Ja, man merkt "Hautnah" an, dass der Film eigentlich ein Stück für die Bühne ist. Vielleicht ist es genau das, was "Hautnah" so hautnah macht. Konzepiert fürs Theater, sind die Dialoge pointierter, die Gesten größer, die Handlung zugespitzter, auf ein Minimum reduziert, eingedampft. Ohne Schnörkel, Schnickschnack, gradlinig. Würde man sich mit diesem Film einrichten, wäre das neue Wohnzimmer ästhetisch reduziert. Kühl, schön, vielleicht elegant. Nicht einladend, auf keinen Fall heimlich und erst recht nicht bequem. Diesen Anspruch erhebt "Hautnah" erst gar nicht, will es von Anfang an nicht sein! "Hautnah" ist nicht die ausgelegte Kuscheldecke, an die man sich hautnah schmiegt. "Hautnah" geht tiefer, unter die Haut und ist noch näher als hautnah. Dieser Film lädt nicht zum Verweilen ein. Er will nicht, dass es der Zuschauer bequem hat, sich heimlich und wohl fühlt. Nein, dieser Film ist beklemment, fordernd, teilweise sogar drohend, unbequem für Zuschauer und Charaktere. Vielleicht ist es die ähnliche Situation von Zuschauer und Protagonisten, die eigentlich nur ein Ziel haben: den unbequemen IST-ZUstand zu verlassen, um in altbekannten Komfortzonen abzutauchen. Doch Flucht ist ausgeschlossen. Immer wieder vereitelt durch Dialoge, die packen, die wachrütteln und schallender sind als jede Ohrfeige. Jeder Satz, jedes Wort sitzt - zack, mitten in die Fresse mit lautem WUMM! Aber lauter WUMM ist wie Schmerz, hat denselben Effekt: er macht wach, lässt erkennen und reflektieren. Eine Reflektion, die bewusst macht und konfrontiert mit einem Film, der in brechtscher Manier, es seit langem mal wieder schafft, dass wir Kino nicht nur konsomuieren, sondern eigene Gedanken produzieren. Ja, "Hautnah" zwingt zum Denken. Keine leichte Aufgabe - erst recht nicht für die, die sich dabei beim Popcornessen gestört fühlen. Hier isst man nicht, man wird gefressen. Verschluckt mit Haut und Haar, weil dieser Film fordert - ähnlich wie es Theater tut oder einst tat, weil beides, Film und Theater, im besten Sinne des Wortes eine Geschichte erzählen. Eine mit Mehrwert und ohne vorkegaute Und-die-Moral-Von-Der-Geschicht-Floskel. Großartig. EINFACH GENIAL!!!