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    Der Schatten von Caravaggio
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    FILMGENUSS
    FILMGENUSS

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    3,5
    Veröffentlicht am 16. November 2023
    HUREN UND HEILIGE

    Kunstgeschichte im Kino zu genießen kann zur immersiven Erfahrung werden. Was Filmemacher dabei gerne versuchen, ist, den Stil des zu beschreibenden Virtuosen in die Optik ihres Werkes einzubringen. Meister dieser Vorgehensweise ist zweifelsohne Peter Greenaway – Szenen seines exzentrischen Kunstfilms A Zed and Two Noughts muten an, als hätte Jan Vermeer höchstpersönlich seine Sicht auf die Welt auf die Leinwand gepinselt. Indirektes Licht aus unsichtbaren Fenstern oder nicht näher definierten Lichtquellen beleuchten historisches Interieur und im niederländischen Barock zu verortende Personen, stehend auf Schwarzweiß gemusterten Schachbrettböden. Für so viel Akkuratesse braucht es einen fast schon obsessiven Willen zur manieristischen Nachahmung. Des Weiteren beeindruckt sein Rembrandt-Krimi Nightwatching mit Set-Tableaus, die so manches Werk des Avantgardisten eins zu eins nachstellen.

    Ein ähnliches Gemälde-Lookalike wagt Michele Placido, vorrangig bekannt als Hauptdarsteller der 80er-Fernsehserie Allein gegen die Mafia, in seiner teils wüsten und hemdsärmeligen Genius-Biographie Der Schatten von Caravaggio. Der Entstehung des Gemäldes Tod Mariä, welches als Teil der ständigen Sammlung im Pariser Louvre zu bewundern ist, schenkt Placido enorm viel Aufmerksamkeit – im Grunde beherrscht diese Erarbeitung des Meisterwerks den ganzen Film, denn die in rotem Leinen gehüllte Tote mag zwar titelgebend die Mutter Jesu Christi sein, als Modell gestanden soll dem Meister eine längst bekannte Prostituierte sein, die irgendwann später den Weg in den Tiber wählt und deren Leichnam von Caravaggio und seiner Entourage geborgen werden wird.

    Diesen Versuch, oder besser gesagt, dieses aus der Sicht der Kirche zweifelsohne ketzerische Wagnis, die Ärmsten der Armen und sozial Ausgestoßenen in den Rang von Heiligen zu erheben, ihnen also einer Apotheose auszusetzen, die jedwede Hierarchie zusammenbrechen lässt, gleicht einer gesellschaftspolitischen Revolution. Caravaggio, eigentlich Michelangelo Merisi, ist als bärbeißiger Berserker seiner Zeit weit voraus. Das lässt sich allein schon am Stil seiner Bilder erkennen, die den viel späteren Expressionismus vorwegnehmen, die, so wie Rembrandt, einem kanonischen Ideal entsagen und Gesichter von der Straße, vom Bettler über den Säufer bis zum leichten Mädchen, für die Ewigkeit auf die Leinwand brachten. So wie Merisis Leben von Gewalt, Konflikten und letztlich des eigenen unnatürlichen Todes geprägt war, so spiegeln sich diese Umtriebe in seinen Bildern wider. Dort fließt das Blut, dort stürzt Saulus vom Pferd, dort kreischt das Haupt der Medusa ihren letzten Unmut ob ihrer Niederlage in die Gesichter der Betrachtenden. Caravaggio ist düster und ungefällig – die Kirche hat sein Kreuz mit ihm zu tragen. Und nicht nur die: Des Mordes beschuldigt, muss der Maler in Neapel im Hause Colonna Asyl suchen.

    In gemäldehafter Optik erkämpft sich Riccardo Scamarcio (zuletzt gesehen in Kenneth Branaghs A Haunting in Venice) seine durch die kirchliche Obrigkeit andauernd bedrängte Freiheit – eitler Gegenpol ist Louis Garrel als Inquisitor des Papstes, der dem Künstler wie ein Schatten folgt, um diesen der Kirche auszuliefern. Bestehend aus diversen Rückblenden, die Caravaggios Werdegang beschreiben und seine Motivation für seine Arbeit erklären, legt Michele Placido letztlich ein unzimperliches Puzzle zusammen, das in betörend-schwülstiger Optik vor brutalen Spitzen und angedeuteten Orgien nicht Halt macht. Mitunter ist seine Aufarbeitung der Geschehnisse durch den scheinbar recht willkürlichen Wechsel zwischen den Zeitebenen sowie all der Schauplätze eine recht zerfahrene Angelegenheit. Wie ein Skizzenblatt im Wind geistert sein biographischer Thriller umher, schwer einzufangen, aber doch wert, ihm nachzujagen. Diese impulsive Fahrigkeit sorgt im späten Mittelteil für Ermüdung. Kann sein, dass der Film so einige Längen hat, die nochmal und nochmal Caravaggios Mentalität thematisieren wollen – dazwischen so einige kunstgeschichtliche Aha-Erlebnisse, die Kenner seines Oeuvres zum erhellten Flüsterer im dunklen Kinosaal werden lassen.

    Eine exorbitant gelungenes Künstlerepos ist Der Schatten von Caravaggio nicht geworden, dafür aber macht dieser Blick auf die schmutzig-düstere Seite des Frühbarock Lust, so bald wie möglich wieder ins Museum zu gehen. An seinen Bildern haftet von nun an und zumindest für eine Zeit lang ordentlich Background, bevor die gefüllten Lücken in Sachen Themenbildung wieder aufgehen.
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    Kinobengel
    Kinobengel

    463 Follower 550 Kritiken User folgen

    3,5
    Veröffentlicht am 19. Oktober 2023
    hell-dunkel


    Der Maler Caravaggio (Riccardo Scamarcio) flüchtet vor der Hinrichtung. Auf sein Begnadigungsersuchen soll ein Ermittler der katholischen Kirche (Louis Garrel) Beweise für und gegen ihn sammeln.

    Ein pompös ausgestatteter Kostümfilm erwartet das Publikum. Zudem begeistert der erfahrene Kameramann Michele D’Attanasio („Freaks Out“, 2021 von Gabriele Mainetti) durch viele Bilder, die meist düster und auch mal eklig blutig gehalten sind, wie die Werke des großen Meisters Caravaggio, der eigentlich Michelangelo Merisi hieß.

    Regisseur Michele Placido lässt die Erzählzeit von rund zehn Jahren am Anfang des 17. Jahrhunderts nicht chronologisch über die Leinwand ziehen: Beginnend mit Rückblenden kommt es später zu mehreren Zeitsprüngen, deren Sinn nicht immer nachvollziehbar ist. Dennoch wird die Geschichte gut verdaulich transportiert. Zwei Stunden Kinounterhaltung strotzen voller Situationen ohne Längen. Es ist geradezu erstaunlich, wie viel Inhalt präsentiert wird. Letztendlich hat Placido das Ansinnen des Künstlers so verständlich herausgearbeitet wie die Abscheu der katholischen Kirche, welche trotz des anerkannt enormen Talents Caravaggios dessen Methoden nicht tolerieren möchte.

    Riccardo Scamarcio ist eine top Besetzung, nicht nur wegen der äußerlichen Vergleichbarkeit zu Caravaggio, die zum Teil in das Aufgabengebiet des Makeup Departments fällt. Seine Körpersprache zeigt eine auffallend wuchtig inszenierte Präsenz gepaart an Leidenschaft. Die ebenso bestechende Ausstrahlung versprühen Isabelle Huppert als gönnerhafte Marchesa Constanza Colonna sowie Micaela Ramazzotti als Prostituierte Lena.

    Der brillante Maler, dessen Gemälde heute Rekordeinnahmen auf dem Markt erzielen, durfte nur 38 Jahre alt werden. Die künstlerische Freiheit ermöglicht dem Filmemacher, das Geheimnis um die noch nicht eindeutig geklärte Todesursache zu lüften.

    Placidos Film zeigt den letzten Lebensabschnitt Caravaggios als stimmige Vorstellung aus Ideologie und Fiktion.
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