Die Hölle der Zukunft
Von Janick NoltingAude Léa Rapin („Helden sterben nicht“) zeigt die Demokratie und Meinungsvielfalt an einem toten Punkt. Einen Austausch scheint es nicht mehr zu geben. Nur noch ein Abstecken von Dominanzen. In „Planet B“ greift die französische Regisseurin Krisenstimmungen, Extreme und Protestbewegungen in Europa auf und strickt daraus ein düsteres Zukunftsszenario, das in seinen Überzeichnungen nur allzu real und naheliegend erscheint. Ihr von Streamingdienst Netflix mitproduziertes Sci-Fi-Drama zeigt, welche Methoden und Gestalten ein politisches System entwickeln und annehmen kann, um alle Widerworte, die seinem Status quo gefährden könnten, auszuschalten. Im Jahr 2039 ist man hier überaus erfinderisch geworden, um unliebsame Kräfte aus dem Weg zu räumen.
Die sogenannte R-Bewegung greift in Frankreich um sich. Von der Regierung als „Ökoterroristen“ abgestempelt, kämpft die Gruppe unerbittlich für ihre politischen Ziele und schreckt dabei auch vor Vandalismus nicht zurück. Julia Bombarth (Adéle Exarchopoulos) ist Teil der aktivistischen Vereinigung. Als sie bei einem Zusammenprall mit den Behörden niedergeschossen wird und ein Polizist ums Leben kommt, wacht Julia in einer Parallelwelt namens Planet B auf, in der sie und andere Gefangene auf ihren Prozess warten müssen. Aber sollen sie diese Welt überhaupt jemals wieder verlassen oder sind nicht alle froh, dass sie hier nun versauern?
Aude Léa Rapin zeigt mit diesem faszinierenden Schauplatz den Wandel politischer Abschottungs- und Ausgrenzungsräume hin zum Virtuellen. Das Gefängnis der Zukunft lässt Inhaftierte in einem simulierten Kosmos hausen, in dem die Grenzen zwischen Fesselung, Beobachtung und Folter zerfließen. Rapin wählt dafür eindringliche Kontraste. Im ersten Moment sieht die digitale Welt wie ein Urlaubsparadies aus. Sonne, glitzerndes Wasser, ein Strand, leuchtend grüne Pflanzen, Vögel zwitschern. Doch von jetzt auf gleich kann der seelische Schmerz entfesselt werden, mit dem die Behörden ihre Gefangenen zu quälen versuchen.
„Planet B“ betrachtet seine futuristische Gefängniskultur ebenso als neue Form der Hölle. Will man ihr entkommen, stößt man immer nur an unsichtbare Grenzen, die die Bilder in Wellenformen und Glitches zum Pulsieren bringen. Die Tage bestehen aus zermürbenden Wiederholungsschleifen, in denen immer wieder Traumata und Untote aus den Erfahrungen der Inhaftierten eine Verkörperung erhalten. Die ausgemachten Unruhestörer*innen sollen für ihre Taten büßen und Aude Léa Rapin scheut dabei keineswegs, ein paar überraschende Horrorszenen und Gewaltausbrüche zu inszenieren.
Das Szenario ist deshalb so brisant, weil es abseits der Frage der Folter und Isolation politischer Gegner*innen einen essenziellen Knackpunkt in der Wahrnehmung selbiger enthält: In „Planet B“ fallen plötzlich Körper und Bewusstsein, Akteur*in und Abziehbild in virtuellen Umgebungen und Simulationen auseinander. Der Film spiegelt damit Diskurse und Bestrafungsfantasien rund um reale Protestbewegungen, die man gerade im Internet permanent verfolgen kann, sei es bezüglich der Gelbwesten in Frankreich oder auch der Letzten Generation in Deutschland.
„Plan B“ zeigt den Moment, an dem solche Bewegungen immer auch zu medialen Projektionen und Fantasien werden, die ihre Kontrolle verlieren und nur noch auf ein Urteil von außen warten. Sie können im selben Moment zu stigmatisierten Hassobjekten und Ikonen werden, über die eine anonyme Masse und Gewalt in einer irrealen Umgebung verfügt. „Planet B“ begreift solche Prozesse als grauenerregende Versatzstücke einer Disziplinar- und Überwachungsgesellschaft. Nur: Derlei Ideen bieten zwar viel Diskussionsstoff, bleiben hier aber zerfaserte Ansätze. Der Film will sich nicht so recht entscheiden, ob er sein Publikum mit einem derlei abstrakten Gedankenspiel herausfordern, oder es dann doch mit einer konventionellen Spannungsdramaturgie besänftigen will.
„Planet B“ wandelt somit gleich doppelt zwischen den Sphären. Er wagt nicht den radikalen Schritt, allein im virtuellen Gefängniskosmos auszuharren, in dem sich die Ausgelieferten ihr Schicksal zusammenpuzzeln. Stattdessen verfolgt Aude Léa Rapin den Weg einer weiteren Figur zwischen Außen- und Innenwelt. Die Journalistin Nour (Souheila Yacoub), die eine fremde Identität annehmen musste und als Reinigungskraft in einer Militärbasis arbeitet, kommt den brutalen Machenschaften früh auf die Schliche. Mit einer VR-Brille kann sie sich in die Simulation von Planet B einklinken und Kontakt zu den Gefangenen aufnehmen. Der Plot dreht sich um die Frage, ob es Nour gelingen wird, die Menschen zu befreien und den Skandal an die Öffentlichkeit zu bringen.
Mit diesem Bruch in der Perspektive weitet Rapin den Blick auf die dystopische Welt und deren Hintergründe. So thematisiert „Planet B“ etwa migrantische Realitäten als weiteres Versatzstück politischer Ausgrenzungen und Diskriminierungen. Von einer Mauer im Mittelmeer ist beispielsweise die Rede, die Geflüchtete aussperren soll. Doch der Film verrennt sich dabei, mit solchen Elementen einerseits ein größeres Panorama zu entwerfen, dann aber an den immergleichen Auseinandersetzungen, leidenden Blicken und persönlichen Dramen seiner Hauptfiguren zu kleben, die etablierte Kernkonflikte nur unnötig aufbauschen und wiederholen. Der Mix aus Gefängnisausbruchsfilm, Sci-Fi-, Journalismus- und Polit-Thriller hat dadurch Mühe, mit seinem erwartbaren, schleppend erreichten Höhepunkt später noch mitzureißen.
Auch die Bilder des dystopischen Frankreichs bleiben letztlich enttäuschend blass, eintönig, und eng gedacht. Das sorgt dafür, dass man die meisten Zusammenhänge und Krisenherde als bloße Information schlucken muss, anstatt sie audiovisuell erfahren zu können. Die wenigen Schauplätze jenseits der Gefängniswelt sind zwar stimmungsvoll düster ausstaffiert, wirken aber mit ihren schwirrenden Drohnen, Wachtruppen, schummrigen Lichtstimmungen und Gerätschaften eher beliebig und heben sich ästhetisch kaum von zahllosen anderen Dystopien ab.
Wenn am Ende schließlich noch einmal die zentralen Fragen des Films plakativ in Berichtform zusammengefasst und aufgesagt werden, dürften sich die wenigsten Zuschauer*innen noch ernstgenommen fühlen. Vor allem aber verhärtet sich damit der Eindruck, einen Film zwischen allen Stühlen gesehen zu haben, dessen Ideen und Fragestellungen spannender als der etwas behäbig und repetitiv aufgefächerte Plot sind, in den sie verpackt wurden.
Fazit: Aude Léa Rapin gelingt ein interessanter Twist im Genre des Gefängnisfilms, der komplexe Fragen rund um politische Ausgrenzung und Protest-Wahrnehmungen eröffnet. „Planet B“ vergräbt sie jedoch immer weiter in zähen Charaktermomenten, Konfrontationen und Erklärungen, die keine sonderlich mitreißende Form für die Facetten und Dimensionen ihrer dystopischen Welt finden.
Wir haben „Plan B“ im Rahmen des Filmfest Venedig 2024 gesehen.