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    Manderlay
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Manderlay
    Von Björn Helbig

    In „Manderlay“ setzt Lars von Trier seine Amerika-Kritik mit neuer Besetzung fort. Wie bereits in Dogville (2003) setzt er auf extreme Reduktion, die dem Theater teilweise näher kommt als dem Kino. In vielerlei Hinsicht reicht von Triers neuer Film allerdings nicht an den genialen Vorläufer heran.

    Wir schreiben das Jahr 1933. Nachdem Lars von Trier seine Protagonistin Grace (damals gespielt von Nicole Kidman) im ersten Teil seiner Amerika-Trilogie „Dogville“, einem Traktat über das Böse im Menschen, im kleinen aber gemeinen Dörfchen am Rande der Rocky Mountains leiden, dann aber grausame Rache nehmen ließ, führt der Regisseur sie diesmal südwärts auf die Baumwollplantage Manderlay. Voller Erschrecken stellt Grace (Bryce Dallas Howard) fest, dass die Sklaverei, obwohl seit 70 Jahren offiziell abgeschafft, dort noch existiert. Daraufhin borgt sie sich von ihrem Daddy, einem einflussreichen Gangster, eine Handvoll seiner bewaffneten Männer, um fortan auf Manderlay demokratische Verhältnisse durchzusetzen. Die Besitzerin der Plantage, „Mam“ (Lauren Bacall), erklärt Grace zwar noch kurz vor ihrem Tod, sie, Grace, habe „ja gar keine Ahnung“, was die Gangstertochter eigentlich hätte misstrauisch stimmen müssen; doch geht sie mit ihren demokratischen Schulungsversuchen frisch ans Werk und merkt erst nach und nach, dass auf Manderlay wirklich etwas nicht stimmt.

    Lars von Trier („Europa”, „Breaking the Waves“, „Idioten”, Dancer in the Dark, „Dogville”), geboren 1956 in Kopenhagen, gilt sowohl als experimentierfreudiges Genie als auch als notorischer Provokateur. So darf es nicht als verwunderlich gelten, dass von Trier es schaffte, sein Publikum in beinahe jedem seiner Filme zumindest formal zu überraschen. Und wenn man die Überraschung gewohnt ist, dann überrascht es beinahe auch schon wieder, dass „Manderlay“ im Vergleich zu „Dogville“ visuell nichts Neues zu bieten hat. Auch der zweite Teil spielt auf einer auf dem Studioboden aufgemalten Modellwelt. Die Plantage besteht aus einem aufgezeichneten Plan, der nur durch spärliche Requisiten ergänzt wird. Doch was an „Dogville“ noch aufregend war, ist in „Manderlay“ schon gewöhnlich und fast abgenutzt.

    So überraschend von Triers Formalien und Ästhetik – exklusive in seinem neuesten Film –, so vorhersehbar sind meist die von ihm erzählten (Passions-)Geschichten. In „Manderlay“ ist das Leiden seiner Protagonistin im Gegensatz zu seinen übrigen Filmen zwar um ein Vielfaches abgeschwächt, teilweise sogar humoristisch aufgelockert und oftmals ironisch gebrochen, doch bleibt von Trier sich insofern treu, als dass auch Graces Scheitern vorprogrammiert ist. Unter dramaturgischen Gesichtspunkten wirkt dieses Beharren auf einer immer ähnlichen Grundgeschichte ziemlich ungeschickt. Ein wenig weniger von Oben draufgeschaut, bietet der dänische Provokateur mit „Manderlay“ natürlich wieder eine originelle Geschichte, diesmal sogar eine Parabel. Grob ist der Film angelehnt an das Vorwort des Romans „Die Geschichte der O“ von Jean Paulhan, („Das Glück der Sklaverei“), indem geschildert wird wie Sklaven in der Karibik ihren weißen Herren massakrieren, weil dieser sie nicht länger befehligen will. Natürlich bietet ein solches Gedankenexperiment allerlei Zündstoff und auch im Falle von „Manderlay“ (der nebenher allerdings noch ein paar weitere Brüche und Wendungen bereit hält) wird über dieses moralische Dilemma um Freiheit, selbst bestimmte Unfreiheit, und das Recht sich einzumischen, zu reden sein.

    Wir wissen jetzt: Auch „Manderlay“ ist wieder ein anspruchsvolles Stück Kino, das sowohl intellektuelle Brisanz enthält als auch – wieder einmal – die absolute Reduktion predigt. Der Film muss sich allerdings auch einiges an Kritik gefallen lassen. So wirkt die Parabel über Sklaven aus eigener Entscheidung überkonstruiert und wie am Reißbrett entworfen. Darunter leiden merklich auch die Schauspieler. Nicht nur, dass Bryce Dallas Howard ( The Village) an Nicole Kidmans emotional-intensives Spiel nicht heranreicht, auch scheint die Rolle der Grace nun eine seltsame Wandlung hin zur aktiven Wohltäterin erfahren zu haben. Mag das auch der veränderten Geschichte, welche die neue Grace auszufüllen hat, geschuldet sein – Grace aus „Dogville“ und Grace aus „Manderlay“ gehen jedenfalls nicht recht zusammen. Es wirkt nicht einmal so, als hätte sich die erste hin zur zweiten entwickeln können. Auch die anderen Darsteller (z.B. Willem Dafoe als neuer Gangsterdaddy oder Danny Glover und Isaach De Bankolé als Sklaven Wilhelm und Timothy) machen ihre Sache nicht schlecht, doch scheinen auch sie machtlos gegen dieses artifizielle Sklavendrama und ihre schauspielerischen Qualitäten wirken teilweise an die Visionen von Triers verschenkt.

    Ob die großen Themen- und Fragenkomplexe – kann/darf man mit Hilfe von Waffengewalt auch gegen den Willen von Menschen Demokratie einführen? – in Lars von Tiers neuestem Film einfach nur behauptet werden oder ob es eine wirkliche Auseinandersetzung mir ihnen gibt, muss der Zuschauer für sich selbst entscheiden. Und letztendlich liegt es ebenso an ihm, ob er in Manderlays reduzierter Ästhetik und dessen künstlichem moralischen Tiefschlag einen weiteren großen cineastischen Wurf ausmachen kann oder halt doch „nur“ eine visuell ungewöhnliche, konstruierte Provokation. Auf den dritten Teil der trierschen Amerika-Trilogie „Washington“ wird man jedenfalls noch einige Zeit warten müssen, denn dafür fühlt sich der Regisseur nach eigener Aussage „noch nicht reif“.

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