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    Luca
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Luca

    Pixar liefert Ersatz für den ausfallenden Sommerurlaub!

    Von Janick Nolting

    Mitunter hinterlassen Kurzfilme aus dem Hause Pixar in wenigen Minuten einen mindestens ebenso bleibenden Eindruck wie die abendfüllenden Filme des „Toy Story“-Studios. Gerade weil aus ihnen häufig etwas ungeheuer Spielerisches spricht, ein konzentriertes Austesten vermeintlich kleiner Ideen, mit denen sich dennoch Großes erzählen lässt. Der 2012 für den Oscar nominierte Kurzfilm „La Luna“ von Regisseur Enrico Casarosa, der auf überraschende und visuell eindrucksvolle Weise vom kindlichen Eifer, gegen die festgefahrenen Regeln der Erwachsenen zu rebellieren, erzählt, ist ein perfektes Beispiel dafür.

    In seinem Langfilmdebüt „Luca“ greift der gebürtige Italiener sein zentrales Thema aus „La Luna“ nun Jahre später leicht variiert und ähnlich überzeugend wieder auf. Das Resultat handelt von gesellschaftlichen Gräben und freundschaftliche Zusammenhalt – und entpuppt sich dabei als sonnig-lockerer Sommerfilm im besten Sinne!

    "Luca" liefert volle Kanne Sommerferien-Feeling pur...

    Luca (im Original gesprochen von Jacob Tremblay) ist ein Meereswesen, das ein gut behütetes Leben unter Wasser führt. Nur nach oben soll er ja nicht schwimmen, denn dort machen die bösen Menschen Jagd auf die Meeresbewohner. Als er jedoch Alberto (Jack Dylan Grazer) kennenlernt, kommt alles anders.

    Alberto stammt ebenfalls aus dem Meer, lebt aber schon länger an Land, wo er unerkannt in Menschengestalt unter den Bewohner einer kleinen italienischen Küstenstadt wandelt. Luca begleitet ihn trotz der elterlichen Warnungen in den naheliegenden Ort, was schnell zum Spießrutenlauf ausartet: Sobald die Jungen mit Wasser in Berührung kommen, wird ihre wahre Gestalt nämlich für alle wieder sichtbar…

    (Gewohnt) Eindrucksvoll animiert

    Enrico Casarosa setzt das fiktive Örtchen Portorosso an der Italienischen Riviera als malerisches Postkartenmotiv in Szene. Alles ein wenig rustikal in seinem Sechzigerjahre-Flair, aber letztendlich doch ein Ort der Geselligkeit, des „einfachen“ Lebens, wo man entspannt in den Tag hineinlebt und leckere Pasta-Gerichte zubereitet. Casarosa hat dabei angeblich allerhand eigene Kindheitserfahrungen und Beobachtungen hineingesteckt. Nichts Böses vermutet man hier, oder doch?

    Auf den ersten Blick schwelgt „Luca“ vor allem in jeder Menge Sommerurlaubsatmosphäre, die man dem Publikum inmitten der Corona-Pandemie für 90 Minuten auf die Leinwand (bzw. nach der Verschiebung auf Disney+ nun auf den Fernsehschirm) herbeizaubern will. Optisch ist das natürlich, wie man es von Pixar nicht anders kennt, von allererster Güte. „Luca“ ist zwar in seiner visuellen Gestaltung bei weitem nicht so originell wie zuletzt etwa „Soul“, ist aber dennoch wieder mit erstaunlicher Plastizität und Detailverliebtheit bebildert. Rein handwerklich kann Pixar also weiterhin kein anderes Studio das Wasser reichen.

    Luca und Alberto sind stolz auf ihre selbstgebastelte Vespa.

    Interessant wird es dann, wenn das Drehbuch von Jesse Andrews („Ich und Earl und das Mädchen“) und Mike Jones („Soul“) die Brüche in diesem sonnendurchfluteten Paradies durchscheinen lässt. Wenn die erste Bewunderung nach Lucas Grenzübertritt in die Menschenwelt überstanden ist, trifft dieser schnell auf eine von erbitterter Konkurrenz geprägte Gesellschaft. „Luca“ zieht das natürlich kinderfreundlich auf und richtet sich offensichtlich wieder an eine jüngere Zielgruppe als zuletzt noch „Soul“ und „Onward: Keine halben Sachen“. Größere systemische Fragen werden ohnehin nur sehr vereinfacht thematisiert.

    „Luca“ erzählt von den gesellschaftlichen Spannungen anhand eines großen Fahrradwettrennens, das später das Zentrum der Handlung bildet. Da wird eine Vespa zum ultimativen Objekt der Begierde, die am Ende als Preisgeld winkt und endlich Freiheit von tradierten Strukturen verspricht. Casarosa bebildert das mit einer amüsanten Wunschvorstellung: Luca und Alberto auf dem klapperigen Motorroller, die auf einer Welle aus Geld ins Ungewisse fahren. Dabei liegt dem Film weniger daran, ökonomische Ungleichheiten zu thematisieren, als vielmehr an den konservativen zwischenmenschlichen Strukturen zu rütteln, die solche Ausbruchsfantasien hervorbringen.

    Spuren von "Call Me By Your Name"

    Als der erste Teaser zu „Luca“ erschien, dauerte es nicht lang, bis in den sozialen Netzwerken von Pixars Antwort auf „Call Me By Your Name“ fantasiert wurde. Zwei junge Männer, die sich gernhaben, dazu das Setting Italien – das reichte offenbar aus, um zu diesem Urteil zu gelangen. Zugegeben, ganz verkehrt ist der Vergleich zwar nicht, dennoch sollte man beide Film nicht direkt in einem Atemzug nennen. Allein deshalb, weil „Luca“ viel didaktischer und simpler gestrickt daherkommt als Luca Guadagninos vielschichtiges Meisterwerk. Die Lesart als queere Erzählung drängt sich hingegen tatsächlich auf. Über der Handlung schwebt permanent das Motiv der Identitätsfindung und eines Coming Outs, das später im Plot tatsächlich auch noch eine prominentere Rolle einnehmen wird.

    „Luca“ zeigt das als Versteckspiel vor dem entzaubernden Wasserkontakt, immer in der Angst, sich offenbaren zu müssen und vom Gegenüber nicht akzeptiert zu werden. Der Animationsfilm handelt dabei jedoch nicht etwa – so viel kann vorweggenommen werden – von einer sich anbahnenden jungen Liebe zwischen den Freunden Luca und Alberto. Das dementierte auch Regisseur Casarosa. Generell wäre eine Deutung rein vor dem Hintergrund sexueller Identität zu eng gedacht. „Luca“ erzählt vielmehr von der Begegnung mit „dem Anderen“ im Allgemeinen – und ihm gelingt es insgesamt fabelhaft, diese Thematik für ein junges Publikum mit der nötigen Sensibilität und Klarheit aufzubereiten.

    Familientaugliche Gesellschaftskritik

    Natürlich existiert das aufgesetzte Idyll von Portorosso als solches, weil eine Mehrheit der Menschen jenes „Andere“ in Form der „Meeresungeheuer“ stigmatisiert und ausgrenzt, obwohl es unbemerkt bereits ganz „normal“ unter ihnen lebt. Das gejagte Monster, das als steinernes Mahnmal der Dominanzkultur im Hafen steht, gibt den Menschen trügerische Sicherheit. Dieses Mahnmal abzureißen, die Vorurteile und sozialen Gräben zu überwinden, davon handelt „Luca“. Gemeinsam haben er und „Call Me By Your Name“ dabei am ehesten das anrührend Utopische, auch wenn bereits ein Wissen um die drohenden Sorgen besteht, wenn der Sommer irgendwann einmal wieder vorbei ist.

    Das sind inzwischen schnell durchschaute und wenig innovative Erkenntnisse. Zudem spult der Film auf der Handlungsebene bis zu diesem Kern ein recht generisches Programm altbekannter Zutaten ab: Freundschaften auf dem Prüfstand, ein Bösewicht, dem das Handwerk gelegt werden muss, Slapstick-Einlagen, eine griesgrämige Katze als Running Gag. Man kann jedoch nicht behaupten, er wisse nicht, welche Hebel er in Bewegung setzen muss, um sich selbst Nachhall zu verleihen. Die bittersüßen letzten Minuten von „Luca“ haben es in sich – Pixar weiß eben, wie man leicht das Publikum zu Tränen rühren kann.

    Fazit: Der 24. Pixar-Film glänzt nicht gerade durch Einfallsreichtum oder mit Überraschungen, macht trotz weitgehend vertrauter Pfade allerdings auch wenig falsch. Enrico Casarosas Familien-Sommerfilm „Luca“ ist hübsch bebildert, feinfühlig inszeniert und die Toleranz-Botschaft sitzt!

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