Die Geschichte ist an sich schnell erzählt. Ein kleiner Junge muss den Tod seines Vaters mit ansehen. In einem blutigen Gemetzel wird er gefällt. Das Bild des Täters brennt sich in die Gehirnzellen des Jungen ein. Als Erwachsener kommt er zurück an den Ort des Geschehens, um den Tod des Vaters zu sühnen. Wir haben hier also eine altbekannte Storyline, wie sie immer wieder gerne in Filmen erzählt wird.
Die Handlung spielt im schmutzigen New York der 1860er Jahre. Die USA stecken in ihren schwierigen und gewalttätigen Gründerjahren. Es herrscht Bürgerkrieg und blankes Chaos. Hier reitet nicht John Wayne stolz durch den Wilden Westen, hier behütet kein Ben Cartwright auf der Ponderosa seine Jungs, hier gibt es keinen romantisierenden US-Pioniergeist. Hier gibt es nur unvorstellbaren Dreck, bittere Armut, rohe Gewalt, Korruption an allen Ecken und Enden, Mord und Totschlag und das Gesetz des Stärkeren, das immer und überall brutal angewendet wird. Abgründe der menschlichen Natur in Reinkultur.
William Cutting, The Butcher, herrscht mit brutalster Gewalt über Five Points, New Yorks Armenviertel der 1860er Jahre. Daniel Day-Lewis spielt diesen Bösewicht mit einer faszinierenden Intensität, die mir wohl lange in Erinnerung bleiben wird. Atemberaubend und zutiefst verstörend. Selbst Superstar Leonardo DiCaprio, der seinen jungen Gegenspieler Amsterdam Vallon verkörpert und wie immer großartig aufspielt, verblasst ein wenig neben Day-Lewis. Cameron Diaz als Jenny, eine meisterhafte Taschendiebein, die emotional zwischen den beiden Protagonisten steht, bleibt merkwürdig unsichtbar. Zu stark das überaus spannende schauspielerische Duell zwischen Day-Lewis und DiCaprio.
Die eigentliche Hauptrolle spielt aber die famose Filmkulisse. Martin Scorsese erweckt das damalige New Yorker Armenviertel Five Points mit einer Detailversessenheit zum Leben, dass einem die Spucke wegbleibt. Jede Szene ist perfekt illustriert und zieht den Zuschauer wie ein Sog in diese finstere New Yorker Vergangenheit und das tragische und bluttriefende Geschehen hinein. Absolut großartig. Letztlich entpuppt sich die recht simple Rachegeschichte nur als ein roter Faden, um den Zuschauer in ein New York zu entführen, das man bis dahin gar nicht kannte und sich so gar nicht vorstellen konnte.
Ein grandioser Film über eine eher unrühmliche Epoche der amerikanischen Gründerzeit. Auch die stolzen USA sind nicht nur auf Anstand und Moral aufgebaut, sondern auf Blut, Schweiß und Tränen.
Perfekt besetzt, hochgradig spannend, in grandioser Kulisse, erschafft Scorsese mit Gangs of New York ein ganz starkes Stück Kino, das man meiner Meinung nach nicht verpassen sollte. Wahrscheinlich erfasst man erst beim zweiten Hinsehen die auf ihre ganz eigene Art einzigartige, opulente Ausstattung dieses harten Blockbusters. Ich bin froh, dass ich den Streifen endlich gesehen habe und hoffe irgendwann noch ein weiteres Mal die Zeit zu finden, damit ich wirklich alle Details erfassen kann. Das kann beim ersten Mal nicht vollumfänglich klappen. Unmöglich. Zu viele Eindrücke. Ein Bilderrausch. Es gibt halt immer mal wieder Dinge, die möchte man gerne noch mal erleben. Gangs of New York gehört zweifelsohne dazu.