Die Welt geht unter, aber der Knall bleibt aus
Von Christoph PetersenGeorge Clooney hat ausgesorgt. Nicht wegen seiner Hollywood-Millionen, die ihm allein ein sehr großzügiges Auskommen sichern würden. Sondern dank des Verkaufs seiner eigenen Tequila-Marke für die stolze Summe von einer Milliarde (!) Dollar. Jetzt dreht der ehemalige TV-Kinderarzt („Emergency Room“) also endgültig nur noch, weil es ihm eine Herzensangelegenheit ist – und das merkt man seiner siebten Regiearbeit, dem für Netflix produzierten Science-Fiction-Drama „The Midnight Sky“, auch an: Statt dem weltmännischen Charmeur voller Drive spielt der zweifache Oscarpreisträger erstmals in seiner Karriere einen gebrochenen alten Mann, der buchstäblich die ganze Last der Welt auf seinen Schultern trägt und von dieser zerquetscht zu werden droht.
„The Midnight Sky“ ist gerade in der ersten Stunde ein Film voll erschöpfter Melancholie, die sich auch in der eisigen arktischen Weite widerspiegelt, die von Kameramann Martin Ruhe („The American“) in fantastischen Bildern eingefroren wird. Aber die Verfilmung des Romans „Good Morning, Midnight“* von Lily Brooks-Dalton will mehr sein als eine atmosphärische Einsamkeitsstudie – und so entwickelt sich eine parallele Doppelerzählung, die ständig eine epische Tragik andeutet, die sich dann aber doch nie materialisiert. Ganz im Gegenteil: Das große Finale fällt flach und der emotionale Punch bleibt aus, weil es George Clooney in den 105 Minuten zuvor trotz des gemächlichen Tempos einfach nicht gelingt, seinen Figuren auch eine menschliche Dimension zu verleihen.
Als ob das Ende der Menschheit nicht schon schlimm genug wäre, müssen sich Augustine und Iris in der Arktis auch noch mit harschen Wetterbedingungen rumschlagen ...
Drei Wochen nach einem nicht näher erklärten „Event“, welches das Aus der Menschheit auf der Erde besiegelt hat: Während alle anderen Wissenschaftler und Mitarbeiter für das Ende der Welt zu ihren Familien heimkehren, verbleibt Augustine (George Clooney) allein auf der Forschungsstation mitten in der Arktis. Seine letzte Aufgabe: Er will die Crew des Raumschiffs Æther, das sich auf dem Heimflug von einer zweijährigen Forschungsmission zum womöglich bewohnbaren Jupitermond K-23 befindet und von den zwischenzeitigen Geschehnissen auf der Erde keinen blassen Schimmer hat, mit einem Funkspruch warnen.
Dafür muss er sich trotz der harschen Wetterbedingungen zu einer nicht ganz nah gelegenen Wetterstation durchschlagen – und zwar gemeinsam mit einem stummen Mädchen namens Ines (Caoilinn Springall), das offenbar nicht mit in eines der Rettungsflugzeuge gestiegen ist und nun plötzlich in der Küche vor ihm sitzt. Zur selben Zeit hat aber auch die Raumschiffbesatzung um Captain Adewole (David Oyelowo) und die schwangere Flugingenieurin Sully (Felicity Jones) mit potenziell tödlichen Herausforderungen im All zu kämpfen…
Drehbuchautor Mark L. Smith hat vor zwei Jahren bereits ein Skript für einen bislang nicht realisierten „Star Trek“-Film von Quentin Tarantino geschrieben. Die aus dem legendären Franchise bekannten Möglichkeiten eines Holodecks probiert er nun auch in „The Midnight Sky“ aus: So spielt die Crew der Æther in einem speziellen Raum dreidimensionale Videos ab, die noch vor dem Abflug auf der Erde aufgenommen wurden. Daher kann Mitchell (Kyle Chandler) etwa jeden Morgen im Kreise seiner Familie frühstücken (selbst wenn dann immer alle nur dasselbe sagen). Aber diese Idee allein reicht nicht, um den Besatzungsmitgliedern einen individuellen Charakter zu verleihen …
… stattdessen bleiben sie allesamt leere Hüllen, die nur deshalb nicht in sich zusammensacken, weil ein Regisseur wie George Clooney eben selbst für die kleinsten Nebenrollen die besten Schauspieler bekommt. Wer würde da schon absagen, wenn auf dem Handydisplay der Name des „Ocean Eleven“-Stars aufblinkt? Also werden die austauschbaren Astronauten jetzt von Hochkarätern wie David Oyelowo (Golden-Globe-nominiert für „Selma“) und Demián Bichir (oscarnominiert für „A Better Life“) verkörpert. Das hilft natürlich, selbst wenn die zentrale Diskussion, ob man trotz des „Events“ auf die Erde zurückkehren oder sein Glück woanders im All versuchen sollte, enttäuschend kurz und kraftlos ausfällt.
... während die Besatzung der Æther von einem zerstörerischen Meteoritenschauer überrascht wird.
Auf der Erde entspinnt sich wiederum ein vor allem visuell überzeugendes postapokalyptisches Survival-Abenteuer, dessen Twist-Auflösung aber emotional nicht zündet (zumal sie für viele Zuschauer ohnehin nicht sonderlich überraschend kommen wird). Dieser Part lebt vor allem von der zwar ungewohnten, aber deshalb nicht weniger gelungenen Performance von George Clooney mit seinem Weihnachtsmannbart – sowie den überwältigenden Arktis-Panoramen, die tatsächlich viel beeindruckender sind als die Aufnahmen aus dem All.
Eine merkwürdige Entscheidung hat der Regisseur hingegen bei den Rückblenden getroffen: Weil George Clooney die Verjüngungseffekte in „The Irishman“ nicht überzeugt haben, spielt nun „Star Trek: Discovery“-Spock Ethan Peck den Weltraumforscher Augustine zu Beginn seiner Karriere. Das wirkt an sich schon ein bisschen komisch, weil wir alle natürlich ganz genau wissen, wie George Clooney in dem Alter ausgesehen hat – und zwar ganz anders als Ethan Peck. Aber zudem wird in der englischen Originalfassung noch ein Stimmungsverfremdungseffekt (quasi wie in „Scream 3“) eingesetzt, der dafür sorgt, dass der junge Augustine (fast) so klingt wie George Clooney. Das wirkt allerdings eher verstörend als glaubhaft.
So bleiben auf der Habenseite am Ende vor allem einige spektakulär gefilmte Setpieces, die mit der eigentlichen Story von „The Midnight Sky“ aber gar nichts zu tun haben: Die Astronauten müssen nach einem Meteoritenregen Reparaturen an der Außenhaut der Raumstation vornehmen und Augustine muss sich gemeinsam mit Iris von einem gerade noch zugefrorenen See retten, als plötzlich auf dramatische Weise das Eis aufbricht. Solche Szenen zeigen, was George Clooney und seine Mitstreiter handwerklich alles draufhaben. Umso enttäuschender, dass die Erzählung und die Charakterzeichnung da einfach nicht mithalten können…
Fazit: Ein vor allem handwerklich starkes Science-Fiction-Drama, das zu lange braucht, um in die Gänge zu kommen – und es zudem verpasst, den langsamen Einstieg zu nutzen, um den Figuren die für das emotionale Finale dringend benötigte Tiefe zu verleihen.
*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.