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    Schwarze Milch
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    Filmdoktor
    Filmdoktor

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    4,0
    Veröffentlicht am 14. Mai 2021
    "Du gehörst zu mir"

    ... ist ein Satz, der in mehreren Variationen im Film eine Rolle spielt und so etwas wie ein Leitmotiv darstellt. Am Anfang spricht es in Deutschland der deutsche Franz zur mongolischen Wessi und drückt damit seine Besitzansprüche aus: Wessi ist seine Freundin und hat bei ihm zu bleiben. Die nächste Szene zeigt Wessi in einem Hotel in Ulan Bator und schon bald bricht sie in die mongolische Steppe auf, wo ihre Schwester Ossi ein traditionelles Leben mit Ehemann, Ziegenzucht und einer Jurte als Wohnung führt. Trotz manchem Zwist könnten auch die Schwester zueinander sagen "Du gehörst zu mir". Bereits an ihren (symbolischen) Namen ist die Entfremdung der Jahre der Trennung zu erkennen, zugleich gibt es gemeinsame Erinnerungen und eine Verständigung, die typisch für Geschwister ist. Wessi provoziert und nimmt für sich Rechte selbstverständlich in Anspruch, die in der patriarchalen mongolischen Gesellschaft einer Frau nicht zugestanden werden. Sie gerät in Streit mit ihrem Vater und muss sie sich der gewaltsamen Aktion eines Fremden erwehren, der ebenfalls den Anspruch erhebt, dass eine alleinstehende schöne Frau "ihm gehört". Die Annäherung an einen anderen Mann in der Nachbarschaft, der als Außenseiter gilt, verspricht für Wessi einen neuen Anfang.

    Die deutsch-mongolische Regisseurin Uisenma Borchu erzählt von Charakteren, die zum einen Gegensätze symbolisieren (westliche Moderne und östliche Tradition, Stadt und Land, Emanzipation und überliefertes Rollenbild), zum anderen in der Mischung aus Zusammengehörigkeit und Streitigkeiten Entwicklungsprozesse in Gang setzen. Dies alles wird durch die traditionelle Lebensweise zeichenhaft unterstrichen: der Gegensatz der abgeschlossenen, fensterlosen Jurten und die Weite der Steppe, das enge Zusammenleben mit den Tieren und das Essen von tierischen Produkten. Die titelgebende Milch wird zweckentfremdet (daher dann "schwarz"), wenn Ossi einen Rat ihrer Schwester befolgt und sich auf ungewöhnliche Weise pflegt.

    "Schwarze Milch" ist nur vordergründig eine Culture-Clash-Geschichte zweier Schwestern, welche die gesellschaftlich-kulturellen Unterschiede bereits im Namen tragen. Im Kern kreist die Erzählung um Emanzipation, Provokation und (weiblichem) Aufbruch. Aufgrund der Originalsprachen (mit Untertiteln) und dem zuweilen magisch-realistischen Erzählweise in der ohnehin schon fremden Kultur verlangt der Film aber einiges an Aufgeschlossenheit vom Betrachter, klingt dann aber länger nach.
    FILMGENUSS
    FILMGENUSS

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    4,0
    Veröffentlicht am 16. Juli 2020
    SO WEIT UNSERE FREIHEIT REICHT
    von Michael Grünwald / filmgenuss.com

    Man muss genau hinsehen, um in Zeiten wie diesen den richtigen Film im richtigen Kino zu finden. Derzeit haben die großen Ketten alle geschlossen – sie warten auf grünes Licht aus den USA. Wenige kleinere Kinos haben geöffnet – und die können jetzt den größten Nutzen daraus ziehen. Indem sie Filme zeigen, die sonst vielleicht nur Nischen bedienen und untergehen würden angesichts großer Konkurrenz. Es ist gut, genau hinzusehen, denn dann fallen Filme ins Auge so wie dieser hier – Schwarze Milch. Ein mongolisch-deutscher Streifen, diesjährig bei der Berlinale erstmals aufgeführt. Und ein Werk, das man eigentlich nicht verpassen sollte.

    Dabei ist die Geschichte von Wessi, die nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland zu ihrer Schwester in die Wüste Gobi zurückkehrt, recht überschaubar, in ihren Grundzügen geradezu simpel. Was Uisenma Borchu, die sich die Rolle der einen Schwester selbst an den Leib geschrieben hat, aus dieser Erzählung einer familiären Begegnung gemacht hat, wird zu einem intensiven, in seiner archaischen Kraft sich stetig steigernden Wunder eines Lebenswandels. Dabei findet Borchu eine unmittelbare, distanzlose Bildsprache. Die Kamera nähert sich den beiden Frauen auf neugierige, vertrauliche, manchmal gar indiskrete Art. Sie offenbaren ihre Sehnsüchte, ihre Ängste, ihre Diskrepanzen zueinander. Dann wieder die unendlich scheinende Weite der Sanddünen, den Reiter in der Ferne. Das Fehlen von Schutz und Nähe, die Scham kulturell bedingter Blöße. Hier, in den Weiten der Mongolei, scheint alles beim Alten geblieben zu sein. Jurten stehen im Nirgendwo, die Bewohner der Steppe sind immer noch Nomaden, durchaus reich an allem was sie benötigen. Im Tross der Umherziehenden jede Menge Ziegen, Pferde. Gastfreundschaft für jeden und zahlreiche gute Omen. Ganz wichtig: das Patriarchat. Modern ist vielleicht das Motorrad zwischen den Teppichwänden der Zelte, das Klingeln des Mobiltelefons. Sonst aber pfeift der Wind, wird gemolken was die Zitze von Pferd und Ziege hergibt, wird geschlachtet, wenn Nahrung knapp wird. Wessi kann sich an all diese Riten des Tages kaum mehr erinnern. Zu fern ist ihr das alles. Fern ist ihr allerdings auch ihr Leben in Deutschland, nicht weniger dominiert von einem Machtmenschen, der vorgibt, was zu tun ist. Wessi sucht Selbstbestimmung, Hofft, diese in ihren Wurzeln zu finden. Eine neue oder wiedergefundene Identität. Mithilfe ihrer Schwester sollte das machbar sein. Doch die Welt der mongolischen Nomaden ist erstarrt im Willen der Männer. Egal ob diesen der träge Ehemann, der gewaltbereite Eindringling oder der zeremonienbewusste Stiefvater artikulieren. Als Frau ist man alleine zu schwach. Gemeinsam vielleicht aber stark genug.

    Schwarze Milch – nach Paul Celans Gedicht Todesfuge bringt sie den Tod. Allerdings ist die Bezeichnung natürlich auch ein Oxymoron, ein sich widersprüchlicher Begriff. Klar zuzuordnen lässt sich die Bedeutung nicht gerade, eventuell hat sie eine eigene lokal verortete Symbolik, die sich mir nicht erschließt. Doch das macht nichts, klar ist, das Schwarze Milch nichts sonderlich Gutes bedeutet. Dass es vielleicht einer Verweigerung als Mutterfigur, einer Auflehnung gleichkommt. Und irgendwann später passiert es tatsächlich, in diesem uralten Kosmos aus Gebräuchen und Aberglauben. Die beiden Frauen werden zu zweifelnden Ikonen, umstürzlerisch und leidensfähig, weil sie brechen, was nicht gebogen werden kann. Borchus Film ist so authentisch wie möglich, in ihm ruht eine originäre Kraft, die gleichsam wunderschön, gleichsam lehrreich, aber auch unerbittlich sein kann. Die in OmU übersetzte Sprache der Mongolen ist eine ganz eigene, fremdklingende Metaebene in Hörbildern. Dem Schlachten der Ziegen lässt sich kaum zusehen, es sind dokumentarische Szenen eines Alltags, die Borchu für ihren Film verwendet und die ihm dieses echte, spürbare Etwas geben. Anfangs mag man nicht so recht wissen, wohin Wessi sich treiben lässt. Was sie möchte, weshalb sie zurückkehrt. Fast lässt sich vermuten, die Filmemachern selbst hat sich in ihrer Arbeit ähnlich treiben lassen, hinein in ein wiederentdecktes Land. Was sich dabei herauskristallisiert, sind überraschend ähnliche Sehnsüchte, sowohl im Westen also auch im Osten. Allen voran die Sehnsucht nach Selbstbestimmung und Freiheit.

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