MANN KANN NICHT ALLES HABEN
Da steht man nun an der Weggabelung, links die eine Tür, rechts die andere. Eine von beiden genießt den Vorzug, durch beide gleichzeitig lässt sich nicht treten. So ist das nun mal im Leben. Es nennt sich Entscheidung. Wenig förderlich fürs Allgemeinwohl und vor allem auch für einen selbst ist es, eine solche nicht fällen zu können. Der Verzicht der einen Möglichkeit bringt jedoch den Fokus auf die andere. Es entsteht Klarheit, es setzt Progression ein, im Zuge dessen auch Ruhe, Verantwortung und Verlässlichkeit – gerade dann, wenn es heißt, Beziehungen einzugehen oder nicht. Das Spektrum dabei ist breit gefächert – von der freien bis zur fixen. Von der lockeren Liaison bis zur Familiengründung. Menschen wie Tomas, der in Ira Sachs knackigem Beziehungsdrama in völliger Verwirrung alles will, nur nicht nichts, sind Gift für andere, die auf Vertrauen setzen. Leicht wäre zu vermuten, dass dieser Tomas – selbstironisch und mit viel Verständnis für seine Rolle dargeboten von Franz Rogowski, dem besten nuschelnden Schauspieler des deutschsprachigen Raums – das pathologische Portrait eines Borderliners skizziert, denn manche Verhaltensweisen sprechen dafür. Andere wiederum nicht. Irgendwo dazwischen scheint sich dieser Charakter zu befinden, und ein Teil davon unterliegt auch der Selbstsucht.
Dieser umtriebige Mann also, haltlos dahintreibend im Strom seiner Bedürfnisse, ist homosexuell (bislang wohlgemerkt) und lebt in einer Ehe mit dem Engländer Martin. Beide sind Künstler, der eine Regisseur, der andere Kunstdrucker. Als Tomas neuer Film seine Takes durchhat und die Crew zum Abtanzen in die Disco geht, trifft der energische Regisseur auf die junge Agathe (Adéle Exarchopoulos) – mit ihr macht dieser sein Workout am Tanzparkett und später auch daheim in ihrem Appartement, während Martin, wohl eher ein Langweiler und viel mehr Hausmann, sich zu gegebener Zeit abseilt. Dieses Abenteuer allerdings wird das Leben aller drei Menschen umkrempeln. Tomas entdeckt seine Heterosexualität, Martin einen anderen Mann, Agathe die Möglichkeit, eine Familie zu gründen. Es hätte prinzipiell jede und jeder seinen Weg gefunden, würde Rogowskis Figur nicht alles gleichzeitig wollen – seinen Ehemann, Agathe und vielleicht sogar Nachwuchs. Doch so funktioniert Vertrauen nicht, Beziehungen schon gar nicht. Denn nur auf das eigene Gefühl zu hören zeugt von impulsivem Egoismus.
Gewürzt mit leidenschaftlichen, wenig zimperlichen Sexszenen, in denen Rogowski ordentlich aufdreht, kredenzt uns Autorenfilmer Ira Sachs (u. a. Married Life, Frankie) eine dysfunktionale Dreiecksgeschichte, deren Rechnung nicht aufgehen kann. Das Ideal der Abhängigkeiten schildert immer noch Tom Tykwer in seinem scharfsinnigen Liebesreigen Drei. Auch so kann es gehen, doch das dort ist fast schon ein evolutionärer Zufall. In Passages ist der Idealfall vielleicht nur in den Filmen von Tomas zu finden, im realen Leben führt der Fluch der Unentschlossenheit in die Hölle der Einsamkeit – genau dorthin, wo Rogowskis Getriebener niemals hinwill. Weit weg von sentimentalem Lebensverdruss und poetischem Weltschmerz bleiben Sachs' Betrachtungen aber dennoch – und das ist gut so. Als Amerikaner, der französisches Kino probiert, geht dieser deutlich hemdsärmeliger an die Sache ran. Hält seine Sozialminiuatur an straff gespannten Zügeln, hat seine Szenen bestens getimt und akkurat geschnitten. Gerade durch diese entrümpelte Erzählweise bahnt sich die Ironie des Schicksals durch die Dimension der Selbstverwirklichung; niemand leidet mehr, als er müsste, und zieht alsbald in pragmatischer Vernunft die Konsequenzen. Das aber tötet nicht die Leidenschaft in einem unterhaltsamen, offenherzigen Film, der große Gefühle nur effizient nutzt und die Qual des Egomanen fast schon als Worst Case-Lehrstück definiert.
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