„Eine Seefahrt, die ist lustig!“, sagt der Volksmund. Nicht so aber in Steve Becks Hochsee-Horror „Ghost Ship“ aus dem Jahr 2002. Da wird die routinemäßige Bergung eines verschollen geglaubten Schiffskolosses inmitten der Beringstraße für eine Schleppercrew nämlich urplötzlich zum blanken Alptraum. Trotz atmosphärischer Settings und ansprechender Szenenkompositionen schippert der Film jedoch leider in den seichten Gewässern des grauen Mittelmaßes dahin.
Dabei beginnt „Ghost Ship“ durchaus vielversprechend: 1962 feiert die italienische High Society in edler Abendrobe auf dem großflächigen, mit Lichterketten geschmückten Luxusliner „Antonia Graza“ eine feucht-fröhliche Party. Es wird Sekt getrunken, getanzt, eine Sängerin sorgt für gediegene Unterhaltung unter dem amüsierten Völkchen. Langsam, fast schon stoisch, schwenkt die Kamera über die entspannt lächelnden Gesichter der Passagiere. Die Welt scheint in Ordnung. Doch dann spannt sich wie aus dem Nichts ein glitzerndes Metallkabel – und wenige Sekundenbruchteile später fällt die gesamte Schiffsbesatzung in Scheiben in sich zusammen. Wo eben noch ein rauschendes Fest stieg, ist das ganze Deck nun mit Blut und zuckenden Leichenteilen übersät. Ein kleines Mädchen, dem groteskerweise seine geringe Körpergröße das Leben gerettet hat, stößt einen gellenden, entsetzten Schrei in die gespenstische Stille der Nacht aus. Abblende.
Nach diesem furios-drastischen Kickstart – eine Art makabre Steigerungsform der sensorischen Gitterfalle aus „Cube“ – schaltet Regisseur Steve Beck erst einmal einen Gang zurück und gönnt dem überrumpelten Zuschauer eine kleine Atempause. Der Film macht einen zeitlichen Sprung in die Gegenwart und stellt das Bergungsteam des Kapitäns Murphy (Gabriel Byrne) vor, der von einem fremden Marinepiloten namens Ferriman (Desmond Harrington) einen lukrativen Deal angeboten bekommt: Murphy und seine Kollegen (u.a. Isaiah Washington, Karl Urban) sollen ihm dabei helfen, den herrenlos im Pazifik umhertreibenden Luxusdampfer „Antonia Graza“ zu bergen, der vor vierzig Jahren verschwunden war und nun mysteriöserweise wieder aufgetaucht ist. Als Gegenleistung verspricht er dem Captain einen großzügigen Anteil eines Goldschatzes, der möglicherweise auf dem Schiffswrack versteckt sein soll. An Bord der „Antonia Graza“ häufen sich dann schnell die seltsamen Vorkommnisse, denen Murphy & Co. zunächst (wie könnte es auch anders sein?) keine Beachtung schenken. Doch auf der abenteuerlichen Schiffstour scheinen sich tatsächlich einige blinde Passagiere in Form der getöteten Festgäste von einst verirrt zu haben – und so beginnt es in den finsteren Gängen und Kajüten des Geisterschiffes schon bald standesgemäß gewaltig zu spuken…
Belangloses Seemannsgarn? Im Grunde ja. Denn selbst wenn die praktische Umsetzung dieser klassischen Gespenstergeschichte noch einmal ein bisschen anders ausschaut, dürfte der bloße Inhalt von „Ghost Ship“ keinen (erfahrenen) Hund mehr hinter`m Ofen hervorlocken. Regisseur Beck und Drehbuchautor Mark Hanlon haben neben den obligatorischen Buh!- Schockeffekten, die nicht selten als Lückenbüßer für die Löcher in der großenteils nach Schema F ablaufenden Story herhalten müssen, auch ein paar Klischeekanister zu viel mit an Bord geholt. Beispiele: Das bedrückt dreinschauende Mädchen im weißen Ballkleid (Emily Browning), dessen verlorene Seele noch immer rastlos am Ort des Grauens umherwandert und auf Erlösung hofft, hat sich als wichtiges Glied in der Kette jedes zweiten „Haunted House“-Streifens bewährt. Die resolute Powerfrau (Julianna Margulies), die als Medium mit der „anderen Seite“ zu kommunizieren vermag und bei Recherchen über die Vergangenheit des Schiffs auf ein mörderisches Geheimnis stößt, kennen wir so oder ähnlich auch zu genüge. Dramaturgisch läuft nach toller erster Hälfte ebenfalls alles in bekannten Bahnen: Innerhalb der Bergungscrew kommt es wenig überraschend irgendwann zu Spannungen und Zankereien – und die gefundenen Goldbarren haben plötzlich höhere Priorität für die Teilnehmer der Expedition als das möglichst schnelle Verschwinden vom sinkenden Kahn, von dem es im Übrigen längst kein Entrinnen mehr gibt, weil das anliegende Bergungsboot bereits in die Luft geflogen ist. Als besonders ärgerlich erweist sich die Auflösung, in der Beck das Rätsel um den Fluch der Antonia Graza auf fast schon peinlich platte Weise lüftet, gefolgt von einer wenigstens optisch bestechenden, wenn auch etwas rührseligen Finalszene, die wohl eher unbeabsichtigt Assoziationen mit James Camerons „Titanic“ weckt.
Derlei Kramen in der Mottenkiste der Genre-Versatzstücke schlägt sich zwar negativ auf die Entwicklung des Hauptplots nieder, ließe sich aber im Notfall noch damit entschuldigen, dass statt der üblichen pittoresken Herrenhäuser oder verfallenen Hotels und Villen diesmal ein mächtiger Ozeanriese als Schauplatz für den übernatürlichen Spuk dient. Und tatsächlich birgt das vorwiegend in bläulichem Ton gehaltene Gewölbe der mutterseelenallein im Meer treibenden Antonia Graza, die offensichtlich dem italienischen Luxusliner SS Andrea Doria ziemlich genau nachempfunden ist, ein angenehm unangenehmes, knisterndes Gruselflair, das von dem hochklassig kompilierten Score von John Frizzell noch begünstigt wird. Doch nicht nur bei der Gestaltung des aus der „Schmiede“ von Produzent Joel Silver und Robert Zemeckis stammenden Geisterkahns blitzt immer mal wieder das durchaus vorhandene Potenzial auf, das in „Ghost Ship“ zweifelsohne steckt. Auch die diskreten mythologischen Anklänge und der hübsch altmodische Touch der Inszenierung wissen zu gefallen. Dem diametral entgegengesetzt sind dabei die aufwändigen CGI-Effekte, die beispielsweise die toten Gäste des leerstehenden Ballsalls in einer Vision wieder auferstehen oder das riesige Schiffsungetüm gen Ende im tosenden Meer versinken lassen. Und dann wäre da noch die visuell berauschende Flashback-Sequenz, die die eröffnende Stahlseil-Massenhinrichtung und deren Hintergründe noch einmal in einer Art Zeitraffer beleuchtet, der man sicher „style over substance“ vorwerfen kann, aber nicht unbedingt sollte.
Insgesamt ist es schade, dass Steve Beck aus den durchaus starken Ansätzen nicht das Optimum herausholen kann und sich bei dem Vorhaben, für die erbeuteten Versatzstücke gebührend Verwendung zu finden, verhaspelt. „Ghost Ship“ ist somit nicht die Luxuskreuzfahrt, die der Film gerne wäre, sondern lediglich ein ganz gefälliger Segeltörn - Konfektionsware mit zu wenig eigenen Ideen und zu vielen Schnitzern.