Zwanzig Jahre alt ist Derek Jarmans Künstlerbiographie „Caravaggio“; 1986 hatte der Film seine Uraufführung auf der Berlinale und erhielt einen Silbernen Bären für seine künstlerische Gestaltung. Und nun hat er mit der „Edition Salzgeber“ endlich einen deutschen Verleih gefunden – pünktlich zur ersten großen Retrospektive des letzten großen Künstlers der Renaissance, die am 9. September im Museum Kunst Palast in Düsseldorf startet. Man muss sich fragen, warum es zwei Jahrzehnte gedauert hat, bis ein auf der Berlinale ausgezeichneter Film einen Verleiher in Deutschland gefunden hat. Bei „Caravaggio“ lag es mit Sicherheit daran, dass der Film sehr experimentell und sperrig ist, sich also für eine profitable Massenauswertung nicht gerade eignet. Außerdem fehlen ihm – ganz bewusst – zwei wesentliche Zutaten für einen erfolgreichen Kostümfilm: aufsehenerregende Kulissen und detailverliebte Kostüme.
Michelangelo Merisi wurde 1571 in Italien geboren und nannte sich in seinem späteren Schaffen nach seinem Geburtsort Caravaggio. Seine Gemälde gaben oft Anlass zu kontroversen Diskussionen; es gefiel nicht jedem, dass der Künstler Zuhälter, Prostituierte und Straßenjungs als Vorlage für seine von der Kirche in Auftrag gegebenen Heiligen-Porträts benutzte. Auch sein übriger Lebensstil stieß nicht überall auf Zustimmung: Caravaggio pendelte zwischen der Welt seiner Gönner und der seiner Modelle, war homosexuell, in Schlägereien und Duelle verwickelt und verübte 1606 sogar einen Mord. Sein Beitrag zur Malerei ist die Begründung des dramaturgischen und unrealistischen Einsatzes der Lichtgebung, einem Stil, der als clair-oscur in die Kunstgeschichte eingegangen ist.
An diese dramaturgische Lichtsetzung in Caravaggios Gemälden lehnt der britische Regisseur Derek Jarman („Richard II.“, „Wittgenstein“) sich in der visuellen Gestaltung seiner Film-Biographie an. Wie bei Caravaggio bleiben viele Bilder des Films halb im Dunkeln, es werden nur die für die Geschichte wesentlichen Teile eines Raumes beleuchtet. Wenn Jarman seinen Caravaggio-Darsteller Nigel Terry („Excalibur“) beim Malen zeigt, wird die besondere Bedeutung des Lichts für dessen Kunst noch einmal betont. Auch die Farben Renaissance-Künstlers, das dunkle Braun und die matten Hintergründe, aber auch das kräftige Rot, macht Jarman sich in seiner Farbdramaturgie nutzbar. Ähnlich wie Caravaggio, der die Heiligen oft in Kleidern aus dem 16. Jahrhundert malte, weißt Derek Jarman auf die Gültigkeit seiner Geschichte über die Renaissance hinaus hin, indem er zeitgenössische Elemente wie einen Taschenrechner, eine elektrische Barbeleuchtung oder Geräusche von vorbeifahrenden Autos in seinen Film einbaut. Auf der ästhetischen Ebene liegt „Caravaggio“, für dessen Realisierung ein Budget von nur 715.000 Dollar zur Verfügung stand, ein überaus gelungener und experimenteller Ansatz zu Grunde, der zum Beispiel durch Lars von Trier in Dogville und Manderlay weitergeführt worden ist. Die Gestaltung alleine reicht aber noch nicht, schließlich gilt es auch noch eine Geschichte zu erzählen.
Und gerade die Vita von Caravaggio gibt viel Stoff für die Umsetzung in eine filmische Dramaturgie her. Der Film erzählt im Wesentlichen die Dreiecksgeschichte zwischen Caravaggio, dem Tagelöhner Ranuccio Thomasoni (Sean Bean, Herr der Ringe – Die Gefährten, Silent Hill, Flightplan) und dessen Frau, der Prostituierten Lena (Tilda Swinton; Broken Flowers). Zu Dritt führen sie eine exzessive Beziehung, die zunächst darauf aufbaut, dass Ranuccio und Lena den finanziellen Wohlstand bei der Arbeit mit Caravaggio zu schätzen wissen, der sie in seiner Villa leben lässt. In einer metaphorischen Szene füttert der Maler Ranuccio mit Goldstücken, später liegen Goldstücke auf Ranuccios nacktem Oberkörper, während er mit Lena turtelt. Als Lena ermordet wird, kommt Ranuccio dafür ins Gefängnis und Caravaggio porträtiert die Leiche Lenas für den Papst, um eine Begnadigung seines unschuldig geglaubten Liebhabers zu erreichen. Als Ranuccio entlassen wird stellt sich heraus, dass er Lena aus Eifersucht getötet hat, um Caravaggio für sich alleine zu haben. Caravaggio tötet ihn mit einem Messer und muss daraufhin fliehen.
Vor allem das Spiel der drei Protagonisten weiß zu gefallen; Sean Beans impulsive Darstellung muss hier hervorgehoben werden. Trotzdem gelingt es Jarman nicht immer, den Zuschauer in die Geschichte zu ziehen und sich seiner vollen Aufmerksamkeit gewiss zu sein. Abgesehen von der Schlägerei und der Ermordung Ranuccios durch Caravaggio gibt es kaum intensive Szenen zu sehen, fast immer besteht eine Distanz zwischen dem Zuschauer und dem Geschehen. Das liegt in erster Linie an der artifiziellen Gestaltung des Films; die Dialoge sind – genau wie die meist unbewegten Bilder – auf das Nötigste reduziert. Was in „Dogville“ funktioniert hat, nämlich den Betrachter trotz des Minimalismus in die Erzählung eintauchen zu lassen, steht bei „Caravaggio“ auf wackeligen Beinen und lässt den Film stellenweise sehr anstrengend werden. Die Dramatik der Lebensgeschichte Caravaggios, der nach seinen ruhmvollen Zeiten am Ende fliehen muss, und im toskanischen Porto Ecole unter ärmlichen Verhältnissen, von Hunger und Krankheit aufgezehrt, stirbt, büßt durch den strengen Formwillen Jarmans viel an Dynamik ein. Die Sterbeszene, bei der Caravaggio nur sein stummer Gefährte Jerusaleme zur Seite steht, rahmt das Geschehen des Films und lässt die Episoden aus Caravaggios Leben als Fieberträume erscheinen. Der Künstler, der sich selbst als Bacchus porträtiert hatte, hat die beiden wichtigen Menschen seines Lebens verloren, sogar einen Mord auf sich genommen und ist von seinen reichen Gönnern verlassen worden; die Fallhöhe Caravaggios hätte sicherlich packender dargestellt werden können.
Unterhalten kann der Film durch seine gelungene ästhetische Umsetzung, die sich sehr geschickt den künstlerischen Stil Caravaggios für eine filmische Erzählung nutzbar macht. „Caravaggio“ spielt in seiner Dramaturgie aber nicht das volle Potential der biographischen Vorlage aus und schafft durch seine Umsetzung eine Distanz zum Zuschauer. Dennoch ist er ein kleiner, mutiger und künstlerischer Film, der komplett auf Schauwerte verzichtet und eine ehrliche Geschichte erzählen will. Und so ist es auch durchaus zu begrüßen, dass „Caravaggio“ mit zwanzig Jahren Verspätung endlich einen deutschen Verleiher gefunden hat, der sich traut, Derek Jarmans Film in Deutschland rauszubringen.