Erst gelungen, wenn er dann doch zum Rache-Western wird
Von Björn BecherNach dem Flop seiner Stephen-King-Adaption „Der dunkle Turm“ kehrt Nikolaj Arcel für das Historien-Drama „The Promised Land“ wieder in seine dänische Heimat zurück. In Hollywood hätte er den Stoff auch niemals drehen können, gab er im Vorfeld zu Protokoll. Dort wäre ihm nämlich aufgezwungen worden, aus seiner Hauptfigur einen Helden zu machen. Mads Mikkelsens Darbietung des zu Beginn erfrischend zwiespältig dargestellten Ludvig Kahlen ist dann zwar ein Highlight von „The Promised Land“ - doch so richtig will diese Grauzeichnung mit Fortlauf der Geschichte nicht mehr funktionieren.
Die Adaption des Romans „Kaptajnen og Ann Barbara“ von Ida Jessen strickt um die reale Geschichte eines der ersten Landwirte der jütländischen Heide und das von ihm gebaute „Königshaus“ dann nämlich doch eine ausgesprochen platte Gut-Böse-Auseinandersetzung. Bei der sind die Fronten so klar gezogen, dass Kahlen dann trotz all seiner Makel ein strahlender Held ist, während die in der Romanvorlage sogar im Titel vorkommende weibliche Hauptfigur viel zu spät endlich Profil bekommt.
Fest entschlossen, das Land fruchtbar zu machen: Ludvig Kahlen!
Seit Jahren wünscht sich der dänische König, dass die wilde jütische Heide auch endlich besiedelt wird. Doch bislang hatte niemand auf dem als unfruchtbar geltenden Boden in einer von Banditen, wilden Tieren und harten Wintern dominierten Region Erfolg. Als 1755 der verarmte Captain Ludvig Kahlen (Mads Mikkelsen) nach dem Ende seines Militärdiensts um die Erlaubnis bittet, eine Siedlung aufzubauen, scheint ein Erfolg ausgeschlossen. Die Adeligen der Hauptstadt erteilen ihm die Genehmigung eigentlich nur, damit sie dem König bei Nachfragen glaubwürdig vermitteln können, dass weiterhin Versuche laufen.
Doch Kahlen ist fest entschlossen und hat aus Deutschland eine Geheimwaffe dabei, die er hier anpflanzen will. Doch erst einmal muss er ein Haus bauen und überhaupt Felder vorbereiten. Das Vorhaben wird zusätzlich erschwert, weil der lokale Adelige Frederik de Schinkel (Simon Bennebjerg) sich mit allen Mitteln gegen einen neuen Nachbarn wehrt und die Ländereien für sich beansprucht. Der bald immer brutaler ausgetragene Konflikt wird dadurch verschärft, dass Kahlen auf Bitten von Priester Anton Eklund (Gustav Lindh) die aus den Fängen des sadistischen de Schinkel geflohenen Arbeitskräfte Johannes Eriksen (Morten Hee Andersen) und Ann Barbara (Amanda Collin) bei sich aufnimmt. Zudem wirft noch die von de Schinkel als seine zukünftige Braut auserkorene Helene (Kristine Kujath Thorp) ein Auge auf den Neuankömmling.
Wenn „Der Rausch“-Star Mads Mikkelsen mit fester Entschlossenheit im Gesicht immer wieder die Hacke in den harten Boden rammt, ist jederzeit der unbändige Wille dieses Ludvig Kahlen zu spüren. Er wird es irgendwie schaffen, etwas auf dem Land anzupflanzen und sich dabei von nichts stoppen lassen. Das führt zu interessanten inneren Konflikten, weil Kahlen sich zum Beispiel zurückhalten muss, als de Schinkel einen seiner Männer brutal foltert, weil er mit einem Einschreiten sein Projekt zerstören würde.
Kahlen ist so besessen von seinem Ziel, dass er jegliche Menschlichkeit ignoriert, sobald sie seine Siedlung gefährden könnte. Stark erzählt ist so seine Beziehung zu dem kleinen Sintomädchen Anmai Mus (Melina Hagberg), welches er bei sich aufnimmt, nachdem es von allen anderen ausgestoßen wurde. Doch obwohl sie bald wie eine Tochter für ihn ist, besteht wenig Zweifel, wie Kahlen handeln wird, wenn er sich zwischen ihr und seinem Traum entscheiden muss. Die daraus resultierende faszinierende Zwiespältigkeit der Hauptfigur wird in „The Promised Land“ aber durch den Widersacher konterkariert.
Der Adelige de Schinkel ist die so ziemlich platteste und eindimensionalste Bösewicht-Karikatur, die man sich nur vorstellen kann. Nachdem er bereits als arroganter, widerwärtiger Fiesling eingeführt wird, sehen sich Arcel und der ihm als Co-Autor zur Seite stehende preisgekrönte Regisseur Anders Thomas Jensen („Helden der Wahrscheinlichkeit“) dazu gezwungen, die Schraube immer noch weiter zu drehen. Da foltert de Schinkel nicht nur seine Gefangenen von Mal zu Mal brutaler, nach und nach kommt auch heraus, dass er reihenweise das weibliche Personal vergewaltigt. Ködert er in der ersten Unterhaltung sein Gegenüber noch mit doppeldeutigen Dialogen über das Chaos des Lebens und will ihn zu Fehlern verleiten, darf Schauspieler Simon Bennebjerg irgendwann nur noch geifernd herumschreien, dass doch endlich alle getötet werden sollen.
Schon weit bevor der letzte im Publikum kapiert hat, dass hier ein völlig außer Kontrolle geratener Fiesling am Werk ist, der nur irgendwie gestoppt werden muss, verzeiht man Kahlen deswegen auch jede noch so harte Entscheidung. Damit bleibt von dessen Zwiespältigkeit nichts mehr übrig. Das unterstreicht die Inszenierung durch welche die brutalen Taten von de Schinkel gleich noch brutaler wirken. Da werden bei einer Folterung so lange die Schmerzensschreie und die entsetzten Gesichter aller Anwesenden eingefangen, bis es wirklich jeder verstanden hat. Und falls doch jemand langsamer ist, wird dem Bösewicht von seinem engsten Berater noch explizit mitgeteilt, dass er jetzt aber wirklich zu weit gegangen ist und selbst die gerade noch mit ihm lachenden Stiefellecker am Hof nicht mehr auf seiner Seite stehen. Natürlich foltert er trotzdem weiter.
Wenn der in die Enge getriebene Kahlen dagegen zum Meuchelmörder wird, geht es längst nicht mehr darum, zu unterstreichen, dass auch er über Leichen geht. Das Publikum hat hier längst sein Western-Recht zur Selbstjustiz akzeptiert. Der Fokus liegt dann auch darauf, wie er und seine Mitstreiter hier mit äußerster Präzision vorgehen und sich lautlos durch ein feindliches Camp schleichen, um einen Gegner nach dem anderen auszuschalten. Es ist eine der spannendsten Szenen des Films, in welcher sich das Können von Arcel und seinem Stammkameramann Rasmus Videbæk zeigt.
Es läutet vor allem auch das deutlich stärkere letzte Drittel des Films ein, bei dem all die anfängliche Zwiespältigkeit der Hauptfigur gewichen ist und er nun doch einfach ein Held ist, der sich gegen das Unrecht auflehnt. Dabei weiß auch nach und nach die aus der Science-Fiction-Serie „Raised By Wolves“ bekannte Amanda Collin zu begeistern. Ihre lange Zeit im Hintergrund bleibende Figur der geschundenen Haushälterin Ann Barbara wird irgendwann endlich ebenfalls zur handelnden Person, der man im gemeinsamen Kampf mit Kahlen die Daumen drückt. Im Finale ist der sich vorher bisweilen auch arg ziehende „The Promised Land“ dann doch noch recht solides Western-Kino, bei dem sich eine Bande Außenseiter zusammenfindet, um einer bösen Übermacht die Stirn zu bieten.
Fazit: Der dänische Western über den Versuch, die wilde jütische Heide zu besiedeln, nervt über weite Strecken mit einem platten Bösewicht, bietet aber neben einem starken Mads Mikkelsen gen Ende auch noch spannende Rache-Szenen.
Wir haben „Promised Land“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.