Das Geheimnis einer guten Tasse Tee – und noch so viel mehr
Von Michael MeynsNach vier in Frankreich und Westafrika realisierten Filmen hat es den aus Mauretanien stammenden Regisseur Abderrahmane Sissako für „Black Tea“ nach China verschlagen, in die Welt afrikanischer Migrant*innen und chinesischer Händler*innen. In traumwandlerischen Bildern erzählt er von einer Frau, die in der Fremde ihr berufliches, aber auch privates Glück sucht und findet – zumindest vielleicht. Denn am Ende mag man Sissakos Film als Vision lesen, als Wunschvorstellung von einem besseren Leben, wie sie am Ausgangspunkt vieler Migrationsgeschichten steht. Denn selbst wenn „Black Tea“ auf den ersten Blick vor allem von der Liebe und vom Tee zu handeln scheint: Unter der Oberfläche verbirgt sich ein hochpolitischer Film, der zwar zwischen China und Westafrika spielt, aber auf universelle Weise von Migration, Flucht und Hoffnung erzählt.
Aya (Nina Mélo), eine junge Frau aus dem westafrikanischen Land Elfenbeinküste, steht kurz vor der Hochzeit. Doch am Altar sagt sie „Nein“. Wenige Szenen später lebt sie bereits in Guangzhou, einer 16-Millionen-Metropole im Süden Chinas, in der sie eine von vielen Migrant*innen aus Afrika ist. Aya arbeitet in einem Teegeschäft, das dem älteren Chinesen Wang (Han Chang) gehört, der einen fast erwachsenen Sohn hat. Sie teilen eine Liebe zum Tee und zu der Zeremonie, die seine Zubereitung zu einem regelrecht intimen Ritual macht. Und vielleicht teilen sie auch bald ein Bett. Doch Wang trägt viel Ballast mit sich herum: Einst lebte er auf den vor der westafrikanischen Küste gelegenen Kapverdischen Inseln, wo er mit der Mutter seines Sohnes ein Restaurant führte, aber zugleich eine Affäre mit einer einheimischen Frau hatte…
Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass Abderrahmane Sissako mit „Black Tea“ einen Film gedreht hat, der hauptsächlich in China spielt. Was verbindet einen arabischen Mann aus Mauretanien, der die meisten seiner Filme (inklusive seines großen Oscar-Erfolgs „Timbuktu“) in Mali realisiert hat, mit einer chinesischen Mega-Metropole? Aber man hat es hier nicht etwa mit einem kolonialen Blick zu tun, wie er oft entsteht, wenn westliche Regisseure in einem Land des globalen Südens Filme drehen, um ihren Geschichten einen exotischen Anstrich zu verleihen. Ganz im Gegenteil. „Black Tea“ ist ein Film der Globalisierung, der in einer Welt spielt, in der Migration eine Realität ist, in der Menschen in der Ferne ihr Glück suchen, ein Stückchen ihrer Heimat mitnehmen, aber vor allem im Austausch der Kulturen etwas Neues entstehen kann. Ein durch und durch politischer Film ist „Black Tea“ also, der aber so schlafwandlerisch und mäandernd erzählt und gefilmt ist, dass die bei der Beschreibung schwer anmutenden Themen einfach im Hintergrund mitschwingen, während es im Vordergrund um Beziehungen, um die Liebe und, ja, auch um Tee geht.
Würde man in Deutschland beim Thema Migration vermutlich zuerst an Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan denken, an halsbrecherische Versuche, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, auch an die Vorurteile gegenüber Migrant*innen, die von Teilen der Medien und der Öffentlichkeit geschürt werden, zeigt Sissako Formen der Migration, die ganz anders, die viel harmonischer verlaufen. Ob das Leben für Afrikaner*innen in China so bukolisch abläuft, wie er es hier schildert, sei dahingestellt. Wahr ist aber, dass es wechselseitige Migrationsströme gibt, die die Verbindung zwischen Afrika und China maßgeblich prägen. Eine Verbindung ist der Tee, der sowohl in China, als auch in Westafrika geschätzt wird – und im Film ein Handelsgut, aber vor allem auch sinnlicher Genuss ist.
Immer wieder zeigt Sissako Bilder vom Zubereiten des Tees, dem Einatmen des markanten Geruchs der losen Blätter, dem vorsichtigen Einschenken des Wassers, den perfekt sitzenden Handgriffen, damit der Deckel nicht abrutscht. Fast ausschließlich in Innenräumen spielt „Black Tea“, was die Orientierung erschwert, eine gewisse Ort- und Zeitlosigkeit erzeugt, die zur Erzählweise passt. Wie im Traum entwickelt sich die Geschichte oft, ohne Details zu erklären, springt die Handlung nach einem kurzen Prolog in der Elfenbeinküste fast unvermittelt nach China, wo Aya auf einmal ziemlich perfekt wirkendes Chinesisch spricht. Ob das tatsächlich die Realität ist, ob sie es wirklich geschafft hat, eine unglückliche Ehe abzuwenden, in eine fremde Kultur einzutauchen, dort vielleicht sogar einen zuverlässigen Mann zu finden?
Mit zunehmender Dauer streut Sissako Hinweise ein, dass wir uns womöglich nur in einem Traum befinden, dass die allzu schöne Welt, in der Aya und andere afrikanische Migranten in China leben, nur in ihrer Fantasie existiert. Eine Lesart, die nicht nur Assoziationen zu manchen Klassikern der Filmgeschichte wie David Lynchs „Lost Highway“ oder Christian Petzolds „Yella“ weckt, sondern auch so manche Irritationen erklärt. Vor allem aber beinhaltet dieses Vexierspiel im Kontext von Migrationsgeschichten eine fast schon tragische Wahrheit: Was man zu Hause hat, mag zwar nicht perfekt sein, aber das, was man im Exil, in der Migration zu erreichen hofft, erweist sich oft als Illusion. Die Hoffnung, dass man in der Fremde eine heile Welt vorfindet, dekonstruiert Sissako am Ende eines Films, der sanft und leicht daherkommt, aber so reich und komplex ist wie der schwarze Tee, der im Film immer wieder so sorgsam portioniert in Tüten abgepackt wird.
Fazit: Mit schlafwandlerischen Bildern, die eine enigmatische Atmosphäre erzeugen, erzählt Abderrahmane Sissako in seinem fünften Spielfilm eine Geschichte zwischen Afrika und China. „Black Tea“ handelt von unterschiedlichen Migrationsschicksalen, dem Glück einer guten Tasse Tee und Hoffnungen, die vielleicht doch nur ein schöner Schein sind.
Wir haben „Black Tea“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.