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    Führer und Verführer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Führer und Verführer

    Gewagtes Experiment: Aufstieg und Fall des Nationalsozialismus aus Sicht der Täter

    Von Gaby Sikorski

    Als im September 2004 „Der Untergang“ ins Kino kam, war die internationale Resonanz überwiegend positiv. Laut der IMDb gilt er bis heute als einer der am besten bewerteten deutschsprachigen Filme überhaupt – nur „Metropolis“, „M“, „Das Boot“ und „Das Leben der Anderen“ werden noch höher eingestuft. Auch auf FILMSTARTS wurde der Film positiv angenommen – mit 4,5 Sternen von der Redaktion und 4,2 Sternen von den Usern. Trotzdem gab es auch mahnende bis ablehnende Stimmen: Dahinter stand vermutlich oft die Angst vor der Erstarkung der rechtsradikalen Szene, denn Oliver Hirschbiegel stellte Adolf Hitler als zentrale Figur ins Zentrum – ein Tabubruch, schon aufgrund der Gefahr, dass er durch den Film, der zu großen Teilen auf den Aufzeichnungen von Hitlers Sekretärin beruhte und mit einer fiktiven Rahmenhandlung versehen wurde, heroisiert oder gar mystifiziert werden könnte.

    In seinem Geschichtsdrama „Führer und Verführer“ geht Joachim Lang („Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm“) nun sogar noch einige Schritte weiter – und eröffnet dabei direkt mit einer Überraschung: Eine Männerstimme ist zu hören, mit leicht süddeutsch-bayrischem Akzent, ruhig und gar nicht unangenehm. Es ist Hitlers echte Stimme, die damals heimlich aufgenommen wurde – und sie klingt ganz anders als der eifernde, schnarrende Hitler, den man zu kennen glaubt. Das Hitler-Bild in der Öffentlichkeit war also Inszenierung, lautet die logische Folgerung – und Lang erklärt dies gleich zu Beginn mit Texttafeln: Er will ins Innere der Nazi-Machtstrukturen vordringen, die Mechanismen der Demagogie, der Propaganda und Manipulation durchschauen, um damit die Gefahren der Gegenwart zu verstehen.

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    Joseph Goebbels (Robert Stadlober) hält den Führer Adolf Hitler (Fritz Karl) für seine ganz persönliche Schöpfung.

    Langs Film ist spröde, mehr Dokudrama als Spielfilm, getragen von dem Wunsch nach Aufklärung und dem Appell, sich zwecks Gefahrenabwehr mit dem Thema zu beschäftigen. Das hat durchaus einen pädagogischen Charakter, obwohl „Führer und Verführer“ kein Lehrfilm ist. Lang verzichtet darauf, eine Geschichte zu erzählen, in der sich das Publikum in irgendeiner Form wiederfinden könnte: Keine der handelnden Personen ist sympathisch, weder im inneren Zirkel der Regierung um Hitler (Fritz Karl) noch im Kreis der Familie von Magda (Franziska Weisz) und Joseph Goebbels (Robert Stadlober). Die Intention ist es, die Protagonist*innen zwar als Täter*innen darzustellen, sie dabei aber zu entdämonisieren und als „normale“ Menschen zu zeigen.

    Dass sie verantwortlich waren für schlimmste Gräueltaten, die meisten von ihnen, ohne sich dabei selbst die Hände zu beschmutzen, wird bei Lang zur logischen Entwicklung, zum Ergebnis einer fanatischen, hassbesetzten Grundeinstellung, so furchtbar alltäglich, dass sie mit keinerlei Emotionen verbunden ist. So wird auch das Morden zum zwar lästigen, aber notwendigen Schritt bei der Verwirklichung der gemeinsamen Ziele. „Führer und Verführer“ zeigt das in kühlen Bildern. Dies in der Entwicklung zu sehen und zu hören – die Vorbereitungen der Pogromnacht, des Krieges und der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ – geht an die Substanz, schon allein durch die skrupellose Gelassenheit und Normalität, die dahintersteckt. Aber so könnte es gewesen sein.

    Hitler darf nicht frieren

    Für seinen Film nutzt Lang Originaldokumente wie Tagebücher, Briefe, Protokolle, auch als Basis für die Dialoge, die dadurch manchmal thesenhaft wirken. Gelegentlich vermischt er Spielszenen und Originalbilder, mit denen er das Geschehen zusätzlich mit Authentizität auflädt. Typisch dafür: Der sichtlich angeschlagene Hitler verteilt vor dem Bunker Orden an Kindersoldaten. Dabei sieht man, wie seine Hand hinter dem Rücken zittert. Goebbels sichtet diese Bilder im Vorführraum und rastet aus: „Der Führer zittert nicht!“ Die Veröffentlichung wird von ihm untersagt.

    Dazu baut Lang kleine Nebenhandlungen ein, etwa die Geschichte des Schauspielers Joachim Gottschalk (Michael Glantschnig), der mit seiner jüdischen Ehefrau Selbstmord begeht; oder einen Besuch von Heinz Rühmann (Raphael Nicholas) bei Familie Goebbels. Gelegentlich aber bricht Lang die Handlung abrupt ab und stoppt den Erzählfluss: Dann kommen Überlebende des Holocausts zu Wort. Dies sind die bewegendsten Momente des Films. Sie haben überlebt, und ihre Botschaft an die Welt lautet: Durchschaut die Mechanismen von Manipulation und Demagogie, damit solche Verbrechen in Zukunft nicht mehr möglich sind!

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    Laut „Führer und Verführer“ sind (fast) allein Goebbels und seine Propagandamaschine für den Aufstieg des Nationalsozialismus verantwortlich – eine provokante These, die aber zugleich auch als eindringlicher Appell für die Jetztzeit verstanden werden sollte.

    Dabei stellt sich prinzipiell die Frage, wie es möglich war, die deutsche Bevölkerung so zu manipulieren, dass so viele selbst zu Täter*innen wurden oder zumindest aktiv wegschauten. Laut Lang war allein Joseph Goebbels dafür zuständig, als „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“, so der offizielle Titel seines Amtes. Er hatte unumschränkte Macht über die Medien: Rundfunk, Zeitungen, Film … Nichts geschah hier ohne sein Wissen und ohne seine Zustimmung. Goebbels zog alle Fäden. Um die Person Goebbels herum, den Ingenieur einer perfekt durchdachten Manipulationsmaschinerie, hat Lang eine komplexe Spielfilmhandlung gebaut, die als „Making-of des Nationalsozialismus“ davon erzählt, wie dieses System aus Lügen und Fakes aufgebaut und perfektioniert wurde.

    Lang stellt folgerichtig Goebbels stärker in den Fokus. Hitler ist der Führer, Goebbels ist der Verführer – und zwar in jeder Beziehung: als Frauenheld und als Manipulator. Robert Stadlober spielt ihn zu Beginn als eitlen Strahlemann, ein stets verbindlich lächelnder, narzisstischer Machtmensch. Aber nach Stalingrad verschwindet das Lächeln. Dieser Goebbels ist kein Zyniker, er ist von seiner Ideologie genauso überzeugt wie von sich selbst. Seine Arbeit, die er als Kunst bezeichnet, erfüllt ihn mit Stolz: „Ich habe den Führermythos erschaffen“, sagt er und betrachtet Hitler als sein Produkt, auch wenn er sich dennoch dem Willen des Führers beugen muss. Fritz Karl wirkt als Hitler dagegen beinahe unauffällig. Er führt ohne großes Geschrei und setzt seinen Willen durch, auch bei Goebbels. Das wird deutlich, als Goebbels sich von seiner Frau wegen seiner Liebe zu der Schauspielerin Lida Baarova (Katia Fellin) scheiden lassen will, was ihm Hitler verbietet.

    Fazit: Joachim Lang legt sich in seinem spröden Geschichtsdrama auf die provokante These fest, dass Joseph Goebbels und seine gut geölte Propagandamaschinerie für den Erfolg des Dritten Reiches und seiner Ideologie bei der deutschen Bevölkerung hauptverantwortlich waren. Das kann man als treffende Analyse oder als möglichen Anknüpfungspunkt für voreilige Entschuldigungen sehen. So oder so wird aber der eindringliche Appellcharakter des Films immer wieder deutlich – als Warnung und als Aufforderung zum Handeln. Das macht den imposanten Film zu einem anspruchsvollen Stück Kino: Alles andere als leicht verdaulich ist dieses „Making-of des Nationalsozialismus“ auf jeden Fall eine Auseinandersetzung wert.

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