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    Chicago - Engel mit schmutzigen Gesichtern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Chicago - Engel mit schmutzigen Gesichtern
    Von René Malgo

    Als Kinder vertreiben sich die in den Slums Chicagos aufgewachsenen Freunde Rocky Sullivan (James Cagney) und Jerry Connelly (Pat O'Brien) ihre Zeit mit Diebstählen und Botengängen. Bei einem ihrer Ausflüge wird Rocky gefasst und verhaftet. Nach verbüßter Haftstrafe kehrt er als erwachsener Mann in die Slums zurück. Dort wird er zum Idol der Jugend, sehr zum Unbehagen von seinem Freund Jerry, der Priester geworden ist. Rocky gerät zurück in den Sog der Kriminalität und legt sich mit seinem schmierigen Anwalt James Frazier (Humphrey Bogart) an. Da sich die Jungs der Nachbarschaft immer mehr zu Rockys verbrecherischen Machenschaften hingezogen fühlen, beschließt Pater Connelly, etwas dagegen zu unternehmen. Damit setzt er seine Freundschaft mit Rocky und auch sein Leben aufs Spiel.

    Es war nicht leicht, Ende der 30er Jahre einen Gangsterfilm zu drehen. Religiöse Verbände und Zensurbehörden saßen den Studios im Nacken und beobachteten die Romantisierung von Gangstern mit Argusaugen. Der Bandit durfte beispielsweise keine Maschinenpistole benutzen und musste immer die gerechte Strafe für seine Taten erhalten. Kein Wunder also, dass „Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern" („Angels With Dirty Faces") besonders stark in die Moralkerbe schlägt. Dass sich der Film dabei nie zu aufdringlich präsentiert und mit seiner moralischen Auflösung auch tatsächlich überzeugen kann, liegt an der gekonnten Regie von Michael Curtiz. Trotz seines Alltime-Klassikers „Casablanca" wird Michael Curtiz noch immer gerne unterschätzt. Nur zu oft sehen Kritiker in „Casablanca" das Zufallsprodukt perfekter Umstände eines durchschnittlichen Regisseurs. Dieses Vorurteil mag vor allem am hohen Arbeitspensum von Curtiz liegen, der deswegen nicht nur Erstklassiges ablieferte. Mehr als fünf Filme in einem Jahr waren bei ihm keine Seltenheit. Mit „Angels With Dirty Faces" beweist er aber, wozu er wirklich imstande ist.

    Der einwandfrei gedrehte Film wird mit einem epischen Panorama-Schwenk auf Chicago eröffnet. Eine Szene voller Komparsen und Kulissen, die auch heute noch in Staunen versetzen kann. Eine legendäre Schlusssequenz rundet dieses tadellose Gesamtbild gebührend ab. Rockys Gang von der Todeszelle bis zum elektrischen Stuhl ist von einer packenden Intensität, wie es sie selten gibt. Sie dient nicht nur als Beispiel außergewöhnlicher Beleuchtung, sondern lässt auch verschiedene Lesarten zu, wie der Hauptgangster des Films nun tatsächlich in den Tod gegangen ist. Ob schlussendlich doch mit erhobenem Haupt, oder gedemütigt oder zumindest geläutert und moralisiert. Der angehängte Schlussakkord bringt die Moral der Geschichte noch einmal auf den Punkt. Pater Connelly besucht jene Kids in ihrem Kellerunterschlupf, die dem Verbrechen besonders zugetan sind. Er bestätigt die Geschichte der Zeitungen, dass der große Gangster Rocky um Gnade winselnd gestorben ist. Dann verlassen er und die Jugendlichen den dunklen Keller, eine Treppe hinauf in das Licht. Dahinter kann Symbolik vermutet werden, ohne dass Regisseur Curtiz noch einmal zu ausgeprägt oder mit zu vielen Worten die Moralkeule schwingt.

    Für die Rollenbesetzung wurde ein ansehnlicher Cast gewonnen. Die Freunde James Cagney und Pat O'Brien begaben sich für diesen Film schon zum sechsten Male gemeinsam vor die Kamera. Entsprechend glaubhaft kommt denn ihre Freundschaft im Film auch rüber. James Cagney schafft es, seiner Gangster-Figur Menschlichkeit und eine sympathische Note zu verleihen. Humphrey Bogart gefällt als Bad Guy, sollte aber erst später, als Held diverser Noir-Thriller und Dramen zu wirklich großer Form auflaufen. Für die vom rechten Weg abgekommenen Jugendlichen wurden die am Broadway bekannt und beliebt gewordenen Dead End Kids verpflichtet. Diese Jungs waren tatsächlich keine Engelchen und terrorisierten das Set während den Dreharbeiten. Sie hatten jedoch nicht mit James Cagneys Gegenwart gerechnet. Als einer von ihnen Humphrey Bogart ärgerte, ließ es sich Cagney nicht nehmen, den Jungen unter die Nase zu klatschen. Von da an benahm sich die Gang und Cagney wurde nicht nur im Film zu so etwas wie einem Idol.

    Das Gangster-Drama beinhaltet alle Elemente, die ein guter Film haben sollte. Nebst vorzeigbaren Darstellerleistungen und einer ansprechenden Inszenierung kommen emotionale Momente gleichwie humoristische Parts nicht zu kurz. „Angels With Dirty Faces" kann einen lockeren Ton beibehalten, ohne dass der Ernst des Themas wirklich beeinträchtigt wird. Faszination und Gefahr des Verbrechens werden gekonnt vermittelt und unter der Hand eines so fähigen Regisseurs hätte der Film zweifellos auch ohne große Moralisierung funktioniert. „Angels With Dirty Faces" glückt als ehrliche Milieustudie und verweigert sich vor allem der Schwarz-Weiß-Malerei. Das gewährleistet schon James Cagneys mitreißende Performance, liegt aber auch an der erzählten Geschichte. Rocky gelangt erst vollends auf die schiefe Bahn, als er einer sinnigen Zukunft beraubt aus dem Gefängnis entlassen wird. Eingesperrt wurde er für eine Tat, an die auch Pater Connelly in seiner Jugend beteiligt war. Während Jerry Connelly entkommen konnte, war Rocky nicht schnell genug. So sagte Jerry zu ihrer beider Schicksale auch: „Ich konnte einfach schneller laufen."

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