NICHT ALLES LEBEN IST CHEMIE
Wie es genau funktioniert, werden wir nie erfahren. Womöglich würden wir es auch nicht verstehen, jedenfalls müssen wir hinnehmen, dass das Unglaubliche zum bezahlbaren Selbstversuch wird – zur immersiven Therapie für mehr als nur neugierige, sondern auch von einem gewissen draufgängerischen Pioniergeist beseelte Sensationsabenteurer, die sich selbst vielleicht ein bisschen satthaben. Denn auf einer Insel, irgendwo in der Nordsee, wird Selbsterfahrung zur Fremderfahrung.
Dort ist es einem Wissenschaftler auf einem nicht näher definierten Spezialgebiet gelungen, Persönlichkeiten aus deren Körpern zu extrahieren und in andere einzusetzen. Natürlich nur, wenn der Empfänger Platz macht. Der nimmt dafür den Körper des anderen, mitsamt seiner biochemischen Prozesse – mitsamt seines Gehirns und seiner psychosomatischen Beschaffenheit. Einzig das Ich-Bewusstsein ist anders. Vergleichbar wäre es damit, in einen Leihwagen zu steigen, um damit nicht mal selbst zu fahren, sondern vom Besitzer des Autos chauffiert zu werden, natürlich unter Ansage des Beifahrers. Als Navigator, nicht als Fahrer des neuen Wagens fungiert der neu eingesetzte Geist. Somit werden nicht mal Skills, Talente und erlernte Fähigkeiten übertragen, dafür aber Weltsichten und Charakter.
Unter dieser präzise formulierten Prämisse gelingt dem Langfilmdebütanten Alex Schaad tatsächlich etwas ganz Neues. Kein Bodyswitch-Humor begeistert sich an schräger Situationskomik, die zwangsläufig eskalieren muss. Die bereitwilligen Klienten werden auch nicht an sonderbare High-Tech-Gerätschaften geschnallt – keine in der Luft schwebenden Bildschirmprojektionen werden von auf mysteriöse Weise geschulten Kennern dirigentengleich bedient. Hier, in dieser rätselhaften Idylle, kann und soll man sich zumindest reinwaschen – um danach einem Prozess einzuwilligen, der es ermöglichen soll, die Welt mit fremden Augen zu sehen. Für dieses Abenteuer hat sich das Paar Leyla und Tristan bereiterklärt, natürlich nichts ahnend, in welcher Haut sie wohl die nächsten zwei Wochen wohnen werden. Danach soll es wieder zurückgehen in die eigenen vier Wände. Leyla verspricht sich davon einen Ausweg aus ihrer Depression, während Tristan der ganzen Methodik eher skeptisch gegenübersteht. Und doch wird es passieren: die beiden tauschen mit dem Ehepaar Fabienne und Mo: grundverschiedenen Persönlichkeiten mit ganz anderem – körperlichen wie geistigen – Innenleben. Man kann sich schon denken, dass die Grenzerfahrung auch so manche grenzwertige Situation mit sich bringt, die den Wunsch von zumindest einem der vier, wieder zurück in vertraute Gefilde zu gelangen, auslösen wird. Doch was, wenn die anderen, die in solchen Fällen mitziehen müssen, gar nicht mehr wechseln wollen?
Würde ich selbst so einen Körpertausch vollziehen wollen? Wenn, dann vielleicht nur kurz, allerdings keine zwei Wochen. Unheimlich ist das Ganze allemal, dafür aber legt dieser Vorgang allerlei grundsätzliche Überlegungen bloß, die weit über das Streben nach gegenseitiger Wahrnehmung in der Partnerschaft hinausgehen. Mit Newcomern wie Alex Schaad, der gemeinsam mit seinem Bruder Dimitrij dieses außerordentlich durchdachte Drehbuch verfasst hat, sind im Independentkino Innovationen garantiert. Aus meiner Haut ist eines dieser besonderen Highlights, die es in ihrer Entstehung als nicht notwendig erachtet haben, nach links oder rechts zu blicken. Die sich nicht an anderen Werken bereits etablierter Filmemacher orientieren müssen, sondern ihr eigenes kreatives Selbstbewusstsein an den Tag legen möchten. Sowas muss unterstützt werden – vor allem dann, wenn Werke wie diese so gelingen wie vorliegende Science-Fiction, die sich souverän auch in ganz anderen Genres aufhalten wollen, wie zum Beispiel in jenem des Beziehungsfilms. Das ausgesuchte Ensemble, darunter Mala Emde und Jonas Dassler (Das schweigende Klassenzimmer), zieht auch klipp und klar die charakterlichen Grenzen zueinder. Dadurch gelingt es den Darstellern auch, den jeweils anderen Filmcharakter zu übernehmen, wenn dieser im „falschen“ Körper steckt. Potenzielle Verwirrung fällt hier gänzlich weg, das unterstützt Schaad auch mit einer entschleunigten Inszenierung, die am Ende des nicht unbedingt düsteren, aber komplentativen Dramas die eigene wertvolle Conclusio formuliert: Dass Geist und Körper untrennbar miteinander verbunden sind. Dass die inneren Werte niemals alles sind, aber das Wichtigste. Dass diese aber, eingebettet in ihrer biochemischen Materie, das Produkt viel zu vieler Prozesse sind, die das Wunder der Einzigartigkeit eines jeden von uns definieren. Dass dabei die Frage nach sexueller Orientierung auch noch gleich mit ins Boot geholt wird, ist ein positiver, aber fast schon zufällig generierter Nebeneffekt.
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