„Der lustigste Film, den ich je gesehen habe. So lustig, dass ich in die Hand meiner Freundin gepinkelt habe,“ 1 hat ein Zuschauer nach einer der ersten Testvorführungen von „Ninotschka“ auf seinen Bewertungszettel geschrieben. Ganz ohne Zweifel: Bis heute hat Lubitschs Parabel über Kapitalismus, Kommunismus und Liebe nur wenig von ihrer Komik eingebüßt und auch sonst noch die eine oder andere ehrliche Feststellung über den Willen des Geistes und die Schwäche des Fleiches zu bieten.
1939, Hunger herrscht in Russland. Um Brot für das Volk zu beschaffen, werden die drei Genossen Iranoff (Sig Ruman), Buljanoff (Felix Bressart) und Kopalski (Alexander Granach) nach Frankreich geschickt, um dort den Verkauf der Kronjuwelen der Zaren durch die Gesandte Ninotchka Yakushova (Greta Garbo; „Die freudlose Gasse“, „Der Kuss“, „Mata Hari“) vorzubereiten. Diese tritt als emotionslose, analytische, aber kluge Vertreterin der kommunistischen Ideale auf, die für das dekadente Leben im aristokratischen Paris nicht mehr als kalte Verachtung und sarkastische Kommentare übrig hat. Inmitten des Gewusels des Pariser Straßenverkehrs lernt die desorientiere Neuangekommene dann den französischen Charmeur mit Lebensart par excellence kennen – Melvyn Douglas („Theodora wird wild“, „Manuel“, „Die Verdammten der Meere“) in der Rolle des Count Leon (der, wäre es nach Lubitsch gegangen, übrigens von Cary Grant hätte gespielt werden sollen).
Auf seine klassische Masche springt die linientreue und sachliche Ninotchka jedoch nicht an, und so dauert es seine Zeit, bis Leon sie von den Vorzügen der guten Lebensart überzeugt hat und davon, dass es zwischen Männern und Frauen dann und wann doch etwas mehr geben kann als den zum Arterhalt notwendigen Austausch von Körperflüssigkeiten.
Auch den materiellen Annehmlichkeiten des kapitalistischen Systems – wir haben es geahnt – vermag die stolze Bolschewikin nicht auf Dauer zu widerstehen. Ihr ideelles Nachgeben hat Lubitsch äußerst geschickt und ökonomisch inszeniert, ohne dabei eine einzige Szene in Paris drehen zu müssen. Bei ihrer Ankunft in der Stadt der Liebe führt der Weg zum Hotel sie an einem extravaganten Hut vorbei, ausgestellt in einem Schaufenster. Hat Ninotchka zunächst noch nichts als zynische Verachtung übrig für dieses Symbol des Überflusses („How can such a civilization survive which permits their women to put things like that on their heads? It won't be long now comrades.”), sehen wir schließlich einige Zeit später, wie sie den Hut heimlich aus einer Schublade zieht und sich damit wohlwollend im Spiegel betrachtet. (Witzig: Die Idee hierfür kam Lubitsch kurzerhand auf der Toilette, als die kreativen Köpfe feststeckten in dem Versuch, Ninotschkas Vereinnahmung durch den Kapitalismus einfach zu verdeutlichen. 2) Dennoch verkauft sie ihre Seele nicht in einem Anflug von Gewissenlosigkeit an die westliche Welt: Als es hart auf hart kommt, erinnert sie sich an ihren moralischen Auftrag und handelt selten selbstlos, zum Trotz des altbekannten Prinzips „Wer Blut geleckt hat, will noch mehr“.
Zwar erscheint die „Verwandlung“ der kalten Russin in eine humorvoll-romantische Liebhaberin etwas holprig-übereilt, aber „Ninotschka“ will auch keine psychoanalytische Charakterstudie sein, sondern eine unterhaltsame Komödie zwischen Kitsch und Stil. So oder so macht es Spaß, Greta Garbo beim Auftauen zuzuschauen und die beiden konträren Facetten ihrer Figur auf ihrem Gesicht und an ihrem Körper abzulesen.
„Ninotschka“ ist ein Film, der sich nicht in erster Linie durch technische Merkmale ins Gedächtnis brennt. Vielmehr sind es die beiden liebenswerten Figuren, in denen zwei Welten aufeinanderprallen und denen ihre Darsteller wunderbare Gestalt verleihen. Wenngleich (hollywood-erwartungsgemäß) der sowjetische Kommunismus mit zum Teil haarsträubenden Klischeebildern abgefrühstückt und die Berechtigung des kapitalistischen Status Quo gerechtfertigt wird, geht Lubitsch doch ironisch und humorvoll mit dem Konflikt um. So ist Leons Butler Gaston (Richard Carle) nur wenig begeistert von der Vorstellung der Gleichberechtigung, die ihm Leon nach der Lektüre von Marx unterbreitet und muss sich deshalb von seinem Arbeitgeber als reaktionär beschimpfen lassen. Und schon zu Beginn entgegnet der Hotelboy auf die russische Diagnose seiner Arbeit als sozial ungerecht ganz schlicht die Feststellung, dass das ganz vom Trinkgeld abhänge.
„Ninotschka“ nimmt seine Themen nicht bierernst und deswegen sollte man auch den Film nicht zu tief hinterfragen. Es gibt Situationen zum Lachen, Dialoge zum Lachen und einige zutreffende Beobachtungen über die menschliche Natur und die einhergehenden Schwierigkeiten mit der Realisierung von ideologischen Konzepten wie dem Kommunismus. Und zu guter Letzt bekommt auch der Kapitalismus noch seinen augenzwinkernden Seitenhieb...
1 Crowe, Cameron: Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder? München/Zürich 2000, S. 26f.
2 ebd., S. 33