Eine etwas andere Liebeserklärung an Paris
Von Ulf LepelmeierDer Titel „Paris Paradies“ klingt im ersten Moment nach Tourismus-Kitsch, aber der immer wieder überraschende Wege einschlagende Episodenfilm ist keine durchschnittliche romantische Komödie mit Postkarten-Panoramen der titelgebenden französischen Metropole. Stattdessen erzählt „Persepolis“-Regisseurin Marjane Satrapi eine schwarzhumorige Geschichte über Tod, Depressionen und Trauer. Gerade weil die Kombination aus schwerwiegenden Themen und bissig-lustvoller Umsetzung auch mal irritiert, bietet dieser etwas schräge, tragikomische Ausflug in die Stadt der Liebe und Lebensfreude gelungene Kino-Unterhaltung.
Als die ehemalige Operndiva Giovanna (Monica Bellucci) fälschlicherweise für tot erklärt wird, freut sie sich schon auf die glorifizierenden Nachrufe in den Zeitungen. Als diese ausbleiben, stürzt sie jedoch in ein emotionales Loch des Selbstmitleides, aus dem ihr liebevoller Ehemann Rafael (Eduardo Noriega) sie herauszuholen versucht. Die niedergeschlagene Teenagerin Marie-Cerise (Charline Balu-Emane) wiederum sieht keinen Grund mehr zu leben, wird vor ihrem Sprung von einer Brücke allerdings entführt. Fred, der eigentlich Badou (Gwendal Marimoutou) heißt, verliert wegen der Verwendung von zu viel Make-up seinen Job bei einem Bestattungsunternehmen und wird stattdessen zum Visagisten des Stuntman Mike (Ben Aldridge), den er am Set für einen Actionfilm herrichtet soll und in den er sich Hals über Kopf verliebt…
Zu den genannten Geschichten reihen sich auch noch der True-Crime-TV-Moderator Edouard Emmard (André Dussollier), die kettenrauchende Spanierin Dolorès (Rossy de Palma) sowie der Café-Besitzer Xavier (Alex Lutz), die sich im „paradiesischen“ Paris ebenfalls mit der Endlichkeit des Lebens auseinandersetzen müssen. Los geht es aber mit einer singenden Operndiva auf der Bahre in einem Leichenschauhaus – und dieser Auftakt gibt auch gleich die Stoßrichtung für den provokant-absurden Humor vor, der den Film dominiert. So geht es in Satrapis Paris-Film um Sterblichkeit und Trauer, aber auch um neue Lebenschancen. Die von Monica Bellucci („Irréversible“) mit großer Selbstironie verkörperte Diva wird buchstäblich wieder ins Leben zurückgeholt, nur um sich dann schmerzlich bewusst zu werden, dass ihr Ruhm in der Opernwelt offenbar längst verblasst ist.
Statt ihre Rückkehr ins Leben zu genießen, versinkt sie in ein Tal der Tränen. So tiefschwarz-böse wie einst „The Voices“, in dem „Deadpool 3“-Star Ryan Reynolds als Serienmörder mit den abgehackten Köpfen seiner Opfer im Kühlschrank Zwiegespräche führte, ist Satrapis zweiter Ausflug ins Komödienfach zwar bei weitem nicht, und trotzdem überrascht sie immer wieder mit schwarzhumorigen Spitzen: Gerade die Episode um die depressive Marie-Cerise ist zu Beginn so düster und schwer, dass man sich schon fragt, ob sie wirklich mit den anderen Episoden zusammenpasst. Und wenn dann auch noch ein Skalpell mit ins Spiel kommt, glaubt man schon fast, sich doch wieder in den makabren Abgründen von „The Voices“ wiederzufinden. Umso mehr erstaunt, welche Richtung diese Story noch einschlägt.
Insbesondere die Pedro-Almodovar-Muse Rossy de Palma („Kika“) weiß in ihrer Rolle als kettenrauchende und scharfzüngige Großmutter zu begeistern und hat die Lacher zuverlässig auf ihrer Seite. Nicht ganz das Niveau der anderen Episoden erreicht hingegen die sympathische Geschichte um den britischen Stuntman Mike, der seinen Sohn mit nach Paris genommen hat und von seinem ihm zugeteilten Pariser Visagisten angehimmelt wird. Das Pariser Café von Xavier fungiert vor allem als Ort des Zusammentreffens für die verschiedenen Protagonist*innen, aber die Verarbeitung der Trauer nach dem Tod seiner verstorbenen Frau wird kaum tiefer betrachtet. Leinwand-Ikone André Dussollier („Liebesbriefe aus Nizza“) wird als Moderator mit sonorer Stimme und charismatischem Auftreten vor allem die Aufgabe zuteil, die einzelnen Elemente von Satrapis Kurzgeschichtenreigen mit kleinen Lebensweisheiten noch etwas enger miteinander zu verknüpfen.
Die französisch-iranische Regisseurin, die gleich mit ihrem Debütfilm „Persepolis“ für den Oscar nominiert wurde, erzählt in „Paris Paradies“, der zwischenzeitlich angenehm nonchalant vom Französischen ins Spanische und Englische wechselt, nicht alle begonnenen Storybögen aus. Auch liegt Satrapi, die selbst einen Cameo-Auftritt als mies gelaunte Action-Regisseurin absolviert, offenbar nicht allzu viel an einer durchgängig-einheitlichen Tonalität. Aber in gewisser Weise machen die überraschend düsteren Töne, die für eine Pariser Sommer-Komödie sicherlich aus dem Rahmen fallen und womöglich sogar für einiges Stirnrunzeln sorgen werden, ja gerade die individuelle Note dieser etwas anderen Ode an die französische Hauptstadt aus.
Fazit: Eine episodenhafte Tragikomödie mit schwarzhumorigen Spitzen, die tonal einige (zu) wilde Haken schlägt, mit ihrem internationalen Top-Cast aber als amüsante und unkonventionelle Erzählung über Todessehnsucht und Lebenssinn gut unterhält.
Wir haben „Paris Paradies“ beim Filmfest München 2024 gesehen, wo er in der Sektion „Spotlight“ gezeigt wurde.