John Woo ist ein tragisch gescheiterter Regisseur, eine Art Francis Ford Coppola aus Hongkong. Mit Filmen wie A Better Tomorrow oder The Killer hat er das Hongkong-Kino der Achtziger und frühen Neunziger wesentlich geprägt und zu neuer künstlerischer Blüte geführt. 1993 lieferte er dann ein enttäuschendes Hollywood-Debüt („Harte Ziele“) und fand auch mit diversen Folgeprojekten zu keiner nennenswerten Eleganz mehr. Lediglich mit Im Körper des Feindes gelang dem Autorenfilmer eine Art kleines Comeback, das durch das unsägliche Dreigestirn Mission: Impossible 2, Windtalkers und Paycheck allerdings nachhaltig relativiert wurde. Die Hoffnung, dass John Woo mit „Red Cliff“ – seinem ersten chinesischen Film seit Hard Boiled (1992) – endlich wieder zu alter Form zurückfindet, war reichlich vorhanden. Und wurde sie erfüllt? Ja und nein – die Dinge stehen bei „Red Cliff“, diesem 80 Millionen Dollar schweren Koloss von einem Film, nämlich ein wenig komplizierter: Langweilig ist der Historienfilm trotz Überlänge nie und stellenweise atmet er sogar den Geist der alten Meisterwerke des Regisseurs. Das Gesamtbild überzeugt dennoch nicht so recht, denn bei Lichte betrachtet ist „Red Cliff“ – zumindest in der einteiligen internationalen Fassung - ein bisschen hohl.
Die Geschichte spielt im China des Jahres 208 und bemüht – wie zuletzt auch Three Kingdoms – den Topos vom geteilten Reich, das unter der Hand eines starken Herrschers geeint werden soll. Der Kaiser der Han-Dynastie wird aus diesem Grund in einem knappen Prolog dazu überredet, zwei Reiche im Süden und Westen anzugreifen. Die beiden Feldherren der attackierten Reiche, Zhou Yu (Tony Leung Chiu-wai, 2046) und Liang (Takeshi Kaneshiro, Fallen Angels) schließen eine zunächst taktische, später dann auch freundschaftliche Allianz und stellen sich am Roten Felsen der Schlacht mit dem zahlenmäßig weit überlegenen Heer des Kaisers, das unter dem Befehl des ruhmsüchtigen Cao Cao (Zhang Fengyi, „Der Kaiser und sein Attentäter“) steht…
John Woos neuer Film erreicht außer-asiatische Kinofans leider nur in einer stark gestrafften Form: Eigentlich ist „Red Cliff“ ein Zweitteiler von je 140 Minuten Spielzeit, die internationale Schnittfassung indes läuft rund 150 Minuten, ist also um mehr als zwei Stunden (!) gekürzt. Weil diese Schnitte vornehmlich im Bereich der Figurenentwicklung unternommen wurden, sind die größten Schwachpunkte von „Red Cliff“ zwar nicht unmittelbar auf John Woos Drehbuch zurückzuführen, aber an dieser Stelle wird nun einmal die internationale Fassung, die in Deutschland auf dem Fantasy Filmfest zu sehen ist und auch so auf DVD erscheinen wird, besprochen.
Der Kritikpunkt von „Red Cliff“ ist die bisweilen arg rudimentäre Gestaltung der Charaktere. Die Freundschaft zwischen Yu und Liang, die wahren Beweggründe Cao Caos oder die innere Motivation von Sun, der Frau im Kriegsreigen, werden mehr serviert als entwickelt. So kommt es, dass die ausgedehnten Strategiebesprechungen und vor allem die eingewobene Liebesgeschichte – samt der ersten Sexszene in Woos Filmographie seit dem maroden Söldner-Streifen „Heroes Shed No Tears“ (1985) – nicht selten zu banalem Soap-Opera-Geschwätz und einer allzu klaren Trennung von Gut und Böse verkommen. Dennoch lässt sich sogar in der entkernten Fassung von „Red Cliff“ ein neuer Zugang Woos zu seinen Figuren ablesen, die in seinen klassischen Hongkong-Streifen wesentlich plakativer und einfacher gezeichnet waren: In seinem neuen Film, der vielleicht das Alterswerk des Regisseurs einläutet, stehen die zahlreichen Charaktere mehr im Vordergrund als die Actionsequenzen. Und dank des hohen Budgets sind alle Figuren hervorragend und zumeist auch ausgesprochen prominent besetzt. Einziger Wermutstropfen: Tony Leung Chiu-wai, einer der hochkarätigsten asiatischen Darsteller, scheint nicht ganz bei der Sache zu sein. Dennoch ist er an einem der bisher schönsten Bilder des aktuellen chinesischen Kinos beteiligt: Leung und Kaneshiro stehen sich in einer extremen Profil-Nahaufnahme gegenüber – und während das Außen vollständig ausgeblendet wird, sinnieren die Männer über ihre Freundschaft.
Das Großartige an den Heroic-Bloodshed-Filmen von John Woo war zuallererst die Inszenierung – und zwar nicht nur die der Actionszenen, aber die in erster Linie. In „Red Cliff“ werden die Pistolen nun zwar naturgemäß gegen Schwerter, Bogen, Speere und dergleichen eingetauscht, der Duktus der Action bleibt aber derselbe. Mit seinen aufwändigen Kostümen und den blutigen Schwertkämpfen verweist „Red Cliff“ überaus deutlich auf die Ursprünge des Autorenfilmers: auf die Lehrjahre bei Chang Che und die frühen Kung-Fu-Filme, die Woo lange vor dem Durchbruch mit „A Better Tomorrow“ inszeniert hat. Außerdem gibt es Pferde inklusive des typischen Western-Getrappels, worüber sich wohl auch Sam Peckinpah (The Wild Bunch) sehr freuen würde - jenes Enfant terrible der New-Hollywood-Bewegung eben, das den Stil von John Woo wesentlich beeinflusst hat.
Trotz des Tausches Pistole gegen Schwert lässt sich die weithin bekannte Handschrift Woos sehr deutlich erkennen – und zwar so deutlich wie schon lange nicht mehr. Die drei von humoristischen Einlagen flankierten Massenschlachten des Films steigern sich stetig, wobei die letzte den fulminanten Höhepunkt markiert und gleichermaßen den dramatischen Entwicklungen ein spektakuläres Ventil bietet – das war bei John Woo immer so. Außerdem wird an Kunstblut nicht gespart, Porträt-Aufnahmen der Helden werden à la Martin Scorsese an dramaturgisch bedeutenden Stellen eingefroren und die innige Männerfreundschaft drückt sich im gemeinsamen Kampf Rücken an Rücken aus. Eine grandiose Parallelmontage lässt den Kenner von Woos Hongkong-Filmen jubeln und sogar ein Chinese Stand Off mit Schwertern findet Platz im Getümmel. Ein Zitat aus „Hard Boiled“ dient als Brücke zurück nach Hongkong und eine schöne Referenz an Kurosawas Ran weiß zu gefallen. Die typische Zeitlupe findet sich derweil weit weniger ausgeprägt als sonst, ist aber punktuell mit großem Gespür für den richtigen Moment eingesetzt. John Woo gelingt das Kunststück, die Action mit einem realistischeren Touch zu inszenieren, ohne seine Autorenschaft unkenntlich zu machen – made by John Woo schreit die finale, explosive Schlacht aus allen Poren. Es liegt – rein inszenatorisch – nicht unwesentlich an der dynamischen Kameraarbeit, dass sich „Red Cliff“ sehr eindeutig als Werk des Chinesen verorten lässt: Wie in den besten Hongkong-Tagen kommt die Kamera fast nie zur Ruhe, immer ist sie in Bewegung, zoomt, fährt, schwenkt und fliegt nach Belieben.
Leider führt das Pompöse dieses Big-Budget-Streifens, dem bislang teuersten chinesischen Film aller Zeiten, ab und an zu unnötigem Ornament ohne jedwede dramaturgische Funktion. Das Raue, Ungeschliffene und schnell Produzierte der alten Klassiker kommt „Red Cliff“ im chinesischen Mainstream abhanden und es liegt wohl wesentlich daran, dass die dünne Geschichte umso stärker auffällt. Den Tiefpunkt erreicht der Prunk bei drei oder vier verkorksten CGI-Sequenzen, die das Organische der Woo-Handschrift für eine Weile zerstören.
Und dann sind da noch die Tauben. Es muss einmal ganz deutlich klargestellt werden: In seiner Hongkonger Zeit hat John Woo in sage und schreibe einem Film Tauben gefilmt - und zwar in „The Killer“. In den anderen Werken des Regisseurs finden sich ganz unterschiedliche religiöse und spirituelle Symbole: Madonnen, Schreine oder Papierkraniche zum Beispiel. Kaum in Hollywood angelangt, trug der Regisseur dennoch plötzlich das Etikett, der Regisseur mit den Tauben zu sein. Ein Diktum, dem sich der Filmemacher schließlich fügte. Tauben flatterten von da an in fast jedem Woo-Film herum, am Ende war das nicht mehr als eine traurige Selbstparodie. In „Red Cliff“ treten die Ratten der Lüfte nun abermals in Erscheinung. Manchmal mit narrativer Funktion als Brieftauben, dann wieder als sinnentleertes, computeranimiertes (Marken-)Zeichen.
Die Frage ist nun: Ist das Viehzeug ein überwindbarer Rest aus den ruhmlosen Hollywood-Jahren oder kündet es von einem erneuten Absturz in die Bedeutungslosigkeit? Ist die Schlacht am Roten Felsen der Wendepunkt oder nur ein kurzes Aufbäumen? Der ambivalente International Cut von „Red Cliff“ macht jedenfalls große Lust auf den nächsten Film von John Woo – und auf die 130 Minuten längere chinesische Fassung.