Lars von Trier und Thomas Vinterberg zählen zu Dänemarks Filmemacherelite und den Begründern von Dogma. Das blutige Außenseiter-Drama „Dear Wendy“ führt ihre Wege in einem Film zusammen und die Spannung dieses Aufeinandertreffens ist ebenso groß wie die Erwartung an etwas Außergewöhnliches. Die Hoffnung wird jedoch nicht erfüllt, „Dear Wendy“ enttäuscht zwar nicht wirklich, aber bei Kalibern eines von Trier und Vinterberg wäre mehr drin gewesen.
Eine verschlafene, heruntergekommene Kleinstadt irgendwo im Südosten der USA ist die Heimat von Dick (Jamie Bell). Allein die Tatsache, dass er sich einer „Karriere“ als Minenarbeiter strikt verweigert, macht ihn zum Außenseiter. Der verschlossene Junge lebt in seiner eigenen Welt, die er mit niemandem teilen kann. Bis ihm eines Tages die wohlgeformte Wendy vom Zufall in die Hände gespielt wird. Die tiefe Bindung, die er zu ihr aufbaut, soll sein Leben und das seiner Heimatstadt gründlich ändern.
Dick ist aus tiefster Überzeugung Pazifist und wird als eigenwilliger Einzelgänger mit dem Herz am rechten Fleck notgedrungen akzeptiert. Sheriff Krugsby (Bill Pullman) hält ihn für den geeigneten Kandidaten, um den straffällig gewordenen jungen Sebastian (Danso Gordon) als Bewährungshelfer zu begleiten. Was er nicht weiß: Dick hat sich heimlich, still und leise zu einem Waffenspezialisten mit einem ganzen Arsenal erlesener Pistolen entwickelt. Mit einem Revolver namens Wendy fing alles an. Von dem guten Stück, das er zunächst als billiges Geschenk schnellstmöglich wieder loswerden wollte, ging eine magische Anziehung auf ihn aus. Immer trug er sie bei sich, immer spürte er die Stärke, die sie ihm verlieh, und immer war für ihn klar, dass er sie nie einsetzen würde. Bald entdeckt sein gleichaltriger Kollege Stevie (Mark Webber) die Waffe und ist Feuer und Flamme. Die rein pazifistische Beschäftigung mit Waffen ist dem Technikfreak vertraut, schießen will er trotzdem – um den Kult um die Waffe zu vervollständigen.
Es dauert nicht lange, und die beiden haben noch drei weitere Mitstreiter, die mittels der Waffe über ihren Status als Loser hinauswachsen. In einer stillgelegten Werkshalle richten sie sich gemeinsam ein wie eine große Familie, die keiner von ihnen im realen Leben hat. Der beinamputierte Huey (Chris Owen), sein Bruder Freddie (Michael Angarano) und das Mauerblümchen Susan (Alison Pill) werden gemeinsam mit Dick und Stevie die „Dandies“ und eifern diesen Lebensstil mit Leib und Seele nach. Jeder spiegelt seinen Charakter in der von ihm gewählten Waffe, die allesamt Namen tragen. Schießtechniken werden verfeinert, Zeremonien abgehalten und ernsthafte Diskussionen um Waffen und Kriegstaktiken geführt. Begleitet von der fast als Kommentar wirkenden energetischen Musik der „Zombies“ gewinnen sie an Selbstbewusstsein, entwickeln über die gewaltfreie Beschäftigung mit der Waffe eine Stärke, die sie niemanden beweisen müssen.
In diesen illustren Kreis platzt nun der respektlose Sebastian, nachdem Dick beschlossen hat, das beste Resozialisierungsprogramm für einen Mörder müsste die Teilnahme an einem Lehrgang bei den „Dandies“ sein. Nach anfänglichem Ulk über die Stilisierung der Gruppe begreift der Schwarze schnell den Ernst, den das Unterfangen für die Underdogs hat. Und schon entbrennt ein Machtkampf, denn mit seiner Treffsicherheit an der Waffe droht Sebastian, den Mythos von Dick und Wendy zu zerstören. Lange bleibt für solche Spielereien jedoch keine Zeit, denn draußen wartet das reale Leben: Sebastians Großmutter, einst die Amme von Dick, traut sich nicht mehr über die Straße aus Angst vor einem Überfall. Die Dandies beschließen, die alte Dame zu eskortieren und damit den Beweis anzutreten, dass Waffen ihren Zweck des Schutzes erfüllen, auch wenn sie nicht eingesetzt werden. Was aber, wenn andere die Bereitschaft zeigen, ihre Waffen zu benutzen? Die Dandies müssen eine Entscheidung treffen um Spiel oder Ernst.
„Dear Wendy“ entwirft das Szenario einer Jugend, die nach Grenzen und Werten sucht. Selbstbewusstsein entsteht aus der Auseinandersetzung und der Erprobung dieser abstrakten Begriffe in der Realität. Die „Dandies“ müssen sich dazu eine eigene Welt schaffen, die sie extrem stilisieren und mit altmodisch anmutenden Regelwerken versehen. Eine Orientierung und ihrer alltäglichen Lebensumgebung scheint angesichts der dort herrschenden Lethargie und Gleichgültigkeit nicht möglich. Die Innenperspektive auf die Gefühlslage der jungen Außenseitergruppe offenbart sich in den Tagebucheinträgen des Anführers der Truppe, Dick. Anhand dieser zentralen Figur versuchen Autor Lars von Trier und Regisseur Thomas Vinterberg, die Ambivalenz menschlichen Denkens und Handelns nachvollziehbar zu machen. Er, der Pazifist, baut eine intime Beziehung zu einer Waffe auf, die mystische Züge annimmt. Es ist eine Liebesbeziehung, die Dick zu Menschen nicht eingehen kann. Vielleicht, weil sie unberechenbar sind, Wendy jedoch mechanisch funktioniert und bei Belieben auch manipuliert werden kann.
Das typische Verlangen Pubertierender, sich in streng definierten Gruppen mit Initiationsriten und klaren Hierarchien von der Außenwelt abzugrenzen, wird hier in ein Extrem gezogen. Früh deutet sich an, dass hinter diesem kindlichen Spiel mit regelrechter Verkleidung, Verstecken und Verbünden bitterer Ernst steht. Jamie Bell, der schon als tanzender Knirps bei aller körperlichen Schmächtigkeit dem Billy Elliot überzeugende Kompromisslosigkeit verlieh, balanciert auch hier die Schwebe zwischen abhandenem Selbstwertgefühl und unbedingtem Eintreten für ein Ideal perfekt aus. In den zarten Zügen zeugen die entschlossenen Augen von einer gewissen Unnachgiebigkeit.
Die Story funktioniert als Teenager-Drama, bis die Figur des Sebastian auftaucht. In dem stimmigen Set-Design entsteht eine Atmosphäre, in der die recht konventionelle Figurenzeichnung schnell in den Hintergrund gerät. Dass der einzige zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Straffällige ein Schwarzer ist, bleibt ohne zwingende Bedeutung und dient lediglich der Ingangsetzung des tragischen Geschehens durch die Großmutter. Wenig überzeugend auch, dass diese Großmutter ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet ist. Mit Sebastian bricht die reale Welt in das geheime Verlies der „Dandies“ ein. Immerhin wird ihm die Ehre zuteil, die Widersprüchlichkeit von Waffenbesitz und Pazifismus aufzuzeigen. Schonungslos hält er seinen „Bewährungshelfern“ den Spiegel vor, in dem sie ehrlicher Weise erkennen müssen, dass sie ohne Waffe weiterhin Schwächlinge sind. Damit legt Vinterberg den Finger in eine gesellschaftliche Wunde, die wieder und wieder aufzuklaffen droht: Wer sich ohne Hilfsmittel, sei dies nun eine Machtposition, Geld, Statussymbole oder eben Waffen, nicht von sich aus stark fühlt, der wird immer in Versuchung sein, diese Hilfsmittel einzusetzen. Spätestens dann, wenn seine Stärke herausgefordert wird. Die Grundidee für dieses Statement ist durchaus gelungen. An vielen Stellen stolpert die Handlung jedoch über hölzerne Dialoge oder über platte Konstruierungen in den Figuren und ihren Beziehungen untereinander. Beide, von Trier und Vinterberg, haben schon ergreifendere Werke vorgelegt.