Von der Realität überholt
Von Björn BecherAls Oscargewinner Adam McKay im Herbst 2019 seine stargespickte Satire „Don't Look Up“ ankündigte, war von dem nur wenige Monate später über die Welt hineinbrechenden Coronavirus noch nichts zu erahnen. Jetzt ist der zwischenzeitig vom Kino-Verleih Paramount zum Streaming-Service Netflix weitergewanderte Film fertig – und es lässt sich nur erahnen, wie „Don’t Look Up“ wirken würde, wenn es die vergangenen zwei Pandemie-Jahre nicht gegeben hätte. Denn wenn die Hauptfiguren immer verzweifelter ihre gesicherten Fakten über einen nahenden Meteoriten darlegen, während ihnen gesagt wird, dass man doch bitte erst mal Gegenmeinungen hören und darüber debattieren müsse, dann ist das eben zu großen Teilen überhaupt keine satirische Überzeichnung mehr, sondern schlicht und einfach unser aktueller Alltag.
Dass McKays neuestes Werk nicht in derselben Satire-Liga spielt wie die Vorgänger „The Big Short“ und „Vice – Der zweite Mann“, hat aber auch noch andere Gründe. Die mit fast zweieinhalb Stunden unnötig lange Komödie ist am Ende nämlich einfach viel zu brav. Obwohl viele Figuren als pure Karikaturen angelegt sind, überzeichnet sie McKay trotzdem nicht stark genug – und im selben Moment ist auch seine Inszenierung dieses Mal deutlich zurückgenommener. Der Regisseur verzichtet weitestgehend auf Meta-Spielereien und vertraut stattdessen sehr auf die Arbeit von Kameramann Linus Sandgren („James Bond: Keine Zeit zu sterben“). Der liefert nämlich einige eindrucksvolle Bilder, die gemeinsam mit den starken Leistungen des namhaften Casts dafür sorgen, dass „Don't Look Up“ entgegen seiner Anlage teilweise besser als emotionales Weltuntergangsdrama denn als bissige Satire funktioniert.
Im Weißen Haus stößt die Wissenschaft mit Fakten auf taube Ohren.
Als die Doktorandin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) einen riesigen Komet entdeckt, ist die Freude bei ihr und ihrem Astronomie-Professor Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) zunächst groß. Doch das ändert sich, als sie den weiteren Kurs des Himmelskörpers berechnen. In sechs Monaten und 14 Tagen wird das Ding auf der Erde einschlagen und aufgrund seiner Größe die gesamte Menschheit ausrotten. Ihre Nachricht an die NASA lässt dort die Alarmglocken erklingen. In einer Hauruckaktion wird das Duo nach Washington ins Weiße Haus geflogen, wo dann erst mal ….
… nichts passiert! Nach einem ganzen Tag Herumsitzen im Gang macht Präsidentin Orlean (Meryl Streep) ihnen klar, dass man erst mal abwarten wolle. Sie hat schließlich gerade ganz andere Probleme mit ihrem Kandidaten für den Obersten Gerichtshof. Trotz Geheimhaltungspflicht versuchen Kate und Dr. Mindy deshalb über die Presse, die Menschheit zu alarmieren. Doch weder im TV noch im Online-Journalismus interessieren Fakten, die aus mathematischen Berechnungen resultieren. Zu unsexy, zu schwer zu verstehen. Und kann man das nicht ohnehin auch anders sehen? Hoffnung keimt erst auf, als die Präsidentin einen drohenden Weltuntergang plötzlich doch ganz gut gebrauchen kann, um von gewissen Skandalen abzulenken...
In „The Big Short“ nutzt Adam McKay die sich in einem Schaumbad räkelnde Margot Robbie als Aufmerksamkeitshäscherin, um dann die Theorie hinter komplexen Finanztricksereien zu vermitteln. In „Vice – Der zweite Mann“ beginnt der Abspann bereits nach der Hälfte des Films zu rollen, um das Beinahe-Karriereende von Dick Cheney zu symbolisieren. Und in den ersten Minuten von „Don’t Look up“ sieht es so aus, als ob McKay genau das weitermacht: Im vogelwilden Prolog transportiert er die ganze Hektik nach der Entdeckung des Meteoriten mit ruheloser Kamera, schnellen Schnitten und plötzlichen Zeitsprüngen, bis die übernervösen Kate und Dr. Mindy plötzlich in den Fluren des Weißen Hauses gnadenlos ausgebremst werden.
Es gibt auch wieder eine Meta-Spielerei: Wenn Dr. Mindy sich an das Planetary Defense Coordination Office wendet, stoppt der Film kurz, um uns mittels Einblendungen zu verraten, was Kenner von Werner Herzogs Dokumentation „Fireball: Besuch aus fernen Welten“ bereits wissen: Die absurd klingende NASA-Abteilung zur Verteidigung unseres Planeten vor Bedrohungen aus dem All gibt es wirklich – und sie hat ein eher lächerlich anmutendes Logo. Es bleibt allerdings das einzige Mal, dass sich McKay eines solchen Mittels bedient. Wenn im Anschluss an den Prolog nacheinander die Namen von 18 (!) mitwirkenden Stars in großen bunten Lettern erscheinen, ist das zugleich auch ein Bruch, der einen deutlich weniger verspielten Film einleitet.
Selbst Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence scheinen nicht glauben zu können, mit wie vielen Stars sie vor der Kamera stehen.
Stattdessen folgt auf die anfängliche Hektik eine herrlich absurde Sequenz, die mit vielen starren Einstellungen das endlose Warten vor dem Oval Office einfängt. Dabei wird auch gleich der beste Running Gag des Films eingeführt, wenn ein hochdekorierter General (Paul Guilfoyle) den Wartenden mehrere Dollar für die im Weißen Haus „leider so überteuerten“ Snacks abknöpft. Aber mit der Präsentation des Weltuntergangsszenarios bei der Präsidentin verflacht „Don't Look Up“ direkt etwas, weil McKay sich fortan in allzu ausrechenbaren Bahnen bewegt: Bis hin zur vorhersehbaren Abspannszene passiert wirklich immer ungefähr das, was man eh erwarten würde. Es sind stattdessen vor allem einzelne Momente, die herausstechen – wie ein kitschig-dämliches Duett von zwei Popstars (Ariana Grande, Kid Cudi), die sich plötzlich als liberales Gewissen zu positionieren versuchen.
Meryl Streep als Präsidentin und Jonah Hill als ihr Sohn und Stabschef verkörpern zwar Karikaturen, sind aber im selben Moment doch zu nah an realen Vorbildern wie Donald Trump und dessen Schwiegersohn Jared Kushner – bis hin zu deren Problemen mit einem ungeeigneten Kandidaten für den Obersten Gerichtshof. Selbst die Übertreibung, einen juristisch ungebildeten Cowboy mit Vergangenheit als Erotikdarsteller an den Supreme Court bringen zu wollen, wirkt gar nicht mal so abgedreht, weil die Realität in dieser Hinsicht nur minimal weniger verquer war – und genau das ist bei vielen Momenten des Films so: Wenn die Präsidentin gemeinsam mit konservativen Meinungsmachern den Filmtitel „Don't Look Up“ als Slogan pusht, um das drohende Unheil nach dem Motto „Was wir nicht sehen, gibt es nicht“ zu ignorieren, wirkt das angesichts der Leugnung der weltweiten Klimakatastrophe oder der Coronakrise ebenfalls nicht sonderlich fernliegend.
So absurd jede neuerliche Volte auf den ersten Blick auch scheint, man muss meist nur wenige Sekunden darüber nachdenken, um zu dem Schluss zu kommen: „Oh scheiße, das könnte wirklich so passieren!“ Am besten ist „Don't Look Up“ daher meist dann, wenn McKay eher beiläufig kleine Erzählungen rund um die beiden Hauptfiguren aufmacht. Da wird natürlich der männliche Professor zum Medien-Star, der seine Ehefrau (Melanie Lynskey) und Kinder im kalten Michigan vergisst und sich stattdessen lieber auf eine Affäre mit der TV-Moderatorin Brie Evantee (Cate Blanchett mit grotesk-strahlenden Zähnen) einlässt, während seine Doktorandin direkt als hysterische Frau abgestempelt wird, weshalb sie fortan als Kassiererin schuften muss.
Hier profitiert die Satire auch vom starken Ensemble um Leonardo DiCaprio als dauer-verschwitzten, hyper-nervösen Professor und vor allem Jennifer Lawrence, die in der „Fuck You All“-Attitüde ihrer Figur voll aufgeht. Dabei schadet es gar nicht, dass die Spielweisen des großen Casts voller Star-Cameos sehr unterschiedlich sind – einige ganz geerdet, andere völlig drüber. Dass etwa ein erst beim zweiten oder dritten Blick zu erkennender Mark Rylance („Bridge Of Spies“) als extrem sanftmütig auftretender, aber im selben Moment umso rücksichtsloser agierender Tech-Milliardär völlig in seiner eigenen Welt schwebt, erweist sich sogar als Stärke.
Ein Tech-Milliardär soll es richten - doch kann man einem Mann trauen, der so grinst?
Auch dank überzeugender Schauspielleistungen eröffnet sich so nach und nach eine zweite Ebene: Wie geht man als vernünftiger Mensch mit dem nahenden Weltuntergang um? Wie verbringt man seine letzten Tage und Stunden? Die schon vorher exzellente Kameraarbeit von Linus Sandgren unterstützt diese unerwartet emotionale Erzählung. Während inszenatorische Spielereien wie immer wieder übers Bild gelegte Social-Media-Nachrichten beliebig wirken, sind es nicht nur die elegisch-poetischen Aufnahmen von strahlenden Sternen und kopulierenden Tieren, sondern vor allem die nacheinander in den Fokus gerückten Gesichter von glücklichen Familienmitgliedern, die ihren ganz eigenen Sog entfalten, wie man ihn in einer Satire eigentlich nicht erwartet hätte.
Fazit: In „Don't Look Up“ gibt es immer wieder einzelne ausgesprochen witzige Ideen, doch insgesamt ist die Satire deutlich berechenbarer und zahmer als noch „Vice“ und „The Big Short“. Das können der tolle Cast, die eindrucksvollen Bilder und einige überraschend berührend Momente nur zu einem gewissen Grad ausgleichen.