Es ist eine der hochkarätigsten und vielversprechendsten Mischungen des Kinojahres 2006: Der einflussreiche und renommierte deutsche Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger (Elementarteilchen, Der Untergang, Resident Evil) bandelt mit einem der prominentesten, deutschen Regisseure an – mit Tom Tykwer (Heaven, „Der Krieger und die Kaiserin“, Lola rennt). Zusammen setzten sie Patrick Süskinds Roman „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“ in filmische Bilder um und damit den erfolgreichsten in deutscher Sprache verfassten Roman seit Erich Maria Remarques Antikriegsgeschichte „Im Westen nichts Neues“. Das Ergebnis des populären Trios ist eine Literaturverfilmung, die in ihrem Erscheinungsbild brillant anmutet, der Originalvorlage in weiten Zügen treu geblieben ist, aber dennoch eine generelle Schwierigkeit aufzeigt: dass nämlich die filmische Verarbeitung von Bestsellern immer eine Interpretation des Originals ist und dass dabei zwangsläufig einiges an Inhalt verloren geht. Mitunter auch ganz zentrale Aspekte.
Paris im Jahre 1738: Auf einem nach Tod und Verwesung stinkenden Fischmarkt bringt eine junge Frau (Birgit Minichmayr) klammheimlich ein Baby zur Welt. Jean-Baptiste Grenouille (Ben Whishaw), wie der Junge später heißen wird, ist mit einer außergewöhnlichen Gabe gesegnet: Er besitzt die beste Nase Frankreichs und kann Millionen von Gerüchen meilenweit erschnuppern. Nach einer harten Kindheit in der Gerberei von Grimal (Sam Douglas) trifft er auf den alternden Parfumeur Giuseppe Baldini (Dustin Hoffman), der sein Talent erkennt und als Gesellen einstellt. Grenouille wähnt sich im Himmel. Unter Baldinis Anleitung lernt Grenouille, Düfte zu extrahieren und zu konservieren. Doch eines Tages merkt er, dass die Methoden seines Lehrmeisters beschränkt sind und z.B. den Duft eines Menschen nicht einfangen können. Genau das aber will der junge Parfumeurgeselle. Also begibt er sich in die Stadt Grasse, dem „Rom der Düfte“, wo er hofft, die geheimnisvolle Kunst der Enfleurage erlernen zu können, eine besondere Technik, mit der man sämtliche Düfte festhalten kann. War Jean-Baptistes Streben bis dahin eher ziellos, so gewinnt er auf der Reise nach Grasse eine für ihn schreckliche Erkenntnis: Alles um ihn herum riecht, nur er selbst besitzt keinen Geruch, weswegen er oft übersehen wird. Doch Jean-Baptiste möchte geliebt werden und beschließt deshalb ein Parfum zu kreieren, dem keiner widerstehen kann. Seine wichtigsten Ingredienzien hierfür: der Duft dreizehn junger, unberührter und bildhübscher Mädchen. Auch auf Laura (Rachel Hurd-Wood), die Tochter des Kaufmanns Antoine Richis (Alan Rickman), hat es Grenouille abgesehen.
Literaturverfilmungen sind immer eine heikle Sache. Kinozuschauer, die das Buch gelesen haben, kennen natürlich die Charaktere, wissen wie sie denken, wie sie handeln und antizipieren somit, das gleiche Geschehen auf der Leinwand zu sehen. Einige Filme schaffen es, den Ton der Vorlage zu treffen, wissen die elementarsten Bestandteile zu extrahieren und weniger Wichtiges nebenbei zu erwähnen. Stephen Frears’ Verfilmung von Nick Hornbys Bestsellerroman High Fidelity ist so ein Beispiel. Doch oft genug verheben sich Produzent und Regisseur mit filmischen Umsetzungen von weltbekannten Büchern. Ron Howards enttäuschender The Da Vinci Code - Sakrileg und Oskar Roehlers umstrittener Elementarteilchen sind nur zwei Beispiele von vielen, die deutlich machen, dass auf solchen Projekten ein enormer Druck lastet. „Das Parfum“ von Tom Tykwer ist weder gänzlich zum einen, noch vollends zum anderen Extreme hinzuzurechnen. Die Gründe, warum die Romanverfilmung zwischen den beiden Polen liegt, sind vielfältig.
Die Detailverliebtheit, die der Film zutage bringt, ist überwältigend. Penibel wurde darauf geachtet, ein möglichst getreues Bild vom Paris des 18. Jahrhunderts zu entwerfen, in dem es keine Kanalisation gab und außerordentlich unhygienische Zustände herrschten. Um den „schmutzigsten Fleck der dreckigsten Metropole Europas im 18. Jahrhundert“, den Pariser Fischmarkt, nachzubauen, begab man sich nach Barcelona. Hier wurde der Stadtkern, das Barrio Gótico, mithilfe von Dirt-Units per Schlauch und Dreckeimern in ein möglichst realistisches Chaos verwandelt. Wer genau hinschaut, wird Tykwers Motto (Authentizität und Intensität) auch in den Kostümen und im Make-Up erkennen. Hier wurde der Dirt-Look mit einem Durchs-geschminkte-Gesicht-Wischen, dem Aufstrubbeln der Frisur sowie dem absichtlichen Verrutschen der Kleidung erreicht. All diese Bemühungen sind im Film zu sehen, bilden einen Augenschmaus und das passende Setting für die Geschichte.
Einen glanzvollen Eindruck hinterlassen auch die schauspielerischen Leistungen des Akteure. Der relativ unbekannte Ben Whishaw (Stoned; Layer Cake), den Tykwer am Londoner Old Vic Theatre kennen gelernt hat und für die Rolle des Grenouille verpflichten konnte, verkörpert die innere Reise und Entwicklung des Jean-Baptiste Grenouille vom Niemand zum Jemand mit Herzblut. Wie es das Original vorgibt, sind seinem Gesicht nur selten große Gefühlsregungen zu entnehmen, doch durch sein Handeln wird das Innerste immer deutlich. Den Umstand, dass er als fast autistischer Protagonist vom Roman nur wenig Redeanteile zugeteilt bekommt, kompensiert er durch ausdrucksstarkes Agieren gekonnt. Dustin Hoffman (I Heart Huckabees, Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich, Die Reifeprüfung) als Giuseppe Baldini und Alan Rickman (Snow Cake, Harry Potter und der Gefangene von Askaban, Stirb langsam) als Antoine Richis beweisen wieder einmal ihren Hollywoodstar-Status. Da Süskinds Roman den Frauen nicht viel mehr Platz als die Opferrolle einräumt, sind die Anteile der weiblichen Akteure in „Das Parfum“ dementsprechend gering. Doch mit Rachel Hurd-Wood (An American Haunting, Peter Pan) als Richis Tochter Laura und mit Karoline Herfurth (Eine andere Liga, Mädchen Mädchen 2) als dem Mirabellen-Mädchen wurden zwei Schauspielerinnen gefunden, die trotz ihrer kurzen Auftritte bleibenden Eindruck hinterlassen.
Jedoch sieht sich „Das Parfum“ einem grundsätzlichen Dilemma gegenüber. Der Welt der Düfte lässt sich im Kino nur schwer habhaft werden (übrigens sind bis jetzt sämtliche Versuche, das Geruchskino zu etablieren, höchstens mittelmäßigen Kalibers gewesen). Wettgemacht werden soll das im Film durch hübsche Kamerafahrten in dunkle Nasenlöcher hinein, durch ästhetische Makroaufnahmen von Rosenblüten und werbeähnlichen Bildern mit geringer Tiefenschärfe von anderen ausgewählten Duftprodukten. Nett anzuschauen zwar, doch den im Buch befindlichen, ellenlangen Beschreibungen von diversen Gerüchen wird man damit dennoch nicht gerecht. Auch wirkt es mit voranschreitender Dauer des Films unfreiwillig komisch, wenn Grenouille mal wieder die Nase in den Gegenwind haltend, nur schnüffelnd durchs Bild läuft – mal einer Frau folgend, mal Menschen ausweichend – und ansonsten nichts weiter passiert. Ein wenig mehr Intervention des Erzählers Otto Sander – seine anschmiegsame und dennoch leicht raue Stimme passt gut zum Grundton des Films – wäre hier gelegentlich wünschenswert gewesen.
Romankenner werden es bemerken – der Film bleibt dem Buch besonders am Anfang und am Ende äußerst treu, wartet aber im Mittelteil mit Änderungen auf. Ob nun im Film 13 Mädchen ihren Duft für das eine Parfum lassen müssen oder wie im Buch 25 ist eine Umarbeitung, die verschmerzbar erscheint. Weniger begeistert dürften sich jedoch alle Freunde der gedruckten Version über den Umstand zeigen, dass Tykwer, Eichinger und der dritte Drehbuchautor, Andrew Birkin, Grenouille eine leicht freundlichere Rolle zugeschrieben haben als sie das Original vorsieht. Im Roman wird Grenouille (die Kröte) viel heimtückischer, von Hass gegen die Menschen zerfressen beschrieben. Wie einen kleiner Teufel stellt man sich die beste Nase Frankreichs vor. Doch im Film ist er alles andere als hässlich und hinkend, wirkt eher mitleidserregend. Das Bild der Zecke, des Blutsaugers, das im Buch eine so zentrale Metapher ist, wird im Film nicht deutlich. Auch der Geist der Aufklärung und dessen Ad-absurdum-Führung – ein signifikanter Aspekt im Buch – wird im Film nicht klar herausgearbeitet. Dass das im Roman beschriebene orgiastische und orgastische Bacchanal in Grasse dank einer FSK ab 12 Jahren nicht viel mehr als eine Kinderfernsehen-taugliche Massenumarmung geworden ist... geschenkt. Allerdings knarrt es dadurch etwas im dramaturgischen Gebälk, denn dem Höhepunkt wird dadurch viel an Intensität genommen. Doch ein Lichtblick bleibt: Am Ende des Films wurde die Möglichkeit einer Botschaft trotz postmoderner Erzählung beibehalten: Der Weg ist das Ziel.
Fazit: „Das Parfum“, zweifelsohne einer der heiß ersehntesten Kinohöhepunkte dieses Jahres, präsentiert sich mit einer prächtigen Optik aus schönen und dreckigen Bildern zugleich und bereitet damit den Nährboden für die Umsetzung eines großartigen Romans. Inhaltlich trifft die filmische Interpretation des Romanstoffes den Nerv der Geschichte nicht vollends, wirkt oft eine Spur zu artig. Ein Sehgenuss auf der einen Seite, eine zierliche Enttäuschung für alle Kennern des Romans auf der anderen.
Zum FILMSTARTS.de-Interview mit mit Produzent Bernd Eichinger und der Crew der Tongestaltung