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    Thelma - Rache war nie süßer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Thelma - Rache war nie süßer

    Oma auf dem Kriegspfad

    Von Gaby Sikorski

    Die für „Nebraska“ oscarnominierte June Squibb hat nun mit „Thelma – Rache war nie süßer“ den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht: Mit über 90 Jahren spielt sie hier ihre erste Kino-Hauptrolle! Und sie hat offenkundig richtig viel Spaß dabei. Nicht nur, dass sie die meisten ihrer für ältere Menschen durchaus etwas spektakulären Stunts selbst ausführt – mit ihrem knorrigen Charme und ihrem trockenen Humor gibt sie ihrer Rolle zusätzlich einen charmanten Kick, der auf ihre männlichen Partner ausgesprochen herausfordernd wirkt. Da muss sich Richard Roundtree („Shaft“), der ihren besten Freund spielt, in seiner letzten Filmrolle richtig anstrengen, um mit ihr mitzuhalten. Und Malcolm McDowell, ein weiterer Veteran des Weltkinos und einer der verlässlichsten Fieslinge der Filmgeschichte, bewährt sich unter Aufbietung sämtlicher Kräfte und mit zusätzlicher Unterstützung durch medizinische Hilfsmittel als Oma Thelmas Gegenspieler.

    Die jüngeren Kolleg*innen spielt June Squibb ohnehin mit Leichtigkeit an die Wand. Oder kurz gesagt: Der Schauspieler und Autor Joshua Margolin hat mit ihr die ideale Besetzung für seine erste Spielfilm-Regie gefunden, zu deren Geschichte er von seiner eigenen Großmutter inspiriert wurde. Und der Erfolg gibt ihm recht: 99 % positive Pressestimmen auf Rotten Tomatoes haben den Film in den USA nach ganz weit nach oben in der Beliebtheitsskala aller Filme für 2024 gekickt. Und das für eine eigentlich kleine Geschichte, (beinahe) alltägliche Story.

    Selbst mit über 90 tritt June Squibb noch lässig in die Fußstapfen von Keanu Reeves & Co. Universal Pictures Germany
    Selbst mit über 90 tritt June Squibb noch lässig in die Fußstapfen von Keanu Reeves & Co.

    Thelma (June Squibb) ist stolze 93 Jahre alt und hat, wie in diesem Alter kaum anders zu erwarten, schon eine Menge überstanden, darunter diverse Krankheiten und vor zwei Jahren auch noch den Tod ihres Mannes. Mittlerweile hat sie sich ganz gut mit dem Alleinleben arrangiert und verbringt den Tag mit Stickereien, Fernsehen, Fitnessübungen und Computerspielen. Ab und an kommt ihr Enkel Danny (Fred Hechinger) vorbei. Er geht für sie einkaufen und hilft ihr bei Computerproblemen. Trotz ihres hohen Alters schafft es Thelma, ihren Alltag selbständig zu bewältigen, und darauf ist sie stolz.

    Doch dann passiert es: Ausgerechnet die selbstbewusste Thelma fällt auf die betrügerische „Enkeltrick-Masche“ herein. 10.000 Dollar sind futsch, ihre gesamten Ersparnisse. Aber beinahe noch schlimmer ist, dass sie in den Augen ihrer Familie jetzt als hilflose, alte Frau dasteht, die besser heute als morgen ins Altersheim ziehen sollte. Das darf nicht passieren! Kurzerhand orientiert sich Thelma an ihrem großen Vorbild Tom Cruise, der auch niemals aufgegeben hat. Also startet sie einen Rachefeldzug: Irgendwie muss es ihr gelingen, das Geld zurückzubekommen, schon damit sie ihrer Familie beweisen kann, wie gut sie alleine zurechtkommt…

    Die (späte) Geburt eines Actionstars

    Vom ersten Moment an ist June Squibb der Star in dieser sympathischen Dramödie. Der Film hat dabei durchaus die DNA eines Actionfilms, nur etwas ruhiger und langsamer – sozusagen altersgemäß. Ganz nebenbei erzählt „Thelma“ auch vom Älterwerden: von Einsamkeit, Freundschaft und Verständnis, von den Herausforderungen des Alltags und von Autonomie im Alter. Doch Thelma geht es erstmal um Rache und Gerechtigkeit, wobei die Grenzen zwischen den beiden Begriffen bei ihr ziemlich unscharf ausfallen. Auf jeden Fall will sie ihr Geld zurück, und um das zu erreichen, sind ihr praktisch alle Mittel recht. Damit erfüllt sie brillant die wichtigste Vorgabe für einen Actionfilm: Sie hat ein Ziel und will es unbedingt erreichen, koste es, was es wolle.

    Richard Roundtree spielt Ben, den besten Freund der Familie, der Thelma mit genau der liebenswürdigen Vernunft, die ihr fehlt, auf ihrer Verbrecherjagd begleitet. Rollstuhl-Verfolgungsjagden gehören hier ebenso zur Grundausstattung wie die unbedingt notwendige Beschaffung einer Waffe für die geplante Strafaktion. Auf Bens Frage, ob sie überhaupt wüsste, wie man damit umgeht, meint sie nur trocken: „Wie schwierig kann das schon sein, wenn es so viele Idioten gibt, die sowas benutzen?“ Charmant ist hier aber nicht nur der Umgang mit Action-Klischees, zu denen natürlich ebenfalls ein mehr oder weniger ausgeklügelter Plan zur Wiederbeschaffung des Geldes gehört, sondern auch die feine Kameraarbeit, Action-Sequenzen inklusive.

    Cool vor einer Explosion im Hintergrund weggehen: Check! Universal Pictures Germany
    Cool vor einer Explosion im Hintergrund weggehen: Check!

    Dabei macht Regisseur Josh Margolin weder seine Heldin noch ihre Mitstreiter, ja nicht einmal ihre Gegner, lächerlich. Der Film hält durchgängig einen respektvollen und würdevollen Ton, er hat nichts Albernes. Und ganz wichtig: Er macht sich zwar über das Altwerden und über manche der damit verbundenen Herausforderungen lustig, jedoch niemals über die alten Menschen selbst. Das schafft insgesamt eine liebenswürdige, beinahe familiäre Stimmung, die der Spannung keinesfalls abträglich ist, sondern sie sogar noch unterstützt. Mit am schönsten an diesem Film ist die cineastische Verneigung vor „Mission Impossible“, nicht in Gestalt einer Parodie, sondern als lieb gemeinte, kleine Aufmerksamkeit, so wie früher die dicken Sahnebonbons, die es nur bei der Oma gab.

    Fazit: Die eventuell langsamste Action-Komödie aller Zeiten – und nebenbei eine augenzwinkernde Hommage an die „Mission Impossible“-Filme, die sogar von Tom Cruise persönlich abgesegnet wurde. Oma Thelma, die ihre sauer verdienten Ersparnisse zurückholen will, ist jedenfalls ein echter Kracher, und Josh Margolin macht in seinem Regiedebüt die Darstellerin June Squibb zum Star einer Wohlfühlkomödie, die mehr zitiert als parodiert und dabei stets den Respekt bewahrt.

    PS: Wer Josh Margolins Großmutter, die ihn zu diesem Film inspirierte, kennenlernen möchte, sollte übrigens unbedingt bis zum Ende des Abspanns im Kino bleiben. Sie ist inzwischen 103 – und noch immer eine echte Wucht!

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