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    Millions
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Millions
    Von Lars Lachmann

    Wer hat als Kind nicht schon einmal in der Vorstellung ein ähnliches Szenario durchgespielt: Wenn ich eine riesige Tasche voll mit Geldscheinen finden würde, was würde ich mit diesem unerwarteten Reichtum anfangen? Auch Drehbuchautor Frank Cottrell Boyce („Hilary und Jackie“, „Welcome To Sarajevo“) versetzte sich in die Perspektive zweier Jungen hinein, bei denen diese Fantasie Wirklichkeit wird. Unter der Regie von Danny Boyle entstand daraus die Tragikomödie „Millions“, mit welcher er sich nach Filmen wie „Kleine Morde unter Freunden“, „Trainspotting“, „The Beach“ und „28 Days Later“ erstmals auch einem jüngeren Zielpublikum zuwendet.

    Der 7-jährige Damian (Alex Etel) und sein zwei Jahre älterer Bruder Anthony (Lewis McGibbon) ziehen mit ihrem Vater (James Nesbitt) in eine Neubausiedlung in ein neues Haus in einer neuen Umgebung. Sie besuchen eine neue Schule und treffen auf neue Mitschüler. Doch diese Umstellungen fallen den beiden immer noch leichter, als mit dem Tod ihrer Mutter fertig zu werden, die erst vor kurzem verstorben ist. Damian interessiert sich für berühmte Heilige und kennt neben deren genauen Geburts- und Sterbedaten auch deren jeweilige Biographie – so wie sich andere Kinder vielleicht die technischen Daten von Flugzeugen oder Autos merken, von denen sie fasziniert sind. Kein Wunder, dass er sich sogar mit diesen historischen Figuren unterhält und sie natürlich auch nach dem Verbleib seiner Mutter fragt. Als ihm eines Tages eine Reisetasche, dick bepackt mit Britischen Pfundnoten, in den Schoß fällt, glaubt er deshalb zuerst an ein göttliches Zeichen. Er zeigt Anthony den Fund, welcher ihn dazu drängt, ihrem Vater nichts zu erzählen. Doch was tun mit so viel Taschengeld? Während Anthony sich damit bei seinen neuen Klassenkameraden Respekt verschaffen, es für tolle Spielzeuge ausgeben oder in Immobilien anlegen möchte, ist Damian eher dafür, es den Armen zu spenden, worin er in seinen Gesprächen mit den Heiligen, auf die er trifft, auch bestärkt wird. Zudem bleibt den beiden nicht viel Zeit, denn in wenigen Tagen soll die Währung von Britischen Pfund auf Euro umgestellt werden – und bis dahin muss alles ausgegeben oder umgetauscht sein...

    Fast die gesamte Handlung des Films wird durchgehend aus der Sicht der beiden Hauptfiguren Damian und Anthony erzählt. Dabei wirken die Art und Weise, wie die beiden mit der jeweiligen Situation umgehen sowie die Darstellung all der Aufregung und Spannung, die der überraschende Geldfund mit sich bringt, so echt und überzeugend, dass es nicht nur jungen Zuschauern sehr leicht fallen dürfte, sich in die beiden Kinder hineinzuversetzen. Genau so sind Jungs in dem Alter! An dieser Stelle ein dickes Lob nicht nur an Drehbuch und Regie, sondern auch an das Casting sowie natürlich an die beiden großartigen Hauptdarsteller Alex Etel und Lewis McGibbon.

    Dennoch ist „Millions“ kein reiner Kinderfilm. Mit der Bewältigung des Todes der Mutter, die nicht nur den Brüdern, sondern auch dem Vater Ronnie zu schaffen macht, sowie der Bedeutung und dem Einfluss, den Geld in unserer Gesellschaft hat, spricht der Film sehr ernste Themen an. Nicht selten ergibt sich aus einer Konfrontation mit diesen Themen aus der kindlichen, zum Teil noch unverstellten Perspektive der Protagonisten heraus eine Komik, die sich eher erwachsenen Zuschauern erschließt und die gewissermaßen zwischen den Tönen erklingt. Im Englischen gibt es dafür die treffende Bezeichnung offbeat comedy. Ähnliches gilt für die sehr lockere Inszenierung der Heiligenfiguren, die Damian im Laufe der Handlung erscheinen. Der Glaube ist denn auch ein weiteres zentrales Thema, welches – vergleichbar, aber etwas sanfter als in Kevin Smiths „Dogma“ – trotz ironischer Überzeichnungen dennoch mit dem nötigen Respekt angegangen wird. So wird beispielsweise eine Klara von Assisi (1193 bis 1253), aufgrund ihrer Entrückungen und Visionen 1958 von Papst Pius XII. zur Patronin des Fernsehens erklärt, gezeigt, die sich während ihrer Unterhaltung mit Damian genüsslich einen Joint anzündet. Ein weiteres komödiantisches Bonbon sind zwei kurz zwischen den Szenen eingespielte „Euro-Werbespots“, die in ihrer eindeutig-zweideutigen Art jenen unverkennbar britischen Humor versprühen.

    Was Schnitte, Kameraführung und Effekte betrifft, zeigt sich „Millions“ innovativ und experimentierfreudig. Gleich am Anfang bewegen sich Anthony und Damian innerhalb des auf dem Baugrundstück abgesteckten Grundrisses für ihr neues Zuhause umher und stellen sich vor, wie das Haus später aussehen wird. Unmittelbar darauf zeigt eine spielerische Sequenz den Aufbau des Hauses im Zeitraffer. Zusätzlich finden sich liebevolle Referenzen auf andere Filme: Als Damian die Geldtasche entgegengeflogen kommt und direkt vor seinen überraschten Augen landet, öffnet sich diese mit einem leichten Geräusch von selbst und gibt ihren Inhalt preis – ganz ähnlich wie jene Verderben bringenden Eier aus dem Film „Alien“ –, ein geschickter Hinweis auf die ungewisse Herkunft des Geldes sowie auf dessen ambivalente Funktion innerhalb des Films. In einer späteren Szene werden die Kinder von einer zwielichtigen Gestalt verfolgt, die es auf das Geld abgesehen hat und deren schweres Atmen leicht an Darth Vader aus „Star Wars“ erinnert.

    „Millions“ ist ein Film für Kinder und Erwachsene jeden Alters sowie für die ganze Familie – wobei die Jüngsten ihn doch besser in Begleitung Erwachsener ansehen sollten. Die Aspekte Tod (der Mutter) und Religiosität werden sehr einfühlsam thematisiert, das Gleiche gilt für seine kritische Auseinandersetzung mit dem Stellenwert, den das Geld im gesellschaftlichen Zusammenhang einnimmt. Deshalb wirkt das ebenso glückliche wie bezaubernde Ende auch keinesfalls kitschig oder moralisierend, sondern rührend bzw. ermutigend.

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