Nur wenigen Filmen gelingt es, zwei gänzlich unterschiedliche Genres zu mischen ohne eines davon zum mehr oder minder überflüssigen Beiwerk zu degradieren. Bei Neil Jordans „The Crying Game“ werden Thriller und Liebesgeschichte miteinander verwoben. Der Clou: Erstes Drittel ist reiner Thriller, der Mittelteil eine spannende Beziehungsgeschichte, die zum Ende hin wieder zu einem Krimi gewandelt wird. Jordan schrieb ein ausgezeichnetes Drehbuch, für das er zu Recht mit dem Oscar ausgezeichnet wurde – nicht zuletzt dank einer vollkommen überraschenden Wendung.
Fergus (Stephen Rea, V wie Vendetta) ist Agent der IRA. Er wird mit der Bewachung des britischen Soldaten Jody (Forest Whitaker, Panic Room) beauftragt, der als Geisel für Forderungen an die Regierung benutzt werden soll. Die beiden freunden sich schnell an, allerdings bekommt Fergus schließlich den Auftrag, Jody zu erschießen. Just in dem Moment, in dem er ihn hätte laufen lassen, wird Jody von einem Armeelastwagen überfahren. Fergus taucht in London unter und nimmt Kontakt mit Jodys Freundin, der wunderschönen Dil (Jaye Davidson, Stargate) auf. Er findet Gefallen an ihr und richtet deshalb weder Jodys Nachricht aus, noch verliert er ein Wort darüber, dass er an dessen Tod beteiligt war.
Neil Jordan lieferte 1992 mit „The Crying Game“ eine Meisterleistung ab. Kritiker und das Publikum in den USA waren begeistert - bei nicht einmal 4 Mio. Dollar Budget spielte der Film über 62 Mio. Dollar an den Kinokassen ein. In Deutschland konnte er allerdings nicht an diese Erfolge anknüpfen. Nominiert wurde er für sechs Oscars, u.a. in den Kategorien bester Film, beste Regie, sowie bester Hauptdarsteller und beste Nebendarstellerin. Allerdings stach ihn in den beiden ersten Kategorien Clint Eastwoods Erbarmungslos aus. Hier zeigt sich wieder einmal, dass der Drehbuch-Oscar häufig für einen Geheimtipp gut ist.
„The Crying Game“ beginnt auf dem Jahrmarkt. Die verführerische Jude (Miranda Richardson, Spider, The Hours) lockt den Soldaten Jody in eine Falle. Das sind genau genommen die einzigen Minuten des Films, die in einer für den Zuschauer alltäglichen Umgebung spielen. Der Rest des Films ist vom Zwielicht geprägt, von einer unheimlichen Atmosphäre. Zunächst fährt Jordan eine mitreißende Geiselsituation auf, die ganz nebenbei die Gewissenskonflikte von Fergus beleuchtet. Forest Whitaker spielt hier den britischen Soldaten mit einer Intensität, die ein wenig an die Performance von Michael Clarke Duncan in The Green Mile erinnert.
Später beherrscht das Liebesspiel zwischen Dil und Fergus die Szenerie. Auch hierbei baut sich eine packende Atmosphäre auf, was nicht zuletzt an der großen Wendung des Films liegen mag, über die hier kein Wort verloren werden sollte. Zwar nutzte Miramax diese für eine geschickte Promotion des Films, jedoch nähme die Kenntnis der Schlüsselszene jeglichen Effekt. Die genannte Stimmung des Films bleibt jedenfalls auch in dieser Phase düster und auf ungewöhnliche Art und Weise spannend. Auch die spätere ungewollte Verwicklung von Fergus in die weiteren Pläne der IRA tragen hierzu bei.
Dies schlägt sich auch in der Regie von Jordan wieder: Er lässt seine Charaktere vorzugsweise durch die Dunkelheit schreiten und wählt passend dazu als wichtigsten Handlungsort eine düstere Tanzbar. Stephen Rea spielt den Aussteiger-Agenten sehr facettenreich. Mal ist er aufsätzigen Launen unterworfen, mal scheint er einfach nicht zu wissen, was zu tun ist und ein anderes Mal nimmt er die Dinge mit ungewohnter Präzision in die Hand. Diese verschiedenen Rollenaspekte verkörpert er stets glaubwürdig, was die Oscar-Nominierung rechtfertigt. Über die Leistung von Jaye Davidson sei nur soviel gesagt: Unglaublich und sehr richtig mit der Nominierung für den Oscar als bester Nebendarsteller belohnt. Auch die übrigen Rollen sind hervorragend besetzt: So etwa als besonderes Schmankerl Miranda Richardson - sie spielt eine durchtriebene Agentin, die ihren weiblichen Charme mit sichtlichem Vergnügen einsetzt.
Stanley Kubrick riet übrigens seinem Freund Jordan, den Film nicht wie ursprünglich geplant „The Soldier's Wife“ zu taufen. Militärisch oder religiös klingende Titel würden das Publikum meist abschrecken. Tatsächlich waren Jordans vorangegangene Filme mit den Titeln „The Miracle“ und „We're No Angels“ an den Kinokassen gefloppt. Deshalb wurde der Film nach einem Popsong der 60er Jahre benannt, der in einer Szene von Dil interpretiert wird.
In Deutschland vergleichsweise unbekannt, lässt sich „The Crying Game“ als absoluter Geheimtipp bezeichnen. Das Thriller-Drama spielt auf unterhaltsame Weise mit Identitäten und lässt die IRA-Problematik mühelos am Rand einfließen, ohne sie überflüssig werden zu lassen. Das Drehbuch zeichnet sehr interessante Charaktere, die der Zuschauer zu keiner Stelle des Films richtig durchschauen kann. Genau hieraus entsteht eine enorme Spannung, denn die Beziehung zwischen Dil und Fergus erhält dadurch eine ungewöhnliche Note – sie ist weit entfernt von jedem klassischen Liebesfilm. Die Leistungen der Darsteller stimmen mit diesem Urteil überein und machen das Meisterwerk komplett.