Eines ist sicher: unabhängig von der endgültigen Qualität des Films hätte Zack Snyder es sich wesentlich einfacher machen können und ihm gebührt eine Menge Respekt dafür, dass er sich nicht dazu hat verführen lassen.
Abseits aller besser/schlechter-als-die-Vorlage-Kleinkariertheiten ist Watchmen‘ ein audiovisuell berauschendes Erlebnis. Bot schon Alan Moores bahnbrechende Graphic Novel symbolgetränkte und enorme stylistische Vielfältigkeit, von riesigen Panoramen auf der Marsoberfläche, über bedeutungsvolle Schattenbilder, bis hin zu aufwühlenden Nahaufnahmen von Gesichtern und deren Emotionen (oder deren Fehlen), kommen diese Bilder auf der großen Leinwand durch ihre Mehrdimensionalität Kunstwerken in Bewegung und Form gleich. Snyder filmt einige Panels der Vorlage so identisch ab, dass man meinen könnte, er hätte dafür das Verfahren der Rotoskopie verkehrt herum angwandt und die gezeichnete Vorlage einfach mit echten Schauspielern und detailgleichen Kulissen übermalt‘. Ebenso wie Moores Werk ist die Szenerie vollgestopft mit Andeutungen und Hinweisen in Form von Schildern, Plakaten, Werbebotschaften usw. Die alternative Realität der Watchmen‘ und die vielfältigen Epochen, über die sich die Handlung erstreckt, sind mit überbordender Ausstattung zum Leben erweckt worden, so dass man bei den zahlreich stattfindenden, oft nur Augenblicke kurzen Rückblenden sofort an genügend optischen Merkmalen (etwa Kostümen, Frisuren) festmachen kann, in welcher Epoche sich der Film gerade aufhält. Dies verleiht dem komplexen und fordernden Handlungskonstrukt die nötige Übersichtlichkeit, schließlich kann man nicht zwischendurch einfach noch einmal kurz zurückblättern. Beim ersten Ansehen des Films wirklich alles Dargebotene wahrzunehmen ist jedoch mindestens genauso unmöglich, wie die volle Bedeutung der Graphic Novel während des ersten Lesens zu erfassen.
Die visuell erzeugte Stimmung und Sprache der Geschichte wechselt dabei ein ums andere mal mit der Perspektive, aus der sie erzählt wird. Zwei Charaktere, der Soziopath Rorschach, sowie das gottgleiche Überwesen Dr. Manhattan, sind dabei jene, aus deren gegensätzlicher Sicht der Dinge das Geschehen, auch anhand von Off-Kommentaren, überwiegend geschildert wird. Die Passagen, in denen man Rorschach folgt, sind zynisch, dreckig und brutal. Seine Perspektive ist mit der eines klassichen Detektives vergleichbar. Man sieht ihn Nachforschungen anstellen, Verhöre führen und Spuren nachgehen. Wie dies von statten geht, beschreibt der Maskenträger selbst am besten mit seinem Motto „Keine Kompromisse“. Mit Dr. Manhattan hingegen geht es zwischenzeitlich raus aus den stinkenden, bedrohlichen Straßenschluchten New Yorks und auf die weite Oberfläche des Mars. Jene wichtige Sequenz, in der sich die vollkommene Entmenschlichung des blauleuchtenden Allmächtigen vollzieht, ist mit ihren Rückblenden in Verknüpfung mit dem gegenwärtigen Geschehen ein Moment von umwerfender Erhabenheit und elegischer Tiefe. Es ist vielleicht sogar DER herausragende Moment des ganzen Films und sicher der, in der Snyders Umsetzung den Ton des Originals mit am treffendsten erklingen lässt.
In Sachen Design und Gestaltung kann man Zack Snyder insgesamt keinerlei Vorwurf machen. Zwar sind einzelne Bilder eben oft nicht seine, sondern gehören‘ Zeichner Dave Gibbons, doch Snyder wechselt handwerklich perfekt zwischen Bildbeschleunigung, -verlangsamung und stillstand und gibt dem Film so seine Note. Dabei dosiert er den Einsatz sinnvoll und nie so, dass er die Handlung in den Hintergrund rücken würde. Denn davon ist so reichlich vorhanden, dass auch keine Stilmittel nötig sind, um sie zu blähen oder von ihr abzulenken. Watchmen‘ beginnt mit der Ermordung des Comedian, gibt anhand einer Talkshow erste Informationen über die politischen Geschehnisse. In einer genialen Vorspannsequenz werden eine Vielzahl von Hintergründen gezeigt, die man schlicht kaum besser in den Film hätte integrieren können. Dadurch umgeht es Snyder, später zuviel Ballast übrig zu haben, der unbedingt untergebracht werden muss. Exzellent gelungen!
Die erste Hälfte, bis es Dr. Manhattan auf den roten Planeten zieht, deckt beinahe alles ab, was die Graphic Novell bis zu diesem Punkt an essentiellem Material hergibt, Stimmung und Atmosphäre werden sehr schön eingefangen und durch Original-Dialoge unterstrichen. Die eigentliche Handlung, sprich die Ermittlung des Mörders, kommt hier über weite Strecken völlig zum Erliegen. Jedem Charakter wird seine Geschichte gegönnt. Neben den leicht das Geschehen beherrschenden Rorschach und Dr. Manhattan bekommen auch die von der gesamten Auslegung her etwas bodenständigeren Ex-Helden Nite Owl und Silk Spectre genügend Raum zur Entfaltung. Zwischen den sowohl vom Aussehen, als auch ihren Gesinnungen her extremen Rorschach und Dr. Manhattan stehen die beiden eher für eine gewisse Erdung, wobei sie mit ihren inneren Konflikten und Problemen nicht minder interessant sind, im Gegenteil. Sie erweitern das Spektrum der Auswirkungen, welche das Leben als Superheld und der Rückzug davon auf einen Menschen hätte, um viele spannende Komponenten. Der zu Beginn ermordete Comedian wird anhand der individuellen Erinnerungen seiner ehemaligen Kameraden ebenfalls in Rückblenden näher gebracht – und wird zu einem (für einen Superhelden) einmalig abgründigen, absolut verachtenswerten und gleichzeitig faszinierenden Charakter.
In der zweiten Hälfte legt der bis hierhin im Zuge seiner Sorgfalt gemächlich erzählte Watchmen‘ ordentlich Tempo zu. Die Rückblendenstruktur versiegt und die Handlung schreitet nun an mancher Stelle sogar etwas zu hastig voran. Dies läuft der Entmystifiezierung, bzw. realistischen Herangehensweise an den Superheldenmythos etwas zuwider. Da die Szenenfolge nun ohne weiteres vorangetrieben wird und die Abstände zwischen den Ereignissen nicht mehr mit denen der Vorlage konform gehen, entsteht im Mittelteil kurz der Eindruck, das Geschehen wandle sich zu einem waschechten‘ Superheldenfilm abseits jeder Besonderheit. Dies kontert Snyder allerdings zum einen mit einer Szene im Gefängnis, in dem einige Gefangene dem inzwischen inhaftierten Rorschach an den Kragen wollen. Hier findet ein kurzer Ausbruch wirklich heftiger Brutalität statt, der davon abzulenken weiß, dass Nite Owl und Silk Spectre, nachdem die alten Kostüme erst einmal wieder übergestreift sind, etwas unverhältnismäßig eifrig zu Werke gehen. Zum anderen drosselt der Film das Tempo wieder, nachdem die Helden dem Gefängnis entkommen sind. Leider fallen hier dennoch einige der bittersten und emotionalsten Handlungsstränge der Geschichte etwas unter den Tisch oder werden zu knapp gehalten. Dies geht ein bißchen auf Kosten der Szene, in der Silk Spectre versucht, Dr. Manhattan zur Rettung der Menschheit zu bewegen und dabei ein grauenhaftes, persönliches Geheimnis entdeckt. Hier erreicht Snyder am deutlichsten nicht die Tragweite der Vorlage.
Der sechste der Helden, Ozymandias, steht vor allem in Zusammenhang mit dem desillusionierenden, harten, doch bei der Konstellation der Ereignisse dennoch grotesk logischen Ende. Snyder nahm hier die größte Änderung zur Graphic Novell vor, ihm mit der Änderung jedoch zu unterstellen, er hätte den Sinn der Vorlage nicht verstanden, wäre ungerecht. Das Filmende passt zum Film. Wäre beim vorherigen völligen Verzicht jedweder Andeutungen plötzlich ein gewisses Tentakelwesen aufgetaucht, so hätte es wohl jede Wirkung verfehlt und schlicht absurd gewirkt. Das Zugeständnis an das Medium Film muss hier einfach gemacht werden, da die nötigen Hintergründe kaum hätten adäquat vermittelt werden können, um das Buchende hinzubekommen. Die Aussage und grundsätzliche Bedeutung wird durch die Änderung ohnehin nicht beeinflusst und einer der Charaktere, der entscheidend durch sie betroffen ist, erhält ein Motiv für seine letzte Tat, das ihm Alan Moore so nicht bot. Da eine über dreieinhalbstündige Version des Films auf DVD angekündigt ist, sollte man insgesamt über die leichten inhaltlichen Mängel hinwegsehen können. Diese werden mit der kommenden Version zweifellos ausgebügelt.
Betreffs der Schauspieler bietet schon die Kinofassung durchweg starke Leistungen, wobei nicht nur die Ähnlichkeit der Darsteller mit ihren gezeichneten Entsprechungen entscheidend ist. Billy Crudup, auf dessen Spiel die CGI-Figur basiert, gibt Dr. Manhattan eine faszinierend weltfremde Mimik. Ohnehin besticht der Charakter durch eine einzigartige und toll getroffene Aura. Jeffrey Dean Morgan als Comedian und Jackie Earle Haley als Rorschach entsprechen der Vorlage ungeheuerlich gut und meistern sämtliche Facetten dieser zwiespältigen Figuren mit Bravour. Matthew Goode, der auf den unbewegten Filmpostern noch nicht ganz als Ozymandias zu überzeugen wusste, tut dies in Bewegung umso mehr. Dekadenz und Arroganz, aber auch die enorme geistige Präsenz, körperliche Kraft und Gewandheit des klügsten Mannes der Welt bringt er voll rüber. Als Nite Owl liefert Patrick Wilson eine stark herausgearbeitete und oft auf kleinste Gesten gebrachte Performance zwischen Wehmut, Tatendrang und Schlaffheit. Malin Akerman gibt ihrer Silk Spectre eine sehr sehenswerte Physis, ihr Charakter kommt allerdings, wie erwähnt, leider etwas zu kurz. Ihre Überzeugungen bleiben zu undeutlich, um manche Gefühlsregung nachvollziehen zu können. Die Nebenfiguren werden ebenfalls alle etwas knapper angelegt, aber sehr gut dargestellt.
Zack Snyder gelingt mit Watchmen‘ eine nahezu bis ins Allerletzte ausgereizte Umsetzung der Kultsaga. Er begegnet der Vorlage mit viel Respekt, setzt sie annähernd mit dem Maximum an (möglicher) Genauigkeit um und erliegt nicht der eingangs erwähnten Verführung, den Stoff kommerziell auszuschlachten. Watchmen‘ wird auf die Art, wie Snyder ihn umgesetzt hat, vielen nicht gefallen. Bei allen Schauwerten ist er nicht das Superhelden-Action-Spektakel, das viele erwarten werden und das fälschlicherweise nicht zuletzt durch das Marketing auch vermittelt wird. Wer aber die Geduld mitbringt, sich einmal eine ganz andere (Anti-)Heldengeschichte erzählen zu lassen, der wird von einer Story mit immensem Unterbau dafür nur umso mehr belohnt.
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