Ich muss zugeben, dass mich die Ya-Ya-Schwestern an etlichen Stellen amüsiert haben. Das liegt nicht zuletzt sicher an der Besetzung der vier Bluts-Schwestern – Ellen Burstyn, Maggie Smith, Fionnula Flanagan und Shirley Knight. Ohne sie wäre der Film – und das ist die andere Seite der Medaille – ein totaler Flop geworden. Callie Khouri, die das Drehbuch zu „Thelma & Louise“ schrieb, legte ihrem Erstlingsfilm als Regisseurin gleich zwei Romane von Rebecca Wells zugrunde – und das war vielleicht dann doch etwas zu viel des Guten. Die nach klassischer Psychologie-Lehrbuch-Fall inszenierte Geschichte eines Mutter-Tochter-Konflikts ist von der psychologischen Seite her zwar simpel gestrickt. Die Handlung selbst wird allerdings völlig zerrissen durch ein Hin und Her zwischen Gegenwart und Rückblenden in verschiedene Abschnitte der Vergangenheit der beiden Frauen.
Die vier Mädchen Vivian, Teensy, Necie und Caro schwören als Ya-Ya-Schwestern 1937 ewige Freundschaft und dass sie sich von keinem Mann unterkriegen lassen werden. Der mit Blut besiegelte Schwur hält auch 60 Jahre später noch, wie sich erweisen soll. New York heute. Die erfolgreiche Theaterschriftstellerin Siddalee Walker (Sandra Bullock) – die seit Jahren im Clinch mit ihrer Mutter Vivian lebt – hat gerade ein Stück herausgebracht, in dem auch ihre Mutter vorkommt. In einem Bericht des Time Magazin, das auf einem Interview mit Siddalee fußt, hat sich die Journalistin sehr viel Freiheit gelassen. Vivi erscheint in dem Artikel als Mutter nicht gerade positiv. Vivi schickt Siddalee die verkohlten Reste von Fotos, auf denen Siddalee zu sehen war, Töchterchen antwortet mit einer Einladung zu ihrer Hochzeit mit Connor (Angus MacFadyen), aus der die genauen Daten herausgeschnitten sind.
Kurzum: Es kracht mal wieder ganz heftig zwischen den beiden. Die drei Freundinnen Vivis, Teensy (Fionnula Flanagan), Necie (Shirley Knight) und Caro (Maggie Smith) – lebenslustige alte Damen, die dem Alkohol nicht abgeneigt sind, allerdings nicht derart abhängig davon sind wie Vivi – fassen einen Beschluss: Sie fahren aus dem tiefen Louisiana nach New York, mischen Siddalee im Restaurant ein Betäubungsmittel in den Drink und entführen sie in die Heimat. Der Zweck der Angelegenheit: Siddalee muss endlich erfahren, warum ihre Mutter so geworden ist, wie sie ist, warum die Ehe zwischen Vivi und Shep (James Garner) so kompliziert ist und dass Vivi ihre Tochter trotzdem liebt, nur über ihre eigene Vergangenheit immer wieder stolpert. Anhand eines aufwendig geschmückten Buches der Ya-Ya-Schwestern, in dem die Vergangenheit in Bildern festgehalten ist, beginnt eine Reise in die Kindheit von Siddalee und die tragischen Verwicklungen ihrer Mutter in deren Kindheit. Im Zuge dieser Reise erinnert sich Siddalee an die andere Seite ihrer Mutter, die liebevolle, fürsorgliche Vivian. Mit Hilfe auch ihres Vaters Shep entschlüsselt sich nach und nach, was Ursache des Mutter-Tochter-Konflikts ist ...
Callie Khouri packte in die knapp zweistündige Handlung alles rein, was nur noch irgendwie hinein ging. Man muss sich das vorstellen. Da sollen die Kindheit Siddalees, die Kindheit ihrer Mutter, die Verwicklungen zwischen Vivian und Shep, der nicht ihr Traummann war (ihr Traummann war im Weltkrieg gefallen), die Geschichte der Ya-Ya-Schwestern, Südstaaten-Probleme, Rassismus, die sich anbahnende Ehe zwischen Siddalee und Connor, die unter dem Mutter-Tochter-Konflikt auch noch leidet, usw. in einer einheitlichen Handlung untergebracht werden. Schon die Tatsache, dass Khouri gleich zwei Romane ausschlachtete, deutet auf ein inszenatorisches Wirrwarr hin, unter dem Geschichte und Charaktere unausweichlich leiden müssen.
Andererseits ist es den vier Ya-Ya-Schwestern-Schauspielerinnen zu danken, dass der Film nicht völlig im Desaster endet. Sie holen heraus, was nur noch irgendwie geht, während Sandra Bullock, der ich einiges zutraue, von wenigen Szenen abgesehen eher wie eine trübe Tasse da steht: Sie lässt alles, was ihr die Ya-Yas zu erzählen haben, über sich ergehen, lässt es an sich herunterlaufen und blickt konsterniert in die Gegend. Das schauspielerische Talent und die Erfahrung einer Fionnula Flanagan oder Maggie Smith und vor allem einer Ellen Burstyn und auch eines James Garner überdecken die Schwächen, die den Film dramaturgisch wie inhaltlich auszeichnen. Der Alkohol tut ein übriges. Die gespielte und nicht sehr überzeugende Lebenslust der Ya-Yas plus Alkoholkonsum und einigen Mätzchen wie der Sauerstoffflasche, die Maggie Smith ständig hinter sich her zieht, reißen das Drama, ja die Tragödie, die uns Khouri vermitteln will, ins Komödiantische, um nicht zu sagen: manchmal schon ins Lächerliche – nach dem Motto: Du hast ein verdammt schweres Leben gehabt, trinken wir erst mal einen drauf. Die Charaktere der drei Figuren fallen dabei mehr oder weniger unter den Tisch.
Sicher, die Dialoge sind teilweise von Brillanz geprägt. Sicher, Ellen Burstyn schafft es an einigen Stellen, die Zerrissenheit dieser Frau Vivian glaubwürdig zu demonstrieren. Mehr noch gilt dies allerdings für Ashley Judd, die die junge Vivian spielt – hin- und hergerissen zwischen ihrem Schmerz und der Liebe zu ihren Kinder. Hier hat der Film seine Höhepunkte, etwa, wenn Ashley Judd mit Siddalee in einem einmotorigen Flugzeug über ihr Haus fliegt. Zunächst hatte Siddalee Angst, dann entschloss sie sich, doch noch zu fliegen. Ashley Judd kämpft darum, dass der Pilot nochmals startet, besorgt sich das Geld bei einem Tankwart usw. In solchen Szenen spürt man, was aus dem Film hätte werden können. Auch die Szenen mit James Garner vermitteln davon einen Eindruck. Als Siddalee ihren Vater fragt, ob er genug Liebe von Vivian bekommen habe, fragt er zurück: „Was heißt schon genug?“ In seinem Gesicht sind der ganze Schmerz, aber auch die ganze Freude abzulesen, die ihm in der Ehe mit Vivian zuteil wurden, eine Szene ohne Rührseligkeit, in der sich seine bedingungslose Liebe zu dieser komplizierten Frau in einem kurzen Augenblick ausdrückt.
Nicht zuletzt ist der dargestellte Konflikt unglaubwürdig. Die ganze Tragödie steht und fällt angeblich mit dem Nichtwissen Siddalees darüber, dass Vivian eine Zeitlang in der Psychiatrie untergebracht war, weil sie durch Alkohol und Tabletten völlig ausgerastet war, dass Shep nicht der Mann ihrer Träume war und dass Siddalee nicht weiß, dass Mama einen anderen Mann geliebt hat und dessen Tod nie verwunden hatte. Das soll der Grund für den späteren Konflikt gewesen sein. Man kann das glauben oder auch nicht. Jedenfalls wird es nicht sehr glaubwürdig erzählt, weil dieser Konflikt und seine Ursachen immer wieder in Alkohol und Komödiantischem an unpassenden Stellen ertränkt wird. Zudem werden bestimmte Probleme der Vergangenheit Vivians – ihr problematisches Verhältnis zu einer tief katholischen Mutter zum Beispiel – allzu klischeehaft in die Waage geworfen, die dann noch einer Seite abkippt: unglaubwürdig. Eine Nicht-Entscheidung ist auch eine Entscheidung. „Divine Secrets of the Ya-Ya Sisterhood“ ist weder eine Komödie, noch ein Drama, noch eine Tragikomödie, weil Callie Khouri sich nicht entscheiden konnte, den klassischen Regeln des Dramas zu folgen. Die Einheitlichkeit von Zeit, Ort und Handlung wird hier im Gegenteil in klassischer Weise gebrochen. Die Überfrachtung des Films deutet auf eine ebenso klassische Regel hin: Weniger ist meistens mehr. Dass man trotzdem manchmal herzhaft lachen und auch weinen kann, liegt daran, dass der Film an einigen Stellen eine Ahnung davon vermitteln kann, was insgesamt daraus hätte werden können. Aber mehr eben leider auch nicht.
(Zuerst erschienen bei CIAO)