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    Der vermessene Mensch
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    Martin Zopick
    Martin Zopick

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    3,5
    Veröffentlicht am 5. Oktober 2024
    Der Titel lässt zwei zutreffende Erläuterungen zu: der Mensch wird hier vermessen, d.h. Schädel und Knochen mit dem Metermaß katalogisiert. Das nimmt Bezug auf das Verhalten der Kolonialisten, die hier die Bewohner Afrikas nach rassistischen Vorgaben untersuchen. Die zweite Lesart bezieht sich auf die Arroganz der Imperialisten, die die Afrikaner als Untermenschen sehen, auf einer Stufe mit den Tieren, also als kulturlose und gottlose Wesen, denen der hochstehende Weiße erst seine Kultur und vor allem die einzig wahre Religion bringen muss.
    Um 1900 sahen das die meisten Europäer so und verübten in ihrem missionarischen Eifer u.a. den Völkermord an den Herero und den Nama. Waffentechnisch überlegen trieben die deutschen Imperialisten die Eingeborenen in die Wüste und überließen sie dem Tod durch Verdursten und Verhungern.
    Lars Kraume hat daraus eine Mischung aus einer Doku und einer unerfüllten Lovestory zwischen dem deutschen Offizier und Arzt Alex Hofmann (Leonard Scheicher) und der eingeborenen Kezia (Girley Jazama) gemacht. Er lässt Raum für Gefühle und Grausamkeiten, wobei klar wird, dass keine der Seiten auch nur einen Deut von ihrer vorgefassten Meinung abweicht. Die deutschen Kolonialisten wollen nicht und die Afrikaner können nicht. Das Drehbuch von Lars Kraume lässt keinen Zweifel an der moralischen Rechtfertigung, auf der die Überlegenheit der europäischen Rasse beruht. Das muss der Zuschauer allerdings mit sich und seinen Gedanken ausmachen. Damals hielt das deutsche Kaiserreich mit seiner Schutztruppe die Hand über die menschenverachtenden Aktivitäten seiner Armee. Und die Wissenschaft untermauerte Verhalten und Ansichten durch die Errichtung von KZs vor Ort sowie Schändung von Gräbern.
    Zedda Zogenau
    Zedda Zogenau

    73 Kritiken User folgen

    4,5
    Veröffentlicht am 30. Dezember 2023
    Schmerzhafte Reise ins Herz der deutschen Finsternis

    Lars KRAUME ist ein eindringlicher Film über den Völkermord an den Herero und den Nama gelungen. Bitterböse, abgründig und schwer erträglich geht es an den Ursprung der Gräuel, die im 20. Jahrhundert von deutschem Boden ausgegangen sind. Am ersten Wochenende hat der Film bedauerlicherweise nur 18.262 Besucher (Quelle: Blickpunkt:Film) in die Kinos gelockt. Sehr schade! Aber man muss auch sagen, dass das Gezeigte nur schwer erträglich ist. Und doch sollte dieser sehr gut gemachte Film von möglichst vielen Menschen im Kino gesehen werden. Zur Handlung sei an dieser Stelle nichts verraten, empfehlenswert ist zu diesem Thema der 1978 erschienene Roman MORENGA von Uwe TIMM.
    Hervorzuheben sind die Schauspieler Girley Charlene JAZAMA und Anton PAULUS, die auch auf Otjiherero zu hören sind. In weiteren Rollen spielen Leonard SCHEICHER und Peter SIMONISCHEK. Sehr gruselig ist noch Alexander RADSZUN (DER ZAUBERBERG) als General von Trotha.
    Dieser Film ist sehr zu empfehlen, aber er ist wirklich eine Reise ins Herz der Finsternis. Das kann nicht jede(r) aushalten, auch wenn man auf diese Höllenfahrt eigentlich nicht verzichten sollte!
    FILMGENUSS
    FILMGENUSS

    719 Follower 942 Kritiken User folgen

    2,5
    Veröffentlicht am 9. Dezember 2023
    KOLONIALE OPERETTE EINES UNTERGANGS

    Es ist des wunderbaren Peter Simonischeks letzte größere Rolle: Als Josef Ritter von Waldstätten, Professor für Anthropologie, mit weißem Rauschebart und unverkennbarer Stimmlage die Rassentheorie verbreitend, ohne es besser zu wissen. In Zeiten wie diesen – wir schreiben das Ende des neunzehnten Jahrhunderts – sind Menschen noch lange nicht alle gleich, nicht mal oder schon gar nicht in der Wissenschaft. Um die Unterschiede besser zu untersuchen, dürfen Waldstättens Doktoranden, darunter Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) im Rahmen der Berliner Völkerschau eine Delegation der Herero willkommen heißen, deren Land Namibia von Deutschland annektiert wurde. Jeder der Studierenden darf sich eine der Besucherinnen oder Besucher als persönliches Anschauungsobjekt unter den Nagel reißen – ob diese wollen oder eben nicht. Menschenrechte sind etwas fürs nächste Jahrhundert, möchte man meinen. Und noch nicht mal dann, so werden wir feststellen, werden so wundersame Dinge wie Selbstbestimmung, Freiheit und Frieden den Globus umspannen. Es wird noch schlimmer kommen – die Wurzeln dafür finden sich in der Wissenschaft, in mit Zirkel und Messinstrumenten abgetasteten Zahlendaten für Kopfumfang und Nasenbreite – wie lächerlich. Die ach so gebildeten zukünftigen Forscher, überwältigt durch ihren Drang, Erkenntnisse zu erlangen, fühlen sich, wie Alexander Hoffmann, vielleicht etwas befangen – oder gar geplagt durch ein Gewissen, dass sie dazu führt, im Zuge reflektierender Überlegungen Menschen wie die Herero als vollwertig zu betrachten – und sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen. Kezia Kambazembi, die ihm zu Studienzwecken zugewiesene junge Afrikanerin, wird für Hoffmann zum Grund dafür, nach deren Abreise selbst nach Namibia aufzubrechen, um sie wiederzufinden. Eine banale Romanze im Rahmen einer Chronik historischer Verfehlungen?

    Zum Glück nicht. Das wäre ein Hohn auf die zu erlangende Ernsthaftigkeit, die Lars Kraume natürlich vorschwebt, um Geschichte lebendig werden zu lassen – selten gezeigte Geschichte, ein regelrecht tiefschwarzes Kapitel deutschen Kolonialismus, denn von nichts anderem handelt Der vermessene Mensch als vom Genozid der „Herrenmenschen“ an den Herero und Nama. Das Beste an Kraumes Film ist da immer noch die Zweideutigkeit des Titels. Man kann diesen entweder so lesen, in dem das wissenschaftliche Vermessen afrikanischer Ethnien thematisiert wird – oder eben, in dem die Vermessenheit der weißen Europäer, fremde Länder zu besetzen und dort notgedrungenen Widerstand mit mutwilliger Waffengewalt zu brechen, zur üblen Eigenschaft mutiert.

    Die Ambition, im Rahmen eines Spielfilms für Aufklärung zu sorgen, mag begrüßenswert sein. Die Umsetzung jedoch atmet die abgestandene Luft eines lange nicht mit Sauerstoff versorgten Kostüm- und Requisitenfundus, der endlich mal entrümpelt wurde, um auszustatten, wo es nur geht. Man sieht, wie es damals wohl ausgesehen haben mag, man kann sich vorstellen, wie rustikal das Reisen durch die Wüste vonstatten ging. Wie handbemalte Zinnsoldaten über penibel arrangierte Dioramen marschiert das deutsche Militär durch die Fremde oder bellt hinter gezwirbelten Schnurrbärten Befehle zur Tötung und Unterwerfung der Aufständischen. Inspiriert von alten Fotografien, biedert Der Vermessene Mensch durch eine humanitäre Katastrophe. Die Erfahrungen, die Alexander Hoffmann letztlich macht, sind denen des Seemanns Marlow aus Joseph Conrads Herz der Finsternis nicht unähnlich. Der verstörende Weg zur Erkenntnis hätte die zentrale Figur von Kraumes Film auch auf eine innere Reise schicken können. Mag sein, dass diese Vorgehensweise einem gewissen Idealismus entspräche, der das Grauen von damals verkitscht oder verharmlost. Und dennoch ist Scheichers Figur substanzlos und schal, lediglich beobachtend und sich selbst verratend als Teil eines Systems, aus dem keiner ausbrechen kann.

    Ernüchternd mag das alles sein, pessimistisch und anklagend. Und doch bleibt das alles nur verhaltene Bühne mit Schauwerten, die inmitten historischen Horrors selbst ein bisschen wie eine Volksschau anmutet, obwohl die Intention für diesen Film klarerweise eine ganz andere ist. Eine, die nie wieder vermessen und nicht vergessen will.
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