Die Filmwelt ist mitunter alles andere als gerecht. 1998 tauchte der bis dato vollkommen unbekannte Gary Ross mit seinem Regie- und Drehbucherstling „Pleasantville“ beinahe aus dem Nichts auf, erschuf einen Film, der einen mit seiner visuellen Brillanz die Sprache raubte, obendrein noch über den nötigen Tiefgang verfügte und mit starken darstellerischen Leistungen bestach, doch der finanzielle Erfolg blieb aus. „Pleasantville“ war aus kommerzieller Sicht kein Box-Office-Hit. Zum Leben zuwenig, zum Sterben zu viel. Dennoch erschlossen sich für Ross – nicht zuletzt dank dreier Oscar-Nominierungen – völlig neue Möglichkeiten. Von heute auf morgen war er ein gefragter Mann. Daher ist es verwunderlich, dass sich Ross fünf Jahre Zeit lies, um mit „Seabiscuit“ sein nächstes, sein zweites Projekt, zu vollenden. Dabei etabliert er sich, obwohl es dem Drehbuch unterm Strich an wirklichen Überraschungsmomenten mangelt, als exzellenter Geschichtenerzähler.
Amerika befand sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Zeit des Wandels. Verantwortlich hierfür war vor allem ein Mann: Henry Ford. Die Erfindung des Automobils und die Massenanfertigung des legendären „Model T“ am Fließband läuteten eine neue Epoche ein. Charles Howard (Jeff Bridges) profitierte wie kaum ein anderer von dieser Entwicklung. Er erkannte die Zeichen der Zeit und wandelte seine kleine Fahrradwerkstatt in eine Automobilwerkstatt um. Bald war eine Werkstatt nicht mehr ausreichend und er gründete eine ständig expandierende Kette. Howard hatte es geschafft. Er konnte sich zurücklehnen und die Früchte seiner Arbeit genießen. Ein ständig wachsendes Vermögen, seine Frau Annie (Valerie Mahaffey) liebte ihn über alles, einen Sohn – er hatte alles, was sich ein Mann nur wünschen kann. Doch im schicksalhaften Jahr 1929 sollte sich für ihn alles ins Schlechte kehren. Zunächst verlor er beim großen Börsencrash – dem sagenumwobenen „Schwarzen Donnerstag" – ein Großteils seine Vermögens und kurz darauf seinen Sohn bei einem tragischen Unfall. In der darauf folgenden Zeit entfremdeten sich Charles und seine Frau immer mehr, bis die Ehe vollkommen zerbrach und sie ihn schließlich verlies. In jener Zeit entdeckte Charles seine Liebe zum Pferdesport. An der Rennbahn fühlte er sich wohl. Dort lernte er auch seine zweite Frau Marcela (Elizabeth Banks) kennen, mit der er diese Leidenschaft teilen konnte.
Schnell fassen die beiden den Entschluss, einen eigenen Rennstall zu gründen. Hilfe finden sie dabei beim introvertierten Tom Smith (Chris Cooper). Er war einer der letzten echten Cowboys, der in der Prärie noch eigenhändig Wildpferde einfing und zähmte, bis Eisenbahn und Stacheldraht ihm Stück für Stück zur Aufgabe zwangen. Er war dazu verdammt, sich als Tagelöhner durchs Leben zu schlagen. Das Angebot, bei Charles' neuem Rennstall als Betreuer und Trainer anzuheuern, kommt ihm daher wie gelegen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem erschwinglichen, aber trotzdem siegfähigen Rennpferd. Tom meint jenes Pferd in Seabiscuit gefunden zu haben. Da Biscuit, wie das Pferd auch liebevoll genannt wird, von den bisherigen Besitzer als zu klein befunden wurde, ist es nur dazu benutzt worden, um gegen stärkere, durchtrainierte Pferde anzutreten und zu verlieren, damit die anderen Pferde sich Selbstvertrauen zu holen. In Folge dessen wurde Biscuit aggressiv und akzeptierte seine Jockeys nicht mehr. Doch Tom hat Vertrauen in Biscuit. Er sieht in ihm den geballten Siegeswillen.
Aber Biscuit weigert sich nach wie vor irgendeinen Jockey zu akzeptieren, bis Tom eines Tages auf Johnny Pollard (Tobey Maguire) stößt. Johnny ist in einem wohlhabenden Elternhaus aufgewachsen und hat von klein auf viel Zeit mit den hauseigenen Pferden verbracht. Reiten war und ist seine einzige Leidenschaft. Doch als seine Eltern im Zuge der Industrialisierung alles verloren, war es mit seiner Idylle vorbei. Johnny versucht sein Glück im Pferdesport, doch wie Biscuit ist er ebenfalls ein krasser Außenseiter und vom Leben frustriert. Für einen Jockey ist er trotz aller Diäten zu groß, zu schwer und – wie der Zuschauer im Verlauf der Geschichte erfährt – obendrein noch auf einem Auge blind. Daher findet auch er nur gelegentlich eine Anstellung als Jockey und ist gezwungen, sich als Preisboxer sein Geld zu verdienen. Charles und Tom geben, wider aller Umstände, Biscuit und Johnny eine Chance und werden für ihren Mut letztendlich auch belohnt.
So konstruiert die Geschichte um das Schicksal dreier Männer und einem Pferd auch wirken mag, so beruht sie doch auf einer wahren Begebenheit und orientiert sich dabei weitestgehend am gleichnamigen Tatsachenroman von Linda Hillenbrand. Das Pferd Seabiscuit ist im amerikanischen Pferdesport noch heute ein Begriff, um nicht zu sagen eine Legende. Die Geschichte stammt aus einer Zeit, in der der „American Dream“ noch real war und nicht nur müde belächelt wurde. Doch „Seabiscuit“ einzig und allein auf ein Sportler-Drama zu reduzieren, wird ihm nicht gerecht. Ross streut immer wieder kurze Schwarzweiß-Sequenzen im Stile einer Dokumentation ein, in der ein Erzähler aus dem Off dem Zuschauer die damaligen Rahmenbedingungen verdeutlicht und auf das Folgende einstimmt, was dem Film einen besonderen Charme verleiht. Ross gelingt das Kunststück, dem Zuschauer glaubhaft zu vermitteln, warum die Menschen der damals äußerst schwierigen Zeit durch die Siege Seabiscuits Hoffnung schöpften.
Ross schreitet in gemächlichem Tempo voran, lässt sich für alles viel Zeit, geht auf Details ein und trotzdem gelingt es ihm, die Zuschauer zu fesseln. Dies ist vor allem den großartigen Darsteller zu verdanken. Jeff Bridges („Arlington Road", „K-Pax") ist die Seele des Films, der in der Rolle des milden, großzügigen aber dennoch ehrgeizigen Patriarchen eine der besten Leistungen seiner Karriere abliefert. Tobey Maguire beweist einmal mehr seine enorme Wandlungsfähigkeit. Eben noch sorgte er in „Spider-Man“ für bestes Popcorn-Kino, nun überzeugt er wieder als einer der besten Charaktermimen seiner Altersklasse. Die Konsequenz, mit der er an seine Rollen heran geht, ist beachtlich. Zwischen den beiden „Spider-Man"-Teilen nahm er kurzerhand eigens für „Seabiscuit“ etliche Pfunde ab, nur um anschließend wieder ins Training einzusteigen und sich die für den Wandkrabbler benötigten Muskelpakete erneut anzutrainieren. Etwas blass bleibt hingegen Chris Cooper, was jedoch weniger mit seiner Leistung, welche durchweg grundsolide ist, zu tun hat, sondern damit, dass er mit seinen überragenden Darbietungen in Filmen wie>„American Beauty" und zuletzt „Adaption" die Messlatte äußerst hoch legte. Von ihm erwartet man schlicht und einfach Grandioses, was der relativ einfach gestrickte Charakter des Tom Smith jedoch nicht zulässt. Was ihm hier abgefordert wird, leistet er selbst im Tiefschlaf. Aus dem übrigen Besetzung sticht vor allem William H. Macy („Pleasantville“, „Magnolia", „Jurassic Park 3" als hyperaktiver, überdrehter Radiokommentator Tick Tock McGlaughlin hervor.
In Sachen Ausstattung und Technik lässt sich an „Seabiscuit“, selbst wenn man mit der Lupe sucht, nicht das Geringste bemängeln. Ross erschuf die perfekte Illusion einer längst vergangenen Zeit. Selbst innerhalb des Films lässt sich bei den eingesetzten Kostümen und Oldtimern eine Wandlung feststellen. Die technischen und modischen Forschritte zwischen den Jahren 1910 und 1930 sind deutlich auf der Leinwand nochvollziehbar. Ebenfalls zu gefallen wissen die zahlreichen Pferderennen. Sie vermitteln eine atemberaubende Intensität und Rasanz fernab hochgezüchteter High-Tech-Boliden und schnödem Kinoeinheitsbrei.
Über eines kann Ross trotz der wunderbaren Erzählweise und handwerklichen Klasse jedoch nicht hinwegtäuschen: Dem Film fehlt es einfach an Überraschungsmomenten, was allerdings durch den realen Bezug zu erklären ist. "Seabiscuit" wurde bereits im Vorfeld als „Verfilmung einer Legende“ angekündigt, dass sich daher letztendlich alles zum Guten wenden muss, ist dem aufmerksamen Publikum von Beginn an klar. Trotzdem sollten sich Freunde des anspruchsvollen Films „Seabiscuit“ unbedingt vormerken. Wem der momentane Fortsetzungs- und Hochglanzwahn zuwider ist, findet hier eine mehr als willkommene Abwechlung. Bleibt zu hoffen, dass sich Gary Ross für seinen nächsten Film nicht wieder fünf Jahre Zeit lässt. Bei seinem Talent käme diese spärliche Ausbeute einem Verbrechen gleich.