Eine so anrührende wie humorvolle Reise durch ein Menschenleben
Von Gaby SikorskiIn relativ vielen Filmen geht es ums Taxifahren, fast immer vor dem Hintergrund einer Metropole. Thriller und Komödien sind dabei, auch einige Filmklassiker, zu denen sicherlich „Taxi Driver“ von Martin Scorsese und „Night on Earth“ von Jim Jarmusch gehören. Aber was macht das Taxifahren eigentlich als Drehbuchthema für einen Film so interessant? Sind es die Fahrgäste? Einzeln oder gemeinsam spiegeln sie eine fast immer städtische Community in all ihren Facetten wider. Oder sind es eher die Fahrer*innen, die Lonesome Rider der Großstadt? Sie müssen sich auf die unterschiedlichsten Fahrgäste einstellen, für die sie schon mal als Blitzableiter oder als Seelsorger*in fungieren.
Meist fahren sie für einen spärlichen Lohn und mickrige Trinkgelder, aber zumindest in relativer Freiheit. Ebenfalls reizvoll ist die allgemeine Atmosphäre um das Taxifahren herum: nächtliche Großstadtbilder mit flackernden Lichtern, die ganze Welt in einem Schneckenhaus, Anonymität und Vertrauen, überraschende Begegnungen ... Vermutlich ist es die Kombination aus all diesen und noch mehr Aspekten, die aus Taxistorys Kinogeschichten machen und aus Taxifahrer*innen passende Leinwand-Held*innen. Mit „Im Taxi mit Madeleine“ von Christian Carion reiht sich nun ein weiterer Film in diese schillernde Historie ein.
Line Renaud und Dany Boon sind auch im wahren Leben befreundet, was ihrer Chemie auf der Leinwand ganz sicher nicht geschadet hat.
Charles (Dany Boon) ist so ein Lonesome Rider, ein Taxifahrer in Paris. Kein Held, eher das absolute Gegenteil, und nicht einmal besonders liebenswert, sondern ein wortkarger Kerl mit Hang zum Griesgram und zum Meckern. Seine Zündschnur ist kurz – er geht schnell in die Luft, da genügt manchmal schon eine rote Ampel oder ein allzu kesser Rollerfahrer. Heute ist er besonders mies drauf: Die Schulden drücken, beim nächsten Bußgeld ist der Führerschein weg, dazu kommt Stress mit seiner Frau Karine (Julie Delarme).
Als eine alte Dame (Line Renaud) zu ihm ins Taxi steigt, ist das für Charles erstmal eine Tour wie jede andere. Doch bald stellt sich heraus, dass an dieser Fahrt so gut wie gar nichts normal ist. Ganz im Gegensatz zu Charles ist die Dame nämlich sehr redselig. Sie stellt sich als Madeleine vor, 92 Jahre alt und auf dem Weg in ein Seniorenpflegeheim am anderen Ende der Stadt. Und während sie im Stau stehen und oft nur im Schritttempo durch die laute, trubelige City fahren, erzählt Madeleine dem Taxifahrer Charles ihre Lebensgeschichte…
Eigentlich eine ganz einfache Grundsituation: ein Taxifahrer und sein Fahrgast. Christian Carion formt daraus eine sehr bewegende, emotionale Handlung, die trotz teils tragischer Elemente nicht schwer wirkt, sondern sich immer eine gewisse Leichtigkeit bewahrt. Carion führte Regie und schrieb gemeinsam mit Cyril Gely seinen beiden Stars das Drehbuch auf den Leib: Line Renaud und Dany Boon, dem Vernehmen nach auch privat befreundet, kennen sich bereits gut aus den „Sch’ti“-Filmen. Line Renaud, Jahrgang 1928, die in ihrer Jugend viele Filme drehte und auf eine große Karriere auch als Sängerin und Revuestar zurückblickt, spielt die Madeleine als ebenso elegante wie resolute alte Dame, die es irgendwie geschafft hat, sich trotz aller Rück- und Tiefschläge den Spaß am Leben zu erhalten.
Sie hat genug durchgemacht, um ganz genau zu wissen, was sie will. Und sie ist einfach unwiderstehlich, so zauberhaft und liebenswert, dass es nicht lange dauert, bis sogar der Muffelkopf Charles ihrem Charme erliegt. Dany Boon hält da gut mit ihr mit, auch wenn er der großen alten Dame schauspielerisch den Vortritt lässt. Es gelingt ihm immerhin, aus dem scheinbar schlichten Taxifahrer eine facettenreiche Persönlichkeit zu entwickeln, die immer zugänglicher wirkt und damit ebenfalls sympathisch.
Der zunächst so mürrische Charles erkennt schnell, dass er auch für sich persönlich eine Menge aus dem Treffen mit Madeleine ziehen kann.
Ein großer Teil des Films spielt in einem fahrenden Taxi – eine besondere Herausforderung für die Inszenierung, wobei dank einer ausgefeilten Aufnahmetechnik größtenteils vermieden werden konnte, mitten im Pariser Straßenverkehr zu drehen. Christian Carion bleibt dennoch nicht konsequent im Taxi, sondern variiert sein Thema: Charles und Madeleine verlassen gelegentlich den Wagen, das sorgt für Abwechslung, weitet den Blick und eröffnet neue Räume. Zudem arbeitet Carion viel mit Rückblenden, in denen sich nach und Madeleines Lebensgeschichte eröffnet – und die hat es in sich: Madeleine hat viel erlebt, es war offenbar wenig Schönes dabei. Ihre Ehe mit einem übergriffigen Mann gehörte dazu – damals in den 50er Jahren kein Grund, sich scheiden zu lassen.
Die seltenen glücklichen Momente zeigt Carion so, wie sie möglicherweise in der Erinnerung weiterleben – als Detailaufnahmen in Unschärfe, als leicht verlangsamte Traumbilder. Im Gegensatz dazu stehen die Szenen, in denen Madeleine mit der harschen Realität konfrontiert wird. Carion wählt hierfür kantige, harte Bilder, die an Thriller erinnern. Die junge Madeleine in den Rückblenden spielt Alice Isaaz mit zunächst leicht naivem Charme, der sich immer mehr in unterschwellige Wut verwandelt. Ihre Entwicklung zur heutigen Madeleine wirkt zwar einigermaßen glaubwürdig, ist aber doch ein wenig märchenhaft. Bei alldem spielt es praktisch kaum eine Rolle, dass der Ausgang des Films eigentlich von Anfang an klar ist. Im Gegenteil: Das Wissen um das Ende macht ihn beinahe noch ein Stück sympathischer.
Die Moral der Geschichte ist eigentlich ganz einfach: Wer so alt geworden ist wie Madeleine, hat viel zu erzählen und viel zu geben. Und wer bereit ist zuzuhören, wird womöglich reich dafür belohnt…
Fazit: Eine Taxifahrt durch Paris als Rückblick auf ein ganzes Leben. Das funktioniert erstaunlich gut dank der beiden großartigen Darsteller Line Renaud und Dany Boon, die perfekt aufeinander eingespielt sind. Sie sorgen für eine beinahe heitere Stimmung in einem Film, in dem es um ein bewegendes Frauenschicksal geht.