Das Hotel im Todesmoor“ oder „Candyman 2 – Die Blutrache“ visuelle Finesse erlernt, zum anderen hat er sich mit den Dramen „Gods And Monsters“ und Kinsey als Meister der anspruchsvollen Unterhaltung erwiesen. Eine harte Schule, die sich für „Dreamgirls“ trotz einiger Schwächen auf der emotionalen Seite insgesamt dennoch auszahlt.
Im 1960er Detroit wird der Autoverkäufer und Teilzeitmusikmanager Curtis Taylor, Jr. (Jamie Foxx) bei einer lokalen Talentshow zufällig auf das noch unbekannte Mädchentrio „The Dreamettes“ aufmerksam. Zunächst lässt Curtis seine Girls Deena Jones (Beyoncé Knowles), Lorrell Robinson (Anika Noni Rose) und Leadsängerin Effie White (Jennifer Hudson) noch als Backups für den etablierten Rock ´n´ Roll-Star James „Thunder“ Early (Eddie Murphy) auftreten, doch als es darum geht, neue Märkte zu erschließen, stellt sich Earlys anzüglicher Stil als zu offensiv für das konservative weiße Klientel heraus. So bekommen die Mädchen ihre Solochance, jedoch nur unter der Bedingung, dass die hübsche Deena mit ihrer kantenlosen Stimme die Soli von der für das große Publikum zu souligen Effie übernimmt. Einige Eifersüchteleien später kommt es zum Bruch. Sechs Jahre vergehen, Effie schlägt sich mittlerweile als arbeitslose, allein erziehende Mutter durch und Deena hat Curtis geheiratet, mit dem gemeinsam sie in Geld und Prunk schwimmt – doch wirklich glücklich haben sie Ruhm und Reichtum auch nicht gemacht…
Wie jedes Musical erzählt auch „Dreamgirls“ eine Geschichte voll überlebensgroßer Gefühle, eine seifige Story von Aufstieg, Eifersucht und Niedergang, also genau das, was man als Fan dieser Unterhaltungsform erwartet. Einziger kleiner Schönheitsfehler ist dabei der etwas überhastete Einstieg in die Geschichte, der ein wenig die notwendige emotionale Grundlagenarbeit vermissen lässt – so wird dem Zuschauer einfach keine Identifikationsfigur mit an die Hand gegeben, mit der er mitfühlen und –fiebern kann. Neben dieser puren Unterhaltung stecken in „Dreamgirls“ aber auch noch einige andere Elemente, die es über den Tiefgang eines durchschnittlichen Disney- oder Webber-Musicals erheben. So wird der Hintergrund der persönlichen Erfolgsstory der „Dreamettes“ häufig mit Bezügen zu den Detroiter Rassenunruhen, zur Gleichberechtigungsbewegung und zu Martin Luther King gewürzt. Im Endeffekt bleibt „Dreamgirls“ so natürlich trotzdem ein waschechtes Feel-Good-Musical, das aber auch auf die dunkleren Seiten aufmerksam macht, ohne sein Publikum dabei über die Maßen runter zu ziehen. Jamie Foxx bringt es mit folgender Dialogzeile treffend auf den Punkt: „We want it light, but not so light!“
Um die beiden weiblichen Stars von „Dreamgirls“ gab es schon im Vorfeld jede Menge Award-Spekulationen zu hören. So wurde beispielsweise heftig darüber diskutiert, ob es richtig sei, dass Beyoncé Knowles (Der rosarote Panther) im Kampf um einen Hauptdarstellerinnen-Oscar von den produzierenden Studios gepusht wird, während man die ehemalige „American Idol“(die US-Variante von „DSDS“)-Teilnehmerin Jennifer Hudson auf das Nebendarstellerinnen-Gleis abgeschoben hat. Geht man jedoch einmal objektiv an die Sache heran, muss man sowieso eingestehen, dass es keine der beiden – außer man möchte sie ausschließlich für ihre Sangeskünste belohnen - verdient hat, ganz oben auf den Jurylisten aufzutauchen. Beide Rollen sind, wenn auch musicalgerecht, doch zu eindimensional angelegt und im Endeffekt auch gespielt, um hier unbedarft mit Preisen um sich zu werfen. Sowohl Knowles als auch Hudson haben mit ihren emotionsgeladenen Darstellungen viele Sympathien für ihre Figuren gesammelt und insgesamt einen wirklich guten Job gemacht, keine Frage, man muss nur ehrlich zugeben, dass es abgesehen von den Musiknummern einfach kein sonderlich anspruchsvoller war.
Auch wenn sie sangestechnisch nicht ganz mit den beiden mitreißenden Diven mithalten können, so ziehen die männlichen Darsteller aber doch zumindest in Bezug auf ihre Schauspielkunst mit einem klaren Punktsieg davon. Jamie Foxx, der zunächst aufgrund der unter seinem sonstigen Niveau liegenden Bezahlung abgesagt hatte und erst nach der Zusage der anderen Stars mit an Bord kam, hat in seiner Karriere mit dem karrieregeilen Football-Star Will Beamen in Oliver Stones An jedem verdammten Sonntag und der drogenabhängigen, fremdgehenden Soul-Legende Ray Charles durchaus schon zwiespältige Charaktere verkörpert, aber in „Dreamgirls“ spielt er mit dem Kontrollfreak Curtis Taylor Jr. zum ersten Mal einen richtigen „Bösewicht“. Erst in der letzten Einstellung kann er noch einige Sympathien ernten, bis dahin bleibt er ein konsequent egoistischer Arsch – ein mutiger, begrüßenswerter Karriereschritt, den Foxx auch mit der nötigen Portion Talent zu untermauern versteht. Absolutes Highlight bleibt aber trotz allem der Auftritt von Eddie Murphy als egozentrischer Star auf dem absteigenden Ast – obwohl er mit seiner durchgeknallten Performance oft am Rande zur Karikatur wandelt, gelingt es ihm doch, eine zutiefst menschliche und berührende Figur mit unerwartetem Tiefgang zu schaffen. Es macht einfach Spaß, Murphy dabei zuzusehen, wie die Comedy-Größe sich ausgerechnet in einer ungewohnt ernsten Rolle selbst übertrifft.
Sowohl Rob Marshall als auch Baz Luhrmann haben ihre Filmmusicals in eine konsequent künstliche Welt verlegt – Chicago spielte in einem schwarz-rot gefärbten Abbild des Chicagos der 1920er Jahre und Moulin Rouge sogar in einer märchenhaften, bonbonfarbenen Traumwelt. Bill Condon hat im Gegensatz hierzu versucht, seinen „Dreamgirls“ einen realer wirkenden Anstrich zu verpassen – seine Musical-Nummern beschränken sich meist komplett auf die Choreographien an sich, andere Arten von Künstlichkeit spart er so gut es geht aus. Über das normale Maß hinausgehende Stilisierungen verwendet er nur in einer handvoll Szenen, ansonsten nähert er sich dem Problem, die Sangesnummern möglichst interessant und abwechslungsreich gestalten zu müssen, nicht mit überbordender Ästhetisierung, sondern stattdessen mit inszenatorischer Finesse. Dass heißt nicht zwingend, dass Condon bessere Arbeit als seine Kollegen abgeliefert hat, aber begrüßenswert ist diese erfrischend bodenständige Abwechslung allemal.