Die Wohlfühl-Seite des britischen Adels
Von Markus Tschiedert„Adel verpflichtet“, das wusste schon Alec Guinness, als er im gleichnamigen Komödien-Klassiker von 1949 gleich acht Rollen übernahm (selbst wenn es im Film dann vor allem darum geht, wie wenig edel sich der Adel mitunter verhält). Im Anschluss blieb die unglaubliche Faszination, die die britische Aristokratie speziell des frühen 20. Jahrhunderts sowie ihr Verhältnis zu ihren Bediensteten auch die folgenden 70 Jahre hindurch weiter ungebrochen: Davon zeugen Kinodramen wie „Was vom Tage übrig blieb“ (1993) und „Gosford Park“ (2001) ebenso wie die TV-Serien „Das Haus am Eaton Place“ (1971-1975) und natürlich „Downton Abbey“ (2010-2015). Tja, und nun befinden wir uns im 21. Jahrhundert, und da gilt mehr denn je die Regel: Nur weil Schluss ist, ist noch lange nicht Schluss…
Nach 48 Folgen in sechs Staffeln fand „Downton Abbey“ mit dem großen Finale im Jahr 2015 an sich ein für alle Charaktere befriedigendes Ende. Aber warum eine Kuh schlachten, die man noch melken kann? Und so entwickelte der Serien-Erfinder Julian Fellowes eben noch einen Ableger für die große Leinwand: 2019 spielte der „Downtown Abbey“-Kinofilm bei einem Mini-Budget von nur 13 Millionen Dollar weltweit fast 200 Millionen wieder ein. Bei so einem Hit ist eine Fortsetzung natürlich nur noch Formsache. Aber wer oder was soll da noch kommen, wenn mit King George V. zuletzt sogar schon der höchste britische Herrscher persönlich bei Familie Crawley vorbeigeschaut hat? Na klar - die König*innen aus den USA! Sprich Hollywoodstars, die in „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ nun einen Film auf dem titelgebenden Anwesen drehen wollen. Aber ist das wirklich der Anbruch einer neuen Ära?
Mary (Michelle Dockery) wird unverhofft zum Hollywoodstar (auch wenn sie im Film nur zu hören und nicht zu sehen ist).
Wir schreiben inzwischen das Jahr 1928 und erneut herrscht größte Aufregung auf dem Anwesen Downton Alley in der Grafschaft Yorkshire. Wieder hat sich hoher Besuch angekündigt. Der berühmte Hollywood-Regisseur Jack Barber (Hugh Dancy) will hier mit seinem Stummfilm-Star Myrna Dalgleish (Laura Haddock) seinen nächsten Film drehen. Da gerät sogar die Dienerschaft ins Schwärmen. Allerdings kommt es zu Komplikationen. Denn der Tonfilm hat sich angekündigt – und so müssen plötzlich alle Szenen nachsynchronisiert werden. Dabei stellt sich heraus, dass Myrna alles andere als eine betörende Stimme hat, und ausgerechnet Mary (Michelle Dockery), die Tochter des Hauses, scheint der perfekte Ersatz zu sein.
Derweil brauchen ihre Eltern Cora (Elizabeth McGovern) und Robert Crawley (Hugh Bonneville), der Earl of Grantham, dringend eine Luftveränderung. Wie gut, dass das Familienoberhaupt Lady Violet (Maggie Smith) gerade eine Villa an der Côte d’Azur vererbt bekommen hat. Zur Reisegesellschaft gehören auch Lady Edith (Laura Carmichael), Bertie (Harry Hadden-Paton) sowie Mrs. Hughes (Phyllis Logan) und Butler Carson (Jim Carter). Gemeinsam wollen sie nebenbei auch noch das Geheimnis um den unbekannten Mann und dessen Beziehung zu Lady Violet zu lüften…
Von Hugh Bonneville („Paddington“) über Michelle Dockery („The Gentlemen“) bis hin zur mittlerweile 88-jährigen Maggie Smith (immer noch bestens bekannt als Minerva McGonagall aus „Harry Potter“) sind ausnahmslose wieder all die Gesichter dabei, die einem in den vergangenen zwölf Jahren so vertraut geworden sind. Allein das dürfte beim Publikum ein wohliges Gefühl auslösen. Es gibt aber auch ein neues Gesicht – und zwar hinter der Kamera: Simon Curtis, ein routinierter Regisseur aus London, der schon mit „David Copperfield“ (1999) und „My Week With Marilyn“ (2011) ein Händchen für historische Stoffe bewiesen hat und darüber hinaus seit 30 Jahren mit „Downton Abbey“-Star Elizabeth McGovern („The Commuter“) verheiratet ist.
Eine gute Wahl, denn einerseits baut Curtis gekonnt den britischen Snobismus mit ein, andererseits hat er das richtige Gespür für den ebenso britischen schwarzen Humor. Die vielen kleinen Spitzen sorgen für Auflockerung und besonders Maggie Smith beweist hier einmal mehr, wie sich mit trockenen Sprüchen maximal punkten lässt. Diesmal wird die Grande Dame mit ihrem persönlichen Geheimnis sogar besonders stark in den Mittelpunkt gerückt und bekommt dazu noch einen tragischen Auftritt, der natürlich nicht verraten, aber den Fans gewiss ans Herz gehen wird.
In "Downton Abbey II" wird ein lange gehütetes Geheimnis rund um Lady Violet (Maggie Smith) gelüftet...
Ebenso gelungen ist auch wieder die Einbindung wahrer historischer Ereignisse in den fiktiven Kosmos von „Downton Abbey“. Wurden in der Serie etwa der Untergang der Titanic oder der Ausbruch des Ersten Weltkriegs thematisch eingebunden, nimmt man sich diesmal das Aufkommen des Tonfilms vor. Gewiss ein sehr viel angenehmeres Thema, das zu etlichen Seitenhieben einlädt, wenn sich die aufgeblasene Hollywoodprominenz aus Amerika mit dem blasierten britischen Adelsgeschlecht gleichzusetzen versucht. Gewiss hätten Regisseur Simon Curtis und Drehbuchautor Julian Fellowes da noch viel mehr herausholen können, aber das Aufeinanderprallen dieser beiden Welten ist auch so recht vergnüglich, zumal man sich klar erkennbar von dem Filmklassiker „Singin‘ In the Rain“ von 1952 inspirieren ließ, in dem es auch schon um den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm ging.
Der Handlungsstrang mit dem Ausflug nach Südfrankreich verblasst dagegen etwas und fühlt sich irgendwie bald auch nicht mehr wie „Downton Abbey“ an. Das ist einfach zu weit weg von dem, was Fans mit der Serie verbinden und wohl eher ein nicht sonderlich einträglicher Versuch, auch denjenigen Figuren etwas zu tun zu geben, die mit dem zentralen Handlungsstrang nicht direkt etwas zu tun haben. Aber wie dem auch sei: „Downton Abbey II: Eine neue Ära“ setzt noch stärker als sein Vorgänger und die Serie auf ein konsequentes Wohlgefühl beim Publikum – und da man ja nun gerade mal im Jahre 1928 angelangt ist, könnte es so wohl auch noch eine ganze Zeit weitergehen.
Fazit: Mit „Downton Abbey II - Eine neue Ära“ führt uns an die Anfänge der (Ton-)Filmgeschichte zurück, was tatsächlich ziemlich amüsant ist – zugleich in einem anderen Handlungsstrang aber auch an die Côte d’Azur, was eher befremdlich wirkt. Da geht das gediegene „Downton Abbey“-Feeling unter der brennenden südfranzösischen Sonne leider ein wenig verloren.