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    Y Tu Mamá También – Lust For Life
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Y Tu Mamá También – Lust For Life
    Von Ulrich Behrens

    Der bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnete Film von Alfonso Cuarón erhielt von der Filmkritik teilweise merkwürdige Auszeichnungen. In der NZZ war von einem Film über Teenager zu lesen, anderswo, es ginge um das Erwachsenenalter, das die Scherben einer verkorksten Jugend aufsammeln müsse. Andere sehen in dem Streifen einen Film, der wie das Leben sei, mal so, mal so (sehr vielsagend), mit sozialkritischen Untertönen (Cinema), bei dem aber nicht mehr als effektheischendes Geknister herausgekommen sei; andere bewundern ihn als Road Movie mit politischen Anklängen (Blickpunkt: Film), als Streifen über die Pubertät (Schnitt). Die Zeit sieht in „Y Tu Mamá También“ gar eine Auseinandersetzung mit dem Machismo. Und in der Frankfurter Rundschau wird der Streifen zum Hochschul-Abschlussfilm degradiert.

    Was zeigt er denn nun wirklich?

    Die beiden 16-jährigen jungen Männer sind offenkundig die besten Freunde: Tenoch (Diego Luna), Spross eines angesehenen und reichen Politikers, der mit dem Staatspräsidenten von Mexiko verkehrt, und Julio (Gael García Bernal), Sohn einer allein erziehenden Mutter, die als Sekretärin arbeitet. Die beiden interessieren sich fast ausschließlich für Sex und Drogen. Ihre beiden Freundinnen sind gerade auf dem Weg zu einem Urlaubsaufenthalt in Italien. Die Paare versprechen sich ewige Treue, die beiden jungen Frauen reisen ab und Tenoch und Julio gewöhnen sich an eine kurze Zeit der Langeweile. Auf einer Hochzeit, bei der auch Tenochs Vater, der Staatspräsident und allerlei gut betuchte Damen und Herren anwesend sind, die von noch mehr Sicherheitsbeamten geschützt werden, treffen Tenoch und Julio die elf Jahre ältere und mit einem Schriftsteller verheiratete Luisa Cortés (Maribel Verdú), die aus Spanien kommt und jetzt in Mexiko mit ihrem Mann leben will, der einen Lehrauftrag an der Universität hat. Die beiden 16-Jährigen fahren sofort auf Luisa ab. Mehr im Spaß und ohne wirkliche Hoffnung, dass sie ihr Angebot annehmen wird, schlagen sie Luisa vor, mit ihnen ans Meer zu fahren, zur Himmelsbucht, die angeblich von Touristen frei und einsam ist.

    Doch Luisa lehnt ab; sie will ihre neue Wohnung einrichten. Als ihr Mann sie kurze Zeit später anruft, heult und ihr in alkoholisiertem Zustand beichtet, mit einer anderen geschlafen zu haben, ist Luisa verzweifelt, ruft die beiden Jungen an und will ihr Angebot jetzt doch annehmen.

    Regisseur Cuarón (Harry Potter und der Gefangene von Askaban, Children Of Men, „Große Erwartungen“) zeigt die Normalität von Jugendlichen in Mexiko, die der Ober- bzw. Mittelschicht angehören und die sich kaum von der von Jugendlichen in vielen anderen Ländern zu unterscheiden scheint. Das Leben ihrer Eltern ist Julio und Tenoch völlig egal; damit können sie nichts anfangen, auch wenn sie immer genug Geld haben, um ihre eigenen Wege zu gehen, um Drogen zu kaufen oder was sie sonst noch brauchen. Vielleicht ist es diese angepasste Normalität, die bei vielen Beurteilungen des Films Kritiker dazu verleitet hat, darin eine ganz banale Geschichte über Pubertätsentwicklung, wie sie weltweit millionenfach vorkommt – zumindest in den Ländern der nördlichen Hemisphäre –, zu sehen, als einen Weg zum Erwachsenwerden.

    Doch dieser Eindruck täuscht. Die Geschichte wird immer wieder unterbrochen, zum Teil mitten in die noch laufenden Dialoge hinein, von einer Stimme aus dem Off, einem Erzähler, der über andere banale Ereignisse berichtet: über den tödlichen Unfall eines Arbeiters, die Belästigung von armen Bauern durch die Polizei, Demonstrationen, das weitere Schicksal des Fischers, den die drei am Strand treffen, der nämlich sein Haus verliert, weil dort ein Hotel gebaut werden soll, und sich viel später als Putzmann in Mexiko-City verdingen muss, aber auch über die scheinbar völlig normale Geschichte der Eltern der beiden Jungen, die Herkunft von Luisa, die die Jahre vor ihrer Heirat eine Verwandte in Madrid – eine Franco-Anhängerin – bis zu deren Tod pflegen musste usw.

    Sowohl die Geschichte von Julio, Tenoch und Luisa wie diese eingestreuten, im Stile von Fernsehnachrichten gehaltenen Berichte werden derart trocken-sachlich wiedergegeben, dass einem manchmal schaurig zumute wird. Letztlich leben alle Figuren des Films nebeneinander her. Die Freundschaft zwischen Julio und Tenoch erweist sich als ebenso beliebiges Zwischenspiel in einer schier endlosen Reihe von Episoden, die nichts bedeuten, nichts besagen, wie die eingestreuten Sprengsel über das Schicksal anonymer Personen. Die derbe Art, über Sex zu reden, die mehrfach in aller Offenheit dargebotenen Sex-Szenen können nicht nur nicht darüber hinwegtäuschen, sondern sie bestätigen die Beliebigkeit, die Anonymität, die Bedeutungslosigkeit und die Verlorenheit des Daseins der Handelnden, die letztlich gar nicht handeln oder leben, sondern bereits in der unhinterfragten Biografie ihrer Eltern, deren Leben sie doch angeblich nicht interessiert, aufgegangen sind, als geradlinige Erben einer Generation, die nicht mehr wirklich zu leben weiß, sondern sich in eingefahrenen Strukturen ihres Daseins verkrochen hat, ohne es zu merken.

    Gerade die Sex-Szenen wirken wie der verzweifelte Versuch von Julio und Tenoch, die Lust am Leben im Höhepunkt zu finden, immer wieder, egal mit wem. Die Zeiten dazwischen sind geprägt von der Langeweile, Drogen und dem Warten auf die nächste Gelegenheit.

    „Y Tu Mamá También“ ist trotzdem oder gerade deswegen ein Film über die Lust zu leben. Nur dass Julio und Tenoch diese Lust nicht in sich selbst suchen, sondern in Vorstellungen, die sie in dieser Hinsicht für genuin halten, aber tatsächlich aus einer Mentalität stammen, die ihnen durch die Umstände anerzogen wurde. In einer Szene liegen sie auf zwei Sprungbrettern über dem Swimmingpool, onanieren und erzählen sich dabei, an wen sie gerade denken, mit welcher Frau sie gern jetzt schlafen würden, am liebsten mit der, dann mit der, dann so und dann wieder so. Als sie zum Orgasmus kommen, sieht man vom Boden des Schwimmbeckens aus nach oben ihr Sperma im Wasser treiben. Es treibt dahin wie sie selber auch. Später zitiert die Stimme aus dem Off Luisa mit den Worten: Wie den Schaum auf den Wellen des Meeres sollte man das Leben genießen und sich ihm einfach hingeben. Doch zwischen beiden Szenen klafft ein entscheidender Unterschied.

    „Y Tu Mamá También“ – ein sozialkritischer Film? Ja, aber nicht in einem simplen Sinne von: Ihr kostet euer Leben mit Drugs & Sex aus, während die armen Bauern... Das Schicksal ist Thema des Films und zugleich auch nicht. Es trifft einerseits alle drei hart. Andererseits ist ihr Schicksal völlig bedeutungslos, denn auf was können sie zurückblicken? Luisa fragt sich, ob und wie lange sich irgend jemand an sie erinnern wird, wenn sie einmal tot ist. Doch auch diese Frage verklingt im Strom der Beliebigkeit wie ein unmerklicher Windhauch, der schon am nächsten Tag vergessen ist.

    Maribel Verdú, Gael García Bernal (der in Amores Perros zu sehen war) und Diego Luna machen im übrigen ihre Sache wirklich einmalig gut.

    „Y Tu Mamá También“ ist ein Film über eine Welt, die sich selbst genügsam, selbstgerecht geworden ist, in der die Frage nach irgendeinem Sinn, dem man seinem Leben gibt, oder nach dem Schicksal anderer verloren gegangen zu sein scheint wie ein Unwetter im heißen Sommer, das nächste Woche nicht mehr erinnert werden wird. „Y Tu Mamá También“ heißt „Mit deiner Mutter auch“, mit deiner Mutter habe ich auch geschlafen, und es kommt noch nicht einmal darauf an, ob dies wahr ist oder eine prahlerische Lüge; es zählt nur die Bedeutung dieses Satzes, dass es nämlich bedeutungslos geworden ist, ob es stimmt oder nicht.

    Cuarón drehte einen ernsten, drastischen und zugleich humorvollen Film über eine langweilige Lebenswelt, der jeglicher Sinn abhanden gekommen ist – ohne Vorwürfe oder pädagogische Zeigefinger, aber mit viel sarkastischem Unterton und kritischer Würze. Niemand weiß mehr, worauf es im Leben ankommt. Niemand stellt sich überhaupt die Frage, worauf es ankommen könnte. Selbst der Tod wird angesichts dieser Situation bedeutungslos.

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